Erico war verblüfft, als er Jays wunderschönes Gesicht erblickte. »Kannst du aufstehen?«
Jay nickte und Erico half ihm auf die Füße.
»Bringen wir dich rein ins Warme.« Erico schlang einen Arm um Jays schmale Taille und half ihm die Stufen hinauf. Er fühlte sich unglaublich schuldig. Wenn er in der Stadt gewesen wäre, hätte man ihn bei so einem Unfall in Grund und Boden verklagt, da war er sich sicher. Obwohl sie im Laufe des Tages abwechselnd die Runde gemacht hatten, um die Treppe und den Bürgersteig zu räumen, war es fast unmöglich, mit dem Schneetreiben Schritt zu halten.
Nachdem Erico die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, führte er Jay zu einer der gepolsterten Bänke im Wartebereich.
Jay setzte sich und begann, sich aus seiner Winterkleidung zu schälen. »Ich denke, das wird eine nette Beule am Kopf geben, aber nichts allzu Ernstes.«
Erico nahm neben Jay Platz. »Hast du was dagegen, wenn ich mir das mal anschaue?«
Jay zog die Mütze herunter und schüttelte den Kopf. Erico betrachtete das glänzende, braune Haar. Wie oft hatte er sich danach gesehnt, mit den Fingern durch die langen, seidigen Strähnen zu fahren? Er streckte eine Hand aus und tastete über Jays Hinterkopf. Es dauerte nicht lange, bis er die Beule erfühlte.
»Das ist eine ziemlich hässliche Schwellung. Soll ich einen Krankenwagen rufen?«
Jay hob eine Hand und seine langen, schmalen Finger streiften Ericos. »Hier?«
Erico griff nach Jays Hand und schob sie zu der Verletzung. »Fühlst du sie?«
»Ja«, antwortete Jay.
»Soll ich irgendjemanden anrufen?«, fragte Erico erneut.
»Nein. Schon gut.« Jay legte die Hände auf die Hüften. Dann drehte er den Oberkörper ein paarmal hin und her.
»Hat es deinen Rücken auch erwischt?«, erkundigte sich Erico. Er wusste, dass es falsch war, aber er konnte ein Schaudern nicht unterdrücken, wenn er daran dachte, was eine Rückenverletzung für seine Versicherungsbeiträge bedeuten würde.
Behutsam tastete Jay seinen unteren Rücken ab. »Ich denke, ich hab ihn nur auf dem Gehweg aufgeschürft.«
Jetzt, da seine Sorgen hinsichtlich eines Versicherungsanspruchs besänftigt waren, meldeten sich die Schuldgefühle nachdrücklich zu Wort. Was zum Teufel bin ich nur für ein Mensch? Erico ballte die Hände zu Fäusten in dem Versuch, sich in den Griff zu bekommen.
Offenbar hatte Jay seine geballten Fäuste gesehen, denn er zuckte zusammen und kniff die Augen zu.
»Nein. Oh Gott, nein. Ich werd dir nicht wehtun.« Marios Warnung hallte laut und deutlich in Ericos Kopf wider. Völlig angewidert von sich selbst stützte er die Ellbogen auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen. »Tut mir leid. Ich war wütend auf mich selbst, nicht auf dich.«
Nach einer Weile legte Jay eine Hand auf Ericos Rücken. »Warum solltest du wütend auf dich selbst sein? Ich bin derjenige, der hingefallen ist.«
Erico spürte Jays Berührung wie ein Brandmal auf seiner Haut. Wie viel Überwindung hatte es den schüchternen Mann gekostet, die Hand nach ihm auszustrecken? Die Geste sprach Bände darüber, was für ein Mensch Jay war. Erico hatte keine andere Wahl, als im Gegenzug vollkommen ehrlich zu sein. »Ich bin eine verachtenswerte Person. Mein erster Gedanke war, dass ich mein Geschäft verlieren könnte, falls du dich ernsthaft verletzt haben solltest.«
»Oh. Na ja, ich finde das durchaus verständlich. Ich meine, du hast dir hier etwas aufgebaut, auf das du echt stolz bist. Da ist es nur natürlich, dass du Angst hast, es zu verlieren.«
Erico drehte den Kopf zu Jay. »Du bist derjenige, der sich verletzt hat, warum also versuchst du, mich aufzumuntern?«
Jay grinste. »Ich weiß nicht. Schätze, du hast ausgesehen, als würdest du’s brauchen.« Er sah sich um, wahrscheinlich zum ersten Mal. »Wo sind denn alle?«
Ericos Blick wanderte durch das leere Restaurant. »Ich hab sie nach Hause geschickt. Bei diesem Wetter bleiben offensichtlich alle zu Hause. Wolltest du was essen?«
Jay sah zur Seite und saugte an seiner vollen Unterlippe. »Mir ist die Decke auf den Kopf gefallen. Sean hat den Pub für zwei Wochen geschlossen, weil er seine Eltern in Irland besucht. Ethan hat mir einen Geschenkgutschein vom Canoe gegeben, bevor er seinen Weihnachtsurlaub angetreten hat. Ich dachte…« Er schüttelte den Kopf. »Spielt keine Rolle. Ich kann ein andermal wieder herkommen.«
»Sei nicht albern.« Erico stand auf und hielt Jay eine Hand hin.
Kurz starrte Jay Ericos Hand an, bevor er sich aus eigener Kraft erhob. Erico versuchte, die Geste nicht persönlich zu nehmen. »Möchtest du hier im Gastraum essen oder an der Bar?«
Jay zuckte mit den Schultern.
Erico fiel auf, dass er das recht häufig zu tun schien. Zumindest redete er jetzt mehr als bei seiner Ankunft in Cattle Valley. »In der Küche steht ein ganz netter Tisch, wenn du mir Gesellschaft leisten willst, während ich arbeite.«
Jay wirkte zögerlich, nickte dann aber schließlich. »Okay. Ich würde dir gern beim Kochen zusehen.«
Erico erkannte die perfekte Gelegenheit, um zu sehen, wie gut sie beide in der Küche zusammenarbeiteten. »Oder du könntest helfen. Ich schlage dir einen Deal vor. Du gehst mir bei unserem Abendessen zur Hand und dafür kannst du deinen Geschenkgutschein behalten und ihn ein andermal einsetzen.«
Jay überraschte Erico, indem er den Kopf schüttelte. »Oh nein, ich könnte nicht…«
»Willst du nicht mit mir kochen?« Erico wusste, dass sich Jay in seiner Gegenwart unbehaglich fühlte, doch seine Ablehnung schmerzte.
»Ich bin kein ausgebildeter Koch«, fuhr Jay zur Erklärung fort. »Ich würde mich nur blamieren.«
Erico, der gerade die Küchentür aufschob, hielt inne. »Blödsinn. Ich hab von deinem Essen probiert. Ich hab dir schon mal gesagt, dass ich dich für einen fantastischen Koch halte.«
»Ja, aber du bist ein professioneller Koch. Das ist nicht das Gleiche.«
Erico betrat die Küche und sah sich in dem Raum mit den hochmodernen Gerätschaften um. Für jemanden, der daran gewöhnt war, in kleineren Restaurants zu arbeiten, konnte das einschüchternd sein. Das Letzte, was er wollte, war, Jay noch mehr zu verunsichern. »Ich hab Lust auf Steak und Kartoffeln. Wie klingt das?«
Jay lächelte. »Gut.«
Erico ging in den Kühlraum und holte zwei dicke Filets heraus. Auf dem Rückweg in die Küche fiel ihm auf, dass Jay erneut mit einer Hand behutsam über seinen unteren Rücken strich. Erst da bemerkte er die Flecken aus trocknendem Blut auf dem ohnehin schon roten Knöpfhemd. Erico legte das Fleisch beiseite. »Darf ich mir das ansehen?«
»Hm?«
Erico deutete auf Jays Rücken. »Ich glaube, du blutest.«
Mit besorgter Miene verrenkte sich Jay, um einen Blick auf seinen Rücken zu erhaschen. »Hat mein Hemd was abgekriegt?«
Erico stellte sich hinter Jay. »Ja. Tut mir leid. Ist es neu?«
Jay nickte. »Nate hat es mir zu Weihnachten geschenkt, bevor sie sich auf den Weg nach Nebraska gemacht haben.«
»Falls du es nicht rauswaschen kannst, kauf ich dir ein neues.« Er zögerte, bevor er den Saum des Hemds anhob, den Jay nicht in die Hose gesteckt hatte. »Ich würde mir gern ein Bild davon machen, wie schlimm es ist. Wäre das in Ordnung für dich?«
Jay sah über die Schulter und suchte Ericos Blick, dann knöpfte er das Hemd zur Hälfte von unten auf. »Okay.«
Erico zog den Stoff weiter nach oben und verzog das Gesicht beim Anblick der geröteten, aufgeschürften Haut an Jays unteren Wirbeln. »Es ist nur eine Schramme, aber die sollte