»Kann sein, muss aber nicht«, sagte Caine, der wieder zu seiner Crew zurückgekehrt war. »Jetzt sind wir einmal hier, also werden wir uns auch gründlich umsehen; nach Nimboid zurückkehren können wir immer noch. Das Tor ist nicht elektronisch verriegelt, sondern besitzt nur ein einfaches Wärmeschloss, das durch Handauflegen betätigt werden kann. Vielleicht finden wir dahinter gerade das, was wir suchen.«
»Er ist immer so herrlich optimistisch, unser großer Kommandant«, spöttelte Luca Ladora. »Ebenso gut können wir aber auch auf eine neue Hinterlassenschaft des Drajur stoßen, auf Mharuts oder ähnlich unerfreuliche Dinge! Der Teufel schläft bekanntlich nie.«
»Dann werden wir ihm eben zu einem kleinen Narkoseschlaf verhelfen, du Miesmacher«, sagte Mitani und hob ihren Handlaser. »Hör nicht auf ihn, Taff, denke an den Ruf, den die glorreiche PROKYON-Crew zu verteidigen hat. Wer der Gefahr aus dem Weg geht, stirbt zwar vielleicht an Altersschwäche, versäumt dafür aber in seinem Leben eine Menge, wie das alte Sprichwort sagt.«
Caine grinste kurz und nickte dann. »Du sagst es, meine schwarze Perle«, bestätigte er. »Die Aussichten, Alexandros hier zu finden oder nicht, stehen pari, also werden wir auf jeden Fall durch dieses Tor gehen, allerdings mit der gebührenden Vorsicht. Los jetzt!«
Er ging voran und legte seine Handfläche auf das Wärmeschloss, das sich in halber Mannshöhe befand. Nach kurzer Zeit ertönte ein leises Scharren, und die beiden Torflügel zogen sich in die Wand zurück. Die sechs Raumfahrer sprangen zur Seite und hoben ihre Waffen, aber nichts geschah. Auch hinter diesem Tor befand sich niemand, der als Gegner für sie in Frage kam.
Sie sahen in einen gleichfalls hell erleuchteten, rechteckigen Korridor von etwa vier Meter Breite und drei Meter Höhe. Er war ungefähr dreißig Meter lang, dahinter pulsierte ein undurchsichtiges, bläulich leuchtendes Energiefeld. Lars hob enttäuscht die Schultern.
»Ein Schutzschirm, der das, was dahinter liegt, gegen unbefugte Eindringlinge absichert! Dagegen kommen wir mit unseren beschränkten Hilfsmitteln nie an.«
Taff winkte ab und wandte sich an den Astrogator. »Du hast doch immer einen Detektor bei dir, mit dem sich die Natur eines solchen Feldes feststellen lässt. Vielleicht hilft er uns auch hier weiter, ohne dass wir lebensgefährliche Versuche anstellen müssen.«
Orvid Bashkiri nickte, schob den linken Ärmel seiner Kombination zurück und aktivierte das kleine Gerät. Es gab ein leises Summen von sich, dann zuckten in rascher Folge Ziffern über die Digitalanzeigen. Orvid wartete, bis sie zur Ruhe gekommen waren, und las sie dann aufmerksam ab. Als er wieder aufsah, flog ein leichtes Lächeln über sein Gesicht.
»Diesmal hast du zu schwarz gesehen, Lars! Dieses Feld sieht zwar gefährlich aus, besteht aber nur aus harmlosen Lichtquanten, die lediglich eine polarisierende Wirkung haben. Lebewesen aller Art können es unbedenklich durchschreiten, ohne irgendwie Schaden zu nehmen.«
»Gut, dann habe ich mich eben geirrt«, gab Gunnarsson zurück und fuhr sich durch sein weißes Haar. »Das ist Luca vorhin auch schon passiert, ich befinde mich also in guter Gesellschaft, soweit man das bei unserem Schmalspur-Casanova sagen kann. Wenn ich daran denke ...«
»Denke lieber später darüber nach«, unterbrach ihn Taff. »Mit jeder verstreichenden Minute kann das Risiko größer werden, für uns ebenso wie für Alexandros Demosthenes. Weiter, wir gehen durch das Feld, natürlich wie immer mit der nötigen Vorsicht.«
Sie durchschritten den Korridor, dessen Wände wie die der Kuppelhalle von bunten Farbmustern bedeckt waren. Kurz vor dem bläulichen Feld hielten sie an, um zu lauschen, aber sie hörten nichts. Entweder war hinter der Lichtbarriere alles still, oder sie schluckte etwaige Geräusche ebenso, sie sie die Sicht auf alles versperrte, was hinter ihr lag.
»Ich gehe zuerst«, sagte Orvid Bashkiri und schob sich durch den pulsierenden Vorhang, ehe ihn jemand aufhalten konnte. Im gleichen Moment entschwand er den Blicken der anderen, die unwillkürlich den Atem anhielten. Gleich darauf erschien jedoch sein linker Arm wieder vor ihnen und winkte ihnen einladend zu. Taff atmete geräuschvoll aus und trat dann als nächster durch das Lichtfeld, die übrigen folgten nach.
Dann starrten sie verblüfft auf die seltsame Szene, die sich ihren Blicken darbot.
*
Sie standen vor dem Eingang zu einer kleinen Schlucht, deren Felswände viel zu regelmäßig geformt waren, um natürlichen Ursprungs sein zu können. Auf ihrem Grund gab es Humusboden, in dem Büsche und blütenbesäte, staudenartige Pflanzen wuchsen, von einem Bach durchflossen, der sich in einiger Entfernung als glitzernder Wasserfall über eine Felsklippe ergoss. Über allem spannte sich ein derart intensiv blauer Himmel, dass auch er zu schön war, um echt zu sein.
Das alles hätte aber nie zu mehr gereicht, als den sechs Menschen nur ein müdes Lächeln abzuringen. Sie hatten, neben viel anderem, Shardeeba gesehen, den Planeten der Illusionen, und ausreichend viele Abenteuer auf den Phantastischen Planeten der Dara erlebt. Jeder von ihnen wusste also zur Genüge, wie eine unechte, simulierte oder künstlich geschaffene Landschaft aussah, und kannte alle Gefahren, die sich dahinter verbergen mochten. Hier gab es zwar keinen Anschein einer Gefahr, dafür aber eine Idylle, die fast noch unglaubwürdiger wirkte als die Umgebung und der Himmel darüber.
Ein Mann saß auf dem Stumpf einer umgestürzten steinernen Säule – Alexandros Demosthenes!
Er trug aber nicht mehr den Schlafanzug, wie zum Zeitpunkt seiner Entführung. Stattdessen hatte er eine enge blaue Hose an, die unten in niedrigen weichen Stiefeln verschwand, sein Oberkörper war mit einer lose fallenden bunten Jacke bedeckt, deren schreiende Farben den Augen geradezu weh taten. Das allein wirkte schon kitschig genug, aber es war längst noch nicht alles.
Alexandros hielt ein gitarrenähnliches Instrument vor sich, seine Finger zupften eifrig auf den Saiten herum. Dazu sang er laut ein Lied in einer Sprache, von der Taff vermutete, dass es Griechisch war. Den visuellen Höhepunkt bildeten jedoch neun bildhübsche, nur spärlich bekleidete Mädchen, die malerisch gruppiert rings um ihn im Kreis saßen!
Sie lauschten verzückt dem Gesang und ließen kein Auge von dem Terraner. Seine Apollfigur schien es ihnen ebenso angetan zu haben wie sein Lied. Alexandros strahlte sie der Reihe nach an, seine ebenmäßigen Zähne blitzten. Dorit Grenelles Gesicht war zu einer Studie in Essig erstarrt, als sie sich an Taff wandte.
»Siehst du auch, was ich sehe?«, raunte sie ihm empört zu. »Wir jagen hinter ihm her und machen uns die größten Sorgen, während er vor einem ganzen Harem schmachtende Liebeslieder singt! Sag mir, dass das nicht wahr ist, Taff!«
»Anscheinend ist es doch wahr«, gab Caine genauso leise zurück. »Ich sehe aber auch etwas, das dir bisher entgangen zu sein scheint: Dieser Harem ist offenbar doch nicht ganz so harmlos, wie es auf den ersten Blick aussieht! Diese Mädchen haben Waffen neben sich liegen, archaisch anmutend zwar, aber zweifellos durchaus echt. Speere, Pfeile und Bögen, dazu kurze Schwerter – sie dürften in den Händen dieser Amazonen recht wirkungsvoll sein!«
Luca Ladora sagte etwas, das Taff nicht verstand, aber jedenfalls um eine Spur zu laut. Die Gruppe vor ihnen war nicht mehr als zwanzig Meter entfernt, und die Amazonen schienen scharfe Ohren zu haben. Eine von ihnen wandte sich um, erblickte die sechs Raumfahrer und stieß einen schrillen Warnschrei aus.
Damit war das Idyll abrupt beendet.
Die neun Mädchen sprangen auf und sahen nun durchaus nicht mehr bildhübsch aus. Ihre Züge verzerrten sich in aufkommender Wut, ihre Hände griffen nach den Waffen. Einige Speere flogen der Crew entgegen, waren jedoch zu schlecht gezielt, um zu treffen, dazu waren Überraschung und Erregung zu groß.
Die Amazonen quittierten das mit einem lauten Wutgeschrei. Wie auf Kommando griffen sie nach ihren Schwertern und stürzten damit auf die Menschen los. Alexandros Demosthenes, der mit wenig geistreichem Gesicht sitzenblieb, war restlos vergessen.