Doch die war vorgewarnt worden, sein Ruf als Casanova eilte dem smarten Finanzdirektor voraus. Zwar konnte auch sie nicht dem Charme des gutaussehenden Mannes widerstehen, dennoch dauerte es fast ein halbes Jahr, bis sie seine Einladung annahm.
Der ersten Verabredung folgten weitere, und Thorsten gab sich alle Mühe, Maria zu zeigen, daß er sich geändert habe.
»Du bist die größte Liebe meines Lebens«, sagte er zu ihr. »Es gibt keine andere Frau, die sich mit dir vergleichen kann.«
Nur zu gerne glaubte sie ihm, denn Maria liebte ihn ja auch.
»Wir wollten zusammenziehen«, erzählte sie. »Thorsten hat mich gebeten, seine Frau zu werden.«
Wolfgang Hellwig runzelte die Stirn.
»Davon haben Sie in Ihrer vorherigen Aussage aber nichts gesagt«, stellte er fest.
Die junge Frau fuhr sich über das Gesicht.
»Mein Gott noch mal«, entfuhr es ihr, »wahrscheinlich habe ich es in der Aufregung vergessen. Das kann doch mal vorkommen.«
Der Beamte erwiderte nichts darauf.
»Also gut«, sagte er nach einer Weile, »kommen wir jetzt zum Freitag. Sie und Dr. Gebhard waren verabredet. Schildern Sie bitte noch mal den Tag.«
Maria seufzte tief.
Es war ein ganz normaler Freitag gewesen. Im Büro gab es nicht viel zu tun, das Übliche halt, und man freute sich schon auf das Wochenende. Kirsten und sie hatten gegen fünfzehn Uhr Feierabend gemacht und sich in der Tiefgarage verabschiedet. Dann war Maria nach Hause gefahren. Unterwegs hielt sie an einem Supermarkt und kaufte ein. Sie wollte am Abend Pasta kochen und brauchte dafür noch ein paar Sachen. Außerdem Rotwein, Käse und Baguette. Thorsten wollte gegen sechs bei ihr sein. Er selber hatte sich schon gegen Mittag aus der Firma verabschiedet, um, wie er sagte, eine dringende Angelegenheit zu erledigen.
»Worum es sich bei dieser Angelegenheit handelt, hat er nicht gesagt?« hakte Wolfgang Hellwig nach.
Maria schüttelte den Kopf.
Als Thorsten um kurz vor sieben noch immer nicht da war, versuchte sie, ihn auf dem Handy zu erreichen, bekam aber nur die automatische Ansage der Mailbox zu hören. Vielleicht war er immer noch beschäftigt und wollte nicht gestört werden. Sie hatte dem zunächst keine große Bedeutung beigemessen. Doch je mehr die Zeit verrann, um so unruhiger wurde Maria Berger. Immer wieder wählte sie die Nummern seines Privatanschlusses und des Mobiltelefons. Sie hinterließ Nachrichten für ihn und hoffte, daß er sich endlich melden würde.
Das Essen war längst verkocht, das Baguette trocken geworden. Maria wachte in der Nacht auf und stellte fest, daß sie auf dem Sofa eingeschlafen war. Wieder versuchte sie, Thorsten zu erreichen, wieder ohne Erfolg. Am frühen Morgen fuhr sie zu seinem Haus. Dort waren die Rolläden heruntergelassen, die Tür verschlossen. Das Garagentor war zwar auch abgesperrt, aber sie konnte durch das kleine Fenster sehen, daß sein Auto nicht da war. Sie kehrte unverrichteterdinge nach Hause zurück und wartete den ganzen Samstag und Sonntag.
Thorsten Gebhard kam nicht, er rief auch nicht an oder gab sonst ein Lebenszeichen von sich. Heute morgen war sie dann nervös ins Büro gefahren. Ja, natürlich hatten sich Gedanken eingeschlichen, er könne bei einer anderen Frau sein, und deshalb hoffte Maria, ihn noch vor Beginn der Konferenz sprechen zu können.
Wolfgang Hellwig sah sie lange und schweigend an. Sie merkte, daß sie immer unsicherer unter seinem Blick wurde.
»Und das soll ich Ihnen abnehmen, ja?« fragte er schließlich. »Soll ich Ihnen mal sagen, wie ich das sehe? Sie und der saubere Herr Doktor haben die Sache gemeinsam durchgezogen. Dreißig Millionen Euro verschwinden nicht so mit einem Mal, nein, nein, das Ganze ist von langer Hand vorbereitet gewesen. Vermutlich haben Sie sich die Chose während Ihres gemeinsamen Urlaubs in Südafrika ausgedacht. Herrlich, net wahr, dort unter Palmen zu leben, jeden Tag Sonnenschein, Partys und Geldausgeben. Aber dazu müßte man erst mal Geld haben, nicht wahr? War es Ihre Idee, Frau Berger, oder ist Ihr Geliebter darauf gekommen, daß man die ›Hillmann AG‹ ein bissel erleichtern könne. Kein Problem für ihn, als stellvertretender Finanzdirektor hatte Dr. Gebhard ja die Möglichkeit, größere Überweisungen zu tätigen. Das hat er dann ja auch gemacht, und zwar kurz nachdem Sie beide aus Südafrika zurückgekehrt waren. Wir wissen sogar, wohin das Geld gegangen ist. Zuerst nach England, von dort aus auf die Bahamas und weiter nach Südostasien. Leider verliert sich dort die Spur, aber ich bin mir sicher, daß Sie uns da weiterhelfen können, Frau Berger.«
Maria schüttelte den Kopf.
»Sie irren sich«, sagte sie schwach. »Ich weiß doch gar nichts davon. Ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun!«
Die Tür des Vernehmungsraumes öffnete sich, und Jochen Brandner trat ein.
»Soll ich Sie ablösen, Chef?« fragte er.
Wolfgang Hellwig schüttelte den Kopf.
»Ich bin ohnehin fertig.«
Er sah Maria an.
»Sie können gehen«, sagte er zu ihr. »Aber halten Sie sich zu unserer Verfügung.«
Mit zitternden Knien stand sie auf und wankte aus dem Raum. Jochen Brandner sah seinen Vorgesetzten erstaunt an.
»Sie lassen sie gehen?«
Der Kriminalhauptkommissar biß sich auf die Unterlippe.
»Entweder sagt sie die Wahrheit und hat tatsächlich mit der ganzen Sache nichts zu tun, oder sie ist so raffiniert, daß sie uns hier das Unschuldslamm nur vorspielt«, erwiderte er nachdenklich. »Jedenfalls werden wir sie net aus den Augen lassen. Observation rund um die Uhr. Vielleicht meldet sich Thorsten Gebhard über kurz oder lang bei ihr…«
*
»Und er hat sich net wieder gemeldet?«
Maria Erbling sah Sebastian Trenker traurig an.
»Ich versteh’ das gar net«, sagte die Witwe. »Dabei hat er doch so einen zuverlässigen Eindruck gemacht.«
»Ich verstehe es auch nicht«, entgegnete der Bergpfarrer. »Aber ich denke, daß es etwas mit Ihnen zu tun hat, Frau Erbling. Sagen Sie, hat es irgendwelche Differenzen zwischen Ihnen und Karl gegeben?«
Der Mann, von dem die beiden sprachen, war Karl Moislinger, ein Obdachloser den der gute Hirte von St. Johann im Pfarrhaus aufgenommen hatte, nachdem Karl vom Heuboden eines Bauern gefallen war, bei dem er als Erntehelfer gearbeitet hatte. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bedurfte er noch Hilfe und Pflege. Während Sophie Tappert für das leibliche Wohl sorgte, kümmerte sich Dr. Wiesinger um die Genesung des Patienten.
Karl gefiel es im Pfarrhaus, auch wenn er immer wieder den Drang nach Freiheit verspürte, der ihn schon seit vielen Jahren auf die Straße zog. Aber er wußte, daß es noch viel zu früh war, die Wanderschaft wieder aufzunehmen. Um so mehr verwunderte es Sebastian, daß der Moislinger-Karl an einem Samstag mittag verschwand und nichts wieder von sich hören ließ.
Kurz zuvor hatte Maria Erbling, Witwe des letzten Poststellenhalters von St. Johann und gefürchtete Klatschtante des Dorfes, im Pfarrhaus angerufen und wollte den Obdachlosen sprechen. Was bei diesem Telefonat geredet wurde, entzog sich Sebastians Kenntnis. Aus diesem Grund war er heute bei Maria zu Besuch, um etwas darüber zu erfahren.
»Sie haben doch öfter mit ihm gesprochen«, sagte der Geistliche. »Und am Tag seines Verschwindens haben S’ mit ihm telefoniert. Verstehen Sie, Frau Erbling, ich mach’ mir schon ein bissel Sorgen um den Karl und möchte herausfinden, was geschehen ist, das ihn zu diesem Schritt veranlaßt hat.«
Die Witwe druckste herum,