Sie sprachen über die nächsten Wahlen, sprachen darüber, das Land vor der Gefahr des Kommunismus zu retten. Sprachen über den Toten, der vor ein paar Tagen den Fluss heruntergetrieben war, und alle waren sich einig, dass er etwas verbrochen haben musste: Wer ohne Schuld ist, dem passiert so etwas nicht. J. sprach nicht von dem Haus, das sie früh am Morgen nach einer halben Stunde Fahrt besucht hatte und wo ein Lehrer auf den Vorwurf hin, die Kinder zu indoktrinieren, für schuldig befunden und enthauptet worden war, den jungen Schülern ein warnendes Beispiel; sie sprach auch nicht über ihre Fotos von dem Schüler, der den Kopf auf dem Lehrerpult gefunden hatte. Dagegen sprach man von der traditionellen Musik der Region. Einer der Gäste hatte selbst ein paar solcher Lieder verfasst. J. kannte eines davon und überraschte die anderen (und sich selbst), indem sie den Refrain vortrug, Verse, in denen Reiter galoppierten und die Abendsonne die Farbe von einem Paar Lippen besaß. Sie spürte, dass sie die anderen auf sich aufmerksam gemacht hatte, vielleicht auf unpassende Weise. Sie spürte auch, dass sie Yolanda etwas von ihrer Last abnahm, die Blicke der Männer auf sie leichter wurden. Sie spürte, dass sie ihr das wortlos dankte.
Vor dem letzten Kaffee sagte Señor Galán:
»Für jeden, der mag, gibt es heute Nachmittag Pferde. Mauricio reitet mit euch aus, dann lernt ihr die Farm kennen.«
»Und was gibt es zu sehen?«, fragte der Politiker.
»Ah«, sagte Galán, »alles Mögliche.«
J. ließ die Stunden in einer grünen Hängematte verrinnen, wechselte Bier mit Zuckerwasser ab, döste vor sich hin oder las in einem Buch von Germán Castro Caycedo. Zur vereinbarten Uhrzeit ging sie zum Stall hinüber. Da standen sie, ein paar gesattelte Tiere, die auf den gleichen Punkt am Horizont starrten. Ihr Führer trug hochgekrempelte Hosen und ein Messer im Gürtel. J. fiel die Haut der nackten Füße auf, rissig wie ausgetrocknete Erde, wie ein Flussbett, vom Wasser verlassen. Der Mann zog Gurte fest und verlängerte Steigbügel, als die Gäste im Sattel saßen, blickte jedoch niemanden an, oder sein Gesicht erweckte diesen Eindruck: harte Wangenknochen, Schlitze statt Augen. J. wies er ein Pferd zu, das ihr allzu mager vorkam, aber als sie aufgestiegen war, saß sie bequem im Sattel und vergaß die Einwände. Es ging los, und ihr fiel auf, dass der Politiker nicht erschienen war. Da waren Yolanda und drei aus ihrer Gruppe: der mit den manierierten Koteletten, der mit dem gegelten Haar, der, der lispelte und besonders laut sprach (fast aggressiv), um seine Komplexe zu verbergen oder zu überspielen.
Es hatte aufgeklart. Ein gelbes Licht schien ihnen ins Gesicht, während sie über verdorrte Erde ritten, vorbei an Schädeln von Kühen und Wasserschweinen, über ihnen aufmerksame Geier. Die Hitze hatte nachgelassen, doch kein Wind ging, und J. spürte Schweiß in der Lendengegend. Ab und an roch es nach Aas. J. hatte man eine Wolldecke auf den Sattel gelegt, als Dämpfer für das harte Leder, aber etwas musste sie falsch machen, denn zweimal hatte sie einen Galopp versucht und zweimal Schmerzen im Becken verspürt. So fiel sie zurück, als wäre sie die schützende Nachhut. Vorn deutete Mauricio stumm auf Dinge oder sprach so leise, dass J. ihn nicht hörte. Das war nicht schlimm. Man musste nur der Linie seines Arms folgen und fand den Vogel mit der seltsamen Farbe, das riesige Wespennest, das Gürteltier, das für Aufregung in der Gruppe sorgte.
Dann hielt Mauricio an. Er gebot Schweigen und zeigte auf eine Baumgruppe, für die J. das Wort Wald zu groß vorkam. Dort stand, den Kopf witternd erhoben, der Hirsch.
»Wie schön«, flüsterte Yolanda.
Das war das Letzte, was J. sie sagen hörte, vor dem Unfall. Die Karawane setzte sich wieder in Bewegung, und das Folgende geschah blitzschnell. J. begriff den Vorfall, seinen Ablauf in dem Moment nicht, aber nachher sollte es jede Menge Erklärungen geben: Yolanda habe die Zügel schießen lassen, das Pferd sei in Galopp gefallen, Yolanda habe die Beine zusammengepresst (ein Reflex, um sich im Sattel zu halten), und das Pferd sei durchgegangen. Gesehen hatte J. jedoch dies: Das Pferd hatte eine schnelle Wendung vollzogen und war in Richtung Hacienda davongesprengt, Yolanda konnte sich nur noch am Hals festklammern (versuchte nicht einmal, nach den Zügeln zu greifen, oder tastete vergeblich nach ihnen, nur bemüht, sich im Sattel zu halten), und da war Mauricio ebenfalls losgestürmt, ein Wunder von Manöver, noch nie hatte J. derlei gesehen, er schnitt dem rebellischen Pferd den Weg ab, rammte es mit dem eigenen Pferd, dem eigenen Leib und brachte es zu Fall. Eine Bewegung von unglaublichem Geschick, die Mauricio vorübergehend zum Helden gemacht hätte (der eine Gefahr bei der Wurzel packt und verhindert, dass sie größer wird), wenn Yolando nicht unglücklich nach vorn katapultiert worden und ihr Kopf auf dem Boden aufgeschlagen wäre, auf den dürren Erdschollen, zwischen denen staubbedeckte Steine staken.
J. saß ab, um zu helfen (der Sprung einer Tänzerin), obwohl sie nichts tun konnte. Mauricio hatte schon ein Funksprechgerät aus der Satteltasche gezogen und rief in der Hacienda an, damit sie einen Wagen schickten und den Arzt riefen. Das gestürzte Pferd war bereits wieder auf den Beinen. Dort stand es, ruhig, und blickte ins Leere. Die Dringlichkeit, nach Hause zu kommen, hatte es vergessen. Auch Yolanda war ruhig, lag auf dem Bauch, die Augen geschlossen, die Arme unter dem Körper, ein schlafendes Mädchen in einer kalten Nacht.
Später, Señor Galán hatte Yolanda in die städtische Klinik gebracht, wurde viel über die Reaktion des Llaneros diskutiert. Er hätte das Pferd nicht zu Fall bringen dürfen, sagten die einen; die anderen führten an, er habe das Richtige getan, denn ein durchgegangenes Pferd sei für den Reiter gefährlicher, je länger man es gewähren lasse (die Geschwindigkeit, die Schwierigkeit, das Gleichgewicht zu halten). Man erzählte sich Anekdoten von früher, sprach von gelähmten Kindern, sagte, in den Llanos lerne man das Fallen. Don Gilberto hörte schweigend zu, das Gesicht von etwas verzerrt, was weniger Sorge als Wut verriet, die Wut dessen, der ein Spielzeug besitzt, auf das die anderen nicht aufgepasst haben. Vielleicht interpretierte es J. auch falsch. Sein Schweigen war schwer zu entschlüsseln, aber nachts, als Galán aus der Klinik anrief und den neusten Stand durchgab, wirkte er bestürzt. Er trank nun Whisky aus demselben Glas, aus dem er Zuckerwasser getrunken hatte, lag in einer bunten Hängematte, schaukelte aber nicht, sondern hatte als Anker einen Fuß mit schmutzigen Zehennägeln auf die Fliesen gestellt. Alles an ihm war Frage. Die erhaltene Information hatte ihn nicht befriedigt.
Yolanda war in ein künstliches Koma versetzt worden. Ihr linker Arm war stark gequetscht, aber sie hatte sich nichts gebrochen. Der Schlag gegen den Kopf hätte jedoch tödlich sein können und hatte zu einem Bluterguss mit unvorhersehbaren Folgen geführt. Die Ärzte hatten den Schädel bereits aufgebohrt, um den Druck des Blutes zu lindern, aber sie war nicht außer Gefahr, oder man konnte vielmehr die vielen Gefahren noch nicht benennen, die weiterhin bestanden. »Wir sind noch nicht über den Berg«, sagte der Mann, der mit Galán gesprochen hatte, vielleicht mit denselben Worten, die der Arzt verwendet hatte. Er war einer aus der Gruppe, umgänglicher als die anderen und zugleich weniger auffällig, und es hörte sich seltsam an, wie er die aufgeschürfte Haut beschrieb, das geschwollene, blau angelaufene Gesicht. Don Gilberto nahm die Worte mit schroffem Zug um den Mund auf und goss sich noch ein Glas Whisky ein, und J. dachte an die seltsamen Erscheinungsformen der Macht: Ein Untergebener – ein Assistent, ein Angestellter – unterrichtet uns über das Schicksal einer Person, die uns wichtig ist. Vielleicht kam J. die Sorge des Mannes deswegen so kühl vor, so distanziert.
Mitternacht