Wie weise der Dichter ihn vom Kampfe aufspart bis zuletzt; der Held wäre gemein, wenn er jetzt nicht, um den Freund zu rächen, über alle Schranken ginge, daß seine Taten mit denen der anderen in gar keinen Vergleich mehr gebracht werden können. Sein Kampf mit dem Stromgott ist ein Stück antiker Romantik inmitten der Sachlichkeit Homers. Der tobende Ausbruch des Helden muß seine nachfolgende schöne Menschlichkeit dem Gemüte desto lebendiger machen, während er doch auch in seinen weichsten Augenblicken noch der Gefährliche bleibt und selber vor dem Dämon, der ihn fortreißen könnte, warnt. Wie er mit dem alten Priamos im Zelte sitzt und die zwei Todfeinde über den Jammer des Kriegs, dessen Opfer sie beide sind und dem sie bei aller Macht keinen Einhalt zu tun vermögen, zusammen weinen, das ist vielleicht das Größte, was der Dichtung jemals gelang.
Auch die homerische Landschaft, die so wunderbar an das Raumgefühl spricht, wirkte mächtig auf die Einbildung. Die Skamanderebene mit den gemauerten Gruben für die troischen Wäscherinnen, wie ich deren später in südlichen Landen viele sehen sollte, und dem ehrwürdigen Male des Ilos, das in eine graue Zeitenferne zurückweist und dadurch die dargestellte Gegenwart so jung und so lebendig macht, das nahe Rauschen der Meerflut, aus der die Thetis steigt, die geheimnisvolle südliche Nacht, die bei dem Schleichgang des Dolon um die Griechenzelte webt: dies alles wurde zur persönlichen Nähe und weckte ein unauslöschliches Verlangen nach dem Boden, aus dem jene ewigen Gesänge gestiegen sind. Damals gaben Lehrer und Schülerin sich das Wort, wenn einmal beide es im Leben zu etwas gebracht hätten, zusammen Griechenland und die Inseln zu bereisen. Ein Menschenleben mußte vergehen, bevor das Gelübde erfüllt werden konnte. Als ich endlich dahin kam, hielt der griechische Boden noch mehr, als er versprochen hatte, und war zugleich so vertraut, als ob man eine lange vermißte Heimat wiederfände: aus Landschaft und Kunst blickte mich wie durch einen verschönernden Spiegel die deutsche Seele mit an. Vor den noch erhaltenen Werken der großen Zeit ging mir ganz plötzlich das Geheimnis der Griechenkunst auf: daß sie nicht um der Kunst willen da war, sondern um der Religion und dem Vaterlande zu dienen und das Band der Einheit fester zu schlingen. Der griechische Boden predigt mit tausend Zungen, daß kein Mensch sich geistig außerhalb des eigenen Volkstums stellen kann. Und die Hellenen, die mir so oft Lehrmeister gewesen waren, lehrten mich auch, nach einem im Ausland verbrachten Leben wieder Deutsche zu werden.
Um die Weihnachtszeit verließ uns Ernst, um nach Rußland zu gehen.
Das Griechische wurde danach noch eine Zeitlang unter anderer Leitung, aber mehr im philologischen Sinne fortgesetzt, wobei die Poesie hinter der Grammatik zurücktrat. Dagegen gaben Edgar und ich uns das Wort, inskünftige, solange wir noch beisammen wären, jedes Jahr die Antigone gemeinsam in der Ursprache zu lesen, wozu es jedoch nur einmal und bruchstückweise kommen sollte. Mir aber waren und blieben die Griechen mehr als bloße Wegweiser des Schönen; diese herrlich strengen, jeder Willkür abholden Lehrmeister wurden mir auch Erzieher fürs Leben. Sie bildeten mein seelisches Rückgrat, denn in der unbegrenzten Freiheit, in der ich mir selber Maß und Gesetz suchen mußte, wäre ich vielleicht ohne sie zerflattert. Sie warnten mich auch, den Fuß nicht allzu fest auf die Erde zu setzen und das Auge nie vor den schaurigen Abgründen zu verschließen, an denen die Blumen des Lebens blühen.
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