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»Moment mal«, sagte der Commander und ignorierte weiterhin den fremden Befehl, während er hastig überlegte. »Stimmt, das ist der offene Sternhaufen der Plejaden, dessen hellste Sterne auch auf der Erde zu sehen sind. Weshalb erregt dich ihr Anblick so sehr?«
»Weil ich eben etwas begriffen habe«, gab der kleine Astrogator zurück. »Man nennt dieses Bild auch das Siebengestirn, obwohl wir auf Terra paradoxerweise mit bloßem Auge nur sechs seiner Sonnen sehen können. Zählt einmal nach – wie viele sind es jetzt?«
»Sieben«, sagte Dorit lakonisch und leicht befremdet. Immerhin wurde sie durch den Vorfall, genau wie die anderen, soweit abgelenkt, dass sie dem Befehl zum Selbstmord widerstehen konnte. »Das kann aber daran liegen, dass wir uns hier in einem fremden System befinden, wo die Gegebenheiten anders sind.«
Orvid schüttelte entschieden den Kopf.
»Die Sonne Alderamin ist nur etwa vierzig Lichtjahre von der Erde entfernt, und der Blickwinkel auf die Plejaden ist fast derselbe. Diese sind aber vierhundert Lichtjahre weit weg, hier wie bei uns, es ist also völlig ausgeschlossen, dass wir unter normalen Umständen plötzlich einen Stern mehr sehen können. Es gibt nur eine einzig mögliche Erklärung für das Phänomen: Wir befinden uns weit in der Vergangenheit!«
»Entschuldige, wenn ich immer noch begriffsstutzig bin, Freund«, meldete sich Taff wieder zu Wort. »Vielleicht liegt es an dem blauen Nebel oder dem Fremden in meinen Gedanken, dass ich dir im Augenblick nicht folgen kann. Sei also bitte so nett und erlöse mich und die anderen aus der Unwissenheit.«
Bashkiri nickte eifrig.
»Faktor Eins: Seitdem Menschen systematisch Sternenbeobachtung betrieben haben, waren von den etwa 250 Sonnen dieses Haufens stets nur die sechs hellsten ohne Instrumente sichtbar. Faktor Zwei: Es müssen aber vor langer Zeit einmal sieben gewesen sein, sonst hätte das Bild nie den aus grauer Vorzeit überlieferten Namen eines Siebengestirns erhalten können! Aus diesem ergibt sich Faktor Drei: Wir müssen uns weit, zumindest einige Jahrtausende in der Vergangenheit befinden, als es diesen siebenten Stern noch gab. Leuchtet euch das jetzt ein?«
»In etwa schon«, sagte Luca, ehe Caine etwas erwidern konnte. »Einer dieser hellen Sterne muss also irgendwann erloschen oder sonst irgendwie abhanden gekommen sein. Dass wir ihn jetzt und hier sehen, bedeutet also, dass wir uns in einer Zeit befinden, als es ihn noch in voller Pracht gab. Habe ich das korrekt formuliert, Herr Sternengucker?«
»Gut nachgebetet, möchte ich sagen«, schwächte der Astrogator ironisch ab. »Jetzt erhebt sich aber folgende Frage: Wie sind wir so weit in die Vergangenheit gelangt?«
»Durch den Transmitter in der Kuppelhalle!«, sagte Taff, denn der Begriff »Zeitreise« war ihm wie der übrigen Crew seit diversen Erlebnissen durchaus nicht mehr fremd. »Er hat uns nicht nur auf diesen Mond hier gebracht, sondern auch in eine andere Zeit. Das erklärt auch, weshalb es auf diesem Trabanten der Rhea noch eine Atmosphäre und Leben in vielerlei Formen gibt.«
Es gab eine plausible Erklärung, und das milderte den sonst unausbleiblichen Schock für die Menschen um einiges ab. Sie dachten intensiv über ihre Lage nach und verdrängten dadurch völlig den fremden Einfluss auf ihre Hirne. Er wurde zu einem fernen Ruf irgendwo im Hintergrund, den sie mühelos ignorieren konnten.
Das gelang sogar Demosthenes, der nun fragte: »Wie kommen wir aber jetzt wieder in unsere Zeit zurück?«
Das war eine Frage, die unausbleiblich auch die anderen beschäftigte.
Sie waren, auf dem Umweg über die Unterwelt auf Nimboid, in all dies buchstäblich hineingestolpert, ohne es zu wollen. Ihre Lage war alles andere als beneidenswert, aber keiner dachte daran, sich einfach mit ihr abzufinden. Dieser fremde Mond war nicht ihre Welt, sie gehörten weder auf ihn noch in die Vergangenheit!
Ihre Erlebnisse mit den Amazonen, die gespenstische Fahrt auf dem subplanetaren Fluss und das, was danach gekommen war, wurden für sie bedeutungslos. Ihr Überlebenswille erwachte, der Wille, in die Zeit zurückzukehren, in der sie ihre Aufgabe als »Hüter der Menschheit« wahrzunehmen hatten.
Es würde neue Gefahren für sie geben, aber daran waren sie längst gewöhnt. Sie brannten nun förmlich darauf, mit jenen Wesen dieses Trabanten zusammenzutreffen, die hochtrabend Zauberer von Valholl genannt wurden. Es war ihnen eben gelungen, den verderblichen, fremden Bann abzuschütteln, und dieses Erfolgserlebnis gab ihnen Auftrieb und Zuversicht. Falls diese Fremden sie in ihre Zeit geholt hatten, um ihr Spiel mit ihnen zu treiben, sollte dieses zukünftig nach anderen Regeln ablaufen – nach denen der PROKYON-Crew!
Taff Caine ließ den Minister los und streckte sich tatendurstig.
»Irgendwie werden wir es schaffen, Freunde«, erklärte er ernst. »Denkt nur einmal einige Zeit zurück, an unseren Irrweg durch den Transmitterkreis. Damals war unsere Lage so aussichtslos wie selten zuvor. Wir gingen ebenfalls durch Transmitter und gerieten dabei per Zeitsprung immer näher an einen Weltuntergang heran, dem wir dann aber doch entkamen. Auch hier wird sich ein Ausweg für uns finden lassen, dessen bin ich sicher. Die angeblichen Zauberer werden zweifellos nicht nur die eine Anlage in der Kuppelhalle besitzen, sondern vielleicht eine Vielzahl davon. Sie mögen uns wohl in mancher Hinsicht überlegen sein, diese Fremden aus der Vergangenheit, aber sie sollen in der PROKYON-Crew ihren Meister finden.«
Luca Ladora grinste breit.
»Wohl gesprochen, hoher Kommandant!«, rief er pathetisch aus. »Präsentieren wir ihnen unsere Rechnung für alles, was uns hier an Unannehmlichkeiten begegnet ist, und das war nicht eben wenig. Der Gipfel war ihr Befehl an uns, Selbstmord zu begehen; das zeugt von wenig feiner Lebensart.«
»Wir sollten wirklich versuchen, ihnen etwas davon beizubringen«, sagte Mitani, die sich kurzerhand auf den Boden gesetzt hatte. »Ich bin allerdings dafür, dass wir uns zuvor noch eine Weile ausruhen. Meine Knie sind so merkwürdig weich, der geistige Kampf scheint auch an der körperlichen Substanz gezehrt zu haben.«
»Meinetwegen«, sagte Taff, obwohl er selbst nichts dergleichen spürte. »Allerdings sollten wir vorher diesen Ort verlassen, er ist nicht gerade ein idealer Aufenthalt. Falls es auf dieser Seite des Flusses weitere Amazonen gibt, könnten sie leicht auf uns gehetzt werden, nachdem die Psychoattacke fehlgeschlagen ist. In diesem Fall hätte ich gern etwas anderes im Rücken als den Abgrund unterhalb des Schädelfelsens.«
»Ein weiches Kissen, ich weiß«, meinte Dorit. »Dies, und dazu ein großes Glas voll Archer’s Tears und sonstige Annehmlichkeiten. All das werden wir hier aber wohl schwerlich finden, irgendwo tief in der Vergangenheit.«
»Mir genügte schon ein anständiges Essen«, meldete sich Alexandros Demosthenes. »Nach all diesen Aufregungen rebelliert mein Magen doppelt, und seit dem Gastmahl bei Toburu-Chan habe ich nichts Vernünftiges mehr zu mir genommen.«
»Wir werden von dem Rest unserer Konzentrate den Löwenanteil für Sie abzweigen«, versprach ihm Caine und sah sich prüfend um. Der andere Mond war inzwischen höher gestiegen und verbreitete ein milchiges Halblicht. Man erkannte die Silhouetten niedriger Büsche, die auf der dünnen Humusauflage wuchsen, der sich im Laufe der Zeit auf dem Fels gebildet hatte. Zwischen ihnen lokalisierte Taff eine schmale Schneise, die etwas tiefer als die Umgebung lag und den Eindruck eines Pfades erweckte, der regelmäßig begangen wurde.
»Seltsam!«, murmelte er. »Es müsste ein Pfad ins Nichts sein, denn den Aufstieg durch die Felswand habe ich doch vorhin erst im Traum geschaffen.«
Er drehte sich unwillkürlich zu dem Ausstieg hin um, durch den sie ins Freie gelangt waren, und dann erstarrte er. Es gab diese Öffnung im Fels nicht mehr! Dort, wo sie vorher gewesen war, befand sich nur noch eine kompakte Fläche ohne jede Unterbrechung, keine Spur mehr von den Stufen, die er geträumt hatte – einfach nichts.
Er ging ungläubig einige Schritte zurück, und nun wurden auch die anderen aufmerksam. Sie begriffen schnell, gelangten jedoch zu derselben