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»Sie verbergen mir etwas, Taff!«, sagte Min Jian-Ksu mit ungewohnter Schärfe. »Ich habe dieses ungewisse Gefühl nun schon seit mehr als einer Stunde, als ich aus meiner Meditation erwachte.«
»Hat er Meditation gesagt, Dorit?«, fragte Mitani und kicherte geradezu unverschämt.
»Er hat tatsächlich Meditation gesagt«, bestätigte die Freundin nicht weniger fröhlich.
»Eine wirklich seltsame Art zu meditieren, möchte ich behaupten«, assistierte Orvid Bashkiri mit ironischem Grinsen. »Der große Guru hat dabei Geräusche von sich gegeben, die eine verdächtige Ähnlichkeit mit Schnarchtönen hatten. Oder sollten das Nebengeräusche seiner hehren Gedanken gewesen sein? Ich kenne mich schließlich in dieser Materie nicht aus.«
Toburu-Chan wandte sich rasch ab, um das Schmunzeln zu verbergen, das über sein graubraunes Gesicht lief. Nur Rhegos Kytall blieb ernst und schüttelte innerlich den Kopf ob dieser offenen Respektlosigkeit der Crew vor dem Verteidigungsminister Terras.
Auch Taff Caine blieb ernst, wenn auch aus anderen Gründen. Er begann bereits, sich um Lars und Luca zu sorgen, denn von der Spear war seit längerer Zeit kein Lebenszeichen mehr gekommen. Orvid konnte es auch nicht wagen, das Boot mittels der Ortungen zu suchen, denn das hätte zweifellos Hans Argwohn voll geweckt. Der Asiate machte zwar oft den Eindruck eines sanft träumenden Buddhas, aber seinen Augen entging nur wenig.
Er wusste noch nichts von der Exkursion der beiden Raumfahrer, doch er besaß ein feines Gespür für Unstimmigkeiten jeder Art. Offenbar empfand er das betont »normale« Verhalten der anderen als auffällig, obwohl es sich im Grunde nur in winzigen Nuancen von ihrem sonstigen Gebaren unterschied.
Haben wir vielleicht doch hier oder da etwas übertrieben?, fragte sich der Commander. Toburu hat jedenfalls noch nichts gemerkt, aber er ist eben doch nicht so gerissen wie dieser alte Fuchs. Ob es uns noch lange gelingen kann, Min zu täuschen, erscheint mir allmählich fraglich; versuchen müssen wir es aber immerhin.
Es gelang ihm mühelos, ein mildes Lächeln der Verständnislosigkeit auf seinem Gesicht erscheinen zu lassen. Er ignorierte die Anzüglichkeiten seiner Gefährten und fragte knapp: »Was wollen Sie damit sagen, Min?«
»Genau das, was Sie eben gehört haben«, knurrte der Minister und machte eine umfassende Handbewegung. »Ich kenne inzwischen Ihre Art, sich geräuschlos wie eine Schlange durch den Bambusdschungel zu winden, um dann unverhofft zuzuschnappen, nun schon recht gut. Schlafende Opfer sind bevorzugte Ziele dieser Methode, und ich habe vorhin ... äh, ziemlich intensiv meditiert. Was ist in dieser Zeit geschehen, Caine?«
Die Wülste seiner Brauen waren zusammengekniffen, seine Augen musterten den Oberst scharf. Taff lehnte sich lässig zurück, das Lächeln verschwand von seinem Gesicht.
»Derjenige, den Sie hier so schmeichelhaft als Schlange bezeichnen, hat sich keinesfalls gewunden«, entgegnete er kühl. »Ich habe mich die ganze Zeit hier in der Zentrale aufgehalten, die wohl nur schwerlich mit einem Dschungel zu vergleichen ist. Das heißt, von den zehn Minuten abgesehen, in denen ich zur Überprüfung des Hyperdead unterwegs war, was mit zu den Pflichten eines verantwortungsbewussten Kommandanten gehört.«
Sekunden später flog ein siegesgewisses Lächeln über das Gesicht des Asiaten. Er hob die rechte Hand, und sein Zeigefinger stach wie ein Degen durch die Luft dem Commander entgegen.
»Jetzt weiß ich es!«, verkündete er triumphierend. »Seit dieser Zeit sind Gunnarsson und Ladora verschwunden! Wo halten sich die beiden Männer jetzt auf, Taff?«
Caine zuckte mit keiner Wimper, sein Gesicht war beherrscht und zeigte einen betont neutralen Ausdruck. »In ihren Kabinen, nehme ich an«, sagte er ruhig und sachlich. »Ich habe mir erlaubt, ihnen freizugeben, solange sich hier nichts tut. Ist das ein Fehler, Min?«
»Ob Sie einen Fehler begangen haben oder nicht, wird sich bald herausstellen«, erwiderte Min Jian-Ksu mehrdeutig und mit listigem Lächeln. »Ich werde mir nämlich wiederum erlauben, mich persönlich von ihrem jetzigen Aufenthalt zu überzeugen, pflichtbewusster Kommandant!«
Es klang wie purer Hohn, und Taff wusste nun bereits, dass er sein Spiel verloren hatte. Er erhob sich unter den gespannten Blicken der anderen und versicherte: »Ich will Sie dabei gern begleiten, Meister des Zweifels.«
Min winkte jedoch energisch ab. »Eben das werden Sie bleiben lassen, Taff! Unsere Lage ist unklar und unsicher, in solcher Zeit ist Ihr Platz eindeutig hier, wo man zuerst sehen kann, wenn der Tiger seinen Rachen aufsperrt und uns die Zähne zeigt. Ich finde mich im Schiff auch allein zurecht.«
»Amen!«, sagte Mitani, nachdem das Schott hinter ihm zugefahren war. »Das wäre es dann wohl gewesen, großer und derzeit ziemlich ratloser Häuptling vom PROKYON-Stamm. Diesen Mann kann auf die Dauer wirklich niemand düpieren. Immerhin warst du aber doch recht nahe am Erfolg – nimm das als Trost, Taff.«
Caine lächelte gequält. »Irgendwann musste Min es ja doch merken, es ist nur eben erheblich früher geschehen, als es uns lieb sein kann. Dorit und Orvid: Versucht beide sofort, die Spear zu erreichen! Ich mache mir bereits Sorgen, weil die beiden sich nicht wieder gemeldet haben.«
Während der Funk und die Ortungen anliefen, kam Toburu-Chan auf den Commander zu.
»Jetzt habe ich begriffen, Taff«, sagte er ernst. »Während Min schlief und wir in unserer Kabine waren, sind Ihre Männer heimlich ausgeflogen, um die Umgebung zu erkunden. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf daraus, ich hätte dieses sinnlose Stillhalten keine Stunde lang ertragen. Das werde ich auch Min gegenüber deutlich zum Ausdruck bringen, wenn er zornbebend zurückkommt.«
»Danke, Freund«, entgegnete Caine und wandte sich der Funkerin zu. »Hast du Verbindung, Dorit-Mädchen?«
»Sie melden sich nicht!«, sagte Dorit Grenelle leise.
Als dann auch Orvid Bashkiri melden musste, dass es nirgends mehr ein Ortungsecho des Bootes gab, versteinerte Taffs Gesicht.
Er trug die volle Verantwortung für das heimliche Unternehmen, dessen Ausgang jetzt mehr als ungewiss erschien, und die Sorge um das Schicksal der beiden Freunde bedrückte ihn zutiefst. Dagegen erschien ihm der mit Sicherheit bevorstehende Wutausbruch Hans als geradezu bedeutungslos.
6
Die Sendhoren hatten längst vergessen, dass sie eigentlich von einem Planeten stammten. Irgendwann, vor unendlich langer Zeit, hatte man ihre Vorfahren in die Wachboje gebracht und mit der Aufgabe betraut, die in ihrer Wandung vorhandenen technischen Anlagen zu betreuen. Sie waren so etwas wie kosmische Ingenieure gewesen.
Einen großen Teil des technischen Wissens besaßen sie auch jetzt noch, nur wandten sie es nicht mehr sinngemäß an. Das Vergessen ihrer Aufgabe lief mit dem ihrer Herkunft parallel.
Für die Sendhoren war Lerving ihre Welt, etwas anderes außer ihr kannten sie nicht. Es gab etwa eine Million von ihnen, und sie hatten sich den in der Wachboje herrschenden Bedingungen restlos angepasst. Auch als sich diese im Lauf der Zeit immer weiter verschlechterten, hatten sie sich zu helfen gewusst.
Früher einmal waren sie von außen her mit allem versorgt worden, was sie brauchten. Das geschah jedoch schon seit Langem nicht mehr, die Boje war ein abgeschlossenes, stagnierendes System. Die darin Lebenden mussten gezwungenermaßen mit den Dingen auskommen, die sie besaßen, und sie zu erhalten trachten.
Das war nicht immer einfach, denn die technischen Anlagen nutzten sich zwangsläufig immer mehr ab. Versagten sie ganz, wurden sie demontiert und die noch brauchbaren Teile an anderer Stelle zur Reparatur anderer Maschinerien verwendet. Das wiederholte sich immer und immer wieder, nach und nach wurden die Sendhoren wahre Meister der Improvisation auf allen technischen Gebieten. Auch in Bezug auf Recycling hätte