Der letzte Prozess. Thomas Breuer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Breuer
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839265208
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Kreispolizeibehörde war in der Riemeckestraße untergebracht, in einem dreistöckigen Klinkerbau mit Flachdach. Das Gebäude machte einen hellen und freundlichen Eindruck, ganz anders als der schmutzigrote Ziegelbau der Hammer Polizeidirektion, der noch aus der Kaiserzeit stammte. Aber irgendwie wirkt das hier auch verschlafen, dachte Lenz. Hier also, in Paderborn, dem schwärzesten Loch der ostwestfälischen Provinz, würde er von nun an sein berufliches Leben fristen.

      Na ja, wenigstens war das heute nur sein Antrittsbesuch. Gleich nachher würde er zu seiner neuen Wohnung in der Kisau fahren, sich ein, zwei Stunden aufs Ohr hauen und dann die Kneipen-Szene der Domstadt erforschen. Mit Bedacht hatte er sich inmitten von Studentenkneipen direkt am Paderquellgebiet eingemietet. Solche Viertel versprachen Abwechslung. Das bevorstehende Wochenende würde schon dafür sorgen, dass er den einen oder anderen Zufluchtsort für die langen Abende nach dem eintönigen Dienst fand. Seufzend schloss er die Zentralverriegelung seines Wagens.

      In der funktionalen Halle suchte er sich auf dem Raumplan den Weg zur Direktion Kriminalität und zum Büro von Kriminaldirektor Heitkamp im 2. Stock. Dort angekommen, klopfte er an die Tür des Vorzimmers. Als er nichts hörte, drückte er die Klinke und trat ein. Der Schreibtisch der Sekretärin war leer, die Tür zum Büro nebenan stand offen. Also wandte er sich direkt dorthin.

      Ein verhärmter Mittfünfziger in dunklem Anzug und mit glatten schwarzen Haaren saß hinter seinem Schreibtisch und blickte durch seine schwarzgerahmte Brille erstaunt auf, als Lenz an den Türrahmen klopfte und sich räusperte. Der Mann schien nicht gewohnt zu sein, von sich aus auf Leute zugehen zu müssen, und wartete mit missbilligendem Blick auf eine Erklärung für das unangemeldete Eindringen. So stellte man sich einen verknöcherten Verwaltungsbeamten vor.

      »Kriminalhauptkommissar Stefan Lenz. Ich soll mich heute hier melden.«

      »Herr Lenz!« Kriminaldirektor Heitkamp schnellte hoch und knöpfte sein Jackett zu. Dabei entwickelte er eine Lebendigkeit, die der Hauptkommissar ihm gar nicht zugetraut hätte. »Schön, Sie zu sehen. Bitte, nehmen Sie Platz.« Er deutete auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch. »Haben Sie uns gut gefunden?«

      »Bisschen komische Verkehrsführung an der Autobahnabfahrt, aber sonst kein Problem.«

      »Schön, dass Sie es schon heute einrichten konnten«, freute sich Heitkamp. »Das gibt uns die Gelegenheit, offene Fragen vorab zu klären. Dann können Sie am Montag gleich durchstarten.« Erwartungsvoll strahlte er seinen neuen Mitarbeiter an.

      Lenz hatte keine offenen Fragen. Er würde die Leitung des Kriminalkommissariats 1 der Paderborner Kreis­polizei­behörde übernehmen, das für Todesermittlungen, Sexualdelikte, Qualifizierte Körperverletzungen, Brandermittlungen und Umweltdelikte zuständig war. Die Bewerbung war glatt durchgegangen. In Hamm war er längst abgemeldet, heute war der letzte Tag seines Resturlaubs, ab Montag stand er den Paderbornern zur Verfügung. Was sollte es da noch für offene Fragen geben? Also wartete er ab, was von dem Kriminaldirektor kam.

      Aber auch der schien von sich aus das Gespräch nicht voran­treiben zu wollen. Schließlich räusperte er sich verlegen und griff nach einer Mappe, die oben auf einem Stapel zu seiner Rechten lag. »Ihre Personalakte ist eingetroffen. Sie haben eine beeindruckende Aufklärungsquote. Ich bin sicher, dass Ihre Vorgesetzten in Hamm Sie ungerne ziehen lassen.« Er lachte trocken auf und blickte Lenz auffordernd an.

      Der hütete sich, das Gegenteil zu gestehen. Heitkamp würde ihn früh genug selbst kennenlernen. Stattdessen nickte er zweideutig lächelnd.

      »Nun ja«, fuhr der Kriminaldirektor fort und schloss die Personalakte wieder. »Von meiner Seite aus ist alles klar. Wenn Sie keine Fragen haben, schlage ich vor, dass ich Ihnen Ihre neuen Kollegen vorstelle.«

      »Gerne.« Lenz schob den Stuhl zurück und stand auf.

      Kriminaldirektor Heitkamp umrundete seinen Schreibtisch und ging vorweg zur Tür. »Sie werden sicher gut mit Ihrem Kollegen Schröder auskommen. Ein umgänglicher Typ, immer korrekt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

      Lenz hoffte, dass er den Kriminaldirektor nicht richtig verstand. Korrekte Typen hatte er gefressen. Die machten Cops wie ihm immer nur das Leben schwer. Aber er verkniff sich eine entsprechende Replik.

      »Frau Gladow ist erst seit Kurzem bei uns«, fuhr Heitkamp fort, während sie zügig den Flur entlanggingen. »Sie kennt sich mit den modernen Medien hervorragend aus und ist schon allein dadurch eine Bereicherung für unsere Dienststelle.« Wodurch sonst noch, ließ er offen.

      Am Ende stieß er ohne anzuklopfen eine Tür auf, neben der ein Wandschild darauf hinwies, dass sich KHK Schröder und KK Gladow das Büro teilten. »Niemand da«, stellte er nach einem etwas zu langen Rundumblick enttäuscht fest.

      Er eilte durch eine Verbindungstür nach links in das Vorzimmer, Lenz immer hinter ihm her. Eine dunkelhaarige Frau saß an einem Schreibtisch und tippte etwas in ihre Computertastatur.

      »Frau Gellert, darf ich Ihnen Ihren neuen Chef vorstellen? Das ist Kriminalhauptkommissar Lenz. Er wird ab Montag diese Dienststelle leiten.«

      Frau Gellert blickte zunächst erstaunt, setzte aber dann ein professionelles Lächeln auf und reichte ihrem neuen Chef die Hand. »Freut mich.«

      Lenz wunderte sich über den frostig distanzierten Unterton. Im Widerspruch dazu fühlte er die zarte Haut der Hand und verfing sich für einen Moment in den blauen Augen. Mitte bis Ende dreißig, schulterlange Haare, hübsches Gesicht, nicht zu püppchenhaft, ganz ansehnliche Oberweite – genau sein Beuteschema.

      Nicht schon wieder, dachte er erschrocken und ließ die Hand los. Sex am Arbeitsplatz bringt nur Ärger. Ein paar Wochen Spaß, dann wird man die Weiber nicht mehr los und am Ende zicken sie nur noch rum und stören den Betriebsfrieden. Nach dem letzten Fiasko mit einer Kommissar-Anwärterin in Hamm, mit dem er nur haarscharf an einem Disziplinarverfahren vorbeigeschrammt war, hatte er sich selbst ein Gelübde auferlegt: In Zukunft waren Kolleginnen und Mitarbeiterinnen grundsätzlich tabu. Schade eigentlich, dachte Lenz nun und löste sich mühsam aus Frau Gellerts blauen Augen.

      »Wo sind Schröder und Gladow?«, fragte Heitkamp.

      »Im Besprechungsraum. Wir haben heute Morgen eine Leichensache reinbekommen.«

      »Eine Leichensache?«, fuhr Heitkamp auf. »Und warum weiß ich davon nichts?«

      Frau Gellert schwieg, während der Kriminaldirektor sich wieder Lenz zuwandte.

      »Hm, das ist natürlich dumm jetzt.« Heitkamp dachte sichtbar angestrengt nach. »Ach was«, sagte er schließlich. »Kommen Sie, Herr Lenz. Das ist eine gute Gelegenheit, sich sofort ein Bild von Ihrer neuen Mannschaft zu machen.« Er stürmte durch die Bürotür und bog schnellen Schrittes nach links ab.

      »Herzlich willkommen«, sagte Frau Gellert nun lächelnd und zwinkerte Lenz zu.

      Der zog die Augenbrauen hoch und folgte dem Kriminaldirektor.

      »Sieht nach unglaublichem Hass aus«, stellte Kriminalhauptkommissar Schröder gerade fest, als Heitkamp und Lenz den Raum betraten.

      Auf einem Smartboard lief eine Diashow mit Tatortfotos ab, bei der viel Blut und wenig Mensch zu erkennen waren. Um einen u-förmigen Tisch saßen drei Männer und kritzelten Notizen auf ihre Blöcke, eine junge Frau tippte flink auf einem Tablet herum.

      Schröder ignorierte die Neuankömmlinge und fuhr fort: »Der Täter hat gezielt den Kopf des Opfers zerstört und die Hände. Man darf annehmen, dass er dadurch eine Identifizierung zumindest erschweren wollte. Außerdem gibt es frische Verletzungen auf dem Rücken, die auf Folter hinweisen und offenbar von einer Peitsche herrühren. Genaueres wird die Obduktion ergeben.«

      Lenz betrachtete das aktuelle Foto und war sofort wie elektrisiert, als er den völlig zermalmten Schädel sah, beziehungsweise das, was einmal ein Schädel gewesen sein musste. Das war mal was anderes als die Schuss- und Stichverletzungen, mit denen er es in den letzten Jahren im Hammer Südstraßen-Milieu überwiegend zu tun gehabt hatte.

      »Dürfen wir kurz stören?«, unterbrach Kriminaldirektor Heitkamp ungeduldig, wobei sein Tonfall