Während er weiterfuhr, überlegte er fieberhaft, welche Möglichkeit sich bot, die Elbe zu überqueren. Er kam zu dem Entschluss, nur die Freihafenelbbrücke kam infrage. Doch dafür musste er komplett durch die HafenCity fahren. Sicher würde die Polizei schon Straßensperren aufgebaut haben und auf ihn warten. Er hatte doch alles so gut geplant, was war bloß falsch gelaufen? Er drückte am Lenkrad die Nägel der Daumen in die Haut der Zeigefinger, bis es schmerzte. Nein, er würde aus keinem Traum erwachen.
Monarch riss sich zusammen. Er legte den Gang ein und raste weiter. Mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr er an den Landungsbrücken vorbei. Hier glaubte er – zu dieser frühen Stunde – nicht mit Polizei rechnen zu müssen. Er war sich absolut sicher, und tatsächlich hielt sich der Verkehr hier auch noch in Grenzen. Vor allem konnte er weit und breit keine Polizeistreife sehen. Er bemühte sich, die normale Atemfrequenz wieder zu erreichen. Die breite Straße verlockte zum Schnellfahren, lenkte er sich ab. Doch während seiner Überlegungen war er etwas auf die entgegenkommende Fahrspur abgedriftet. Ein Lkw hatte aufgeblendet, und gerade noch rechtzeitig lenkte Monarch den Wagen auf seine Spur zurück. Das Hupen des Fahrers klang noch einige Sekunden in seinen Ohren.
„Wagen siebzehn zur Sicherheitsabfrage, kommen!“
Monarch erschrak auf das Heftigste. Sein Herz geriet ins Stolpern und verursachte – zum vorhandenen Unwohlsein – noch ein Gefühl, als setze das lebenswichtige Organ jeden Moment aus.
„Das waren doch die Kollegen!“, stöhnte er laut. Mist, er hatte nicht daran gedacht, den Störsender zu aktivieren. Und natürlich war das sicher auch der Grund, warum die Einsatzkräfte wussten, wo er sich aufhielt. Was war er nur für ein Gangster! Er empfand die Stimme des Kollegen so nah, als so real, als säße der Mann hinten im Wagen und nicht Kilometer entfernt in der Zentrale. Er bremste ab, riss den kleinen Kasten vom Gürtel und fummelte ihn mit der rechten Hand aus seiner Lederimitathülle. Der Wagen schlingerte etwas, doch er bekam ihn wieder in die Spur. Der Einsatz des Jammers war sehr einfach: Einschalten und das kleine elektronische Ding störte – laut Internet-Verkäufer – jegliche gängige Benutzungsfrequenzen. Vom Handy über den Funk bis hin zum GPS-Signal. Wenn man es denn benutzte. Ob das Einschalten jetzt noch sinnvoll war? Egal, die Lautstärke des Funkgeräts stellte er auf null. Das beruhigte ihn ein wenig.
Noch immer hingen Nebelschwaden über Hamburgs Straßen. Ob sich dadurch das GPS-Signal schwerer tat, vom Wagen zum Satelliten durchzudringen? Darüber brauchte er sich keine Gedanken mehr zu machen, der Störsender arbeitete endlich. Eine grüne LED am Gerät signalisierte es ihm. Wieder fragte er sich, ob das Störsignal jetzt noch Sinn machte.
Der IVECO Daily erreichte die Otto-Sill-Brücke, schoss ohne Verzögerung aus der Kurve heraus in die Straße Kajen. Ein entgegenkommender Pkw musste stark bremsen und kam dadurch etwas ins Schleudern. Doch der Kombi fuhr weiter – zum Glück. Einen Verfolger konnte Monarch sich gerade nicht leisten. Nur wenige Minuten war sein Schuss auf den Kollegen her. Er hatte Wowering in den Oberschenkel getroffen, das war nicht lebensgefährlich. Sicher hatte die Polizei den Kollegen am Überfallort schon erstversorgt. Monarch schickte ein Stoßgebet zum Himmel, flehte, dass der Kollege keine bleibenden gesundheitlichen Schäden behielt.
Monarch atmete tief ein, fühlte, dass die Großstadt inzwischen munter wurde. Nach dem Tode Lindas war es für ihn – den Hamburger – wie eine täglich stattfindende Reanimation. Von der Dunkelheit zurück ins helle Leben und wieder zurück. Doch für ihn gab es kein Zurück. Ihm blieb nur noch wenig Zeit; schon in wenigen Minuten würde es weitere Zuschauer geben: Mitwisser, Beobachter. Ständig hielt er nun nach Blaulicht Ausschau, doch die Polizei schien sich bei seiner Verfolgung auf andere Straßen der Hansestadt zu konzentrieren. Er bemerkte, dass ihm das Fahren großen Spaß bereitete. Später würde er sicher den Führerschein machen, alles legalisieren.
Monarch kürzte über den Sandtorkai ab, kurvte den Transporter im dritten Gang unerlaubt in die gesperrte Shanghaiallee. Auf der Baakenhafenbrücke kam ihm ein einzelnes UPS-Fahrzeug entgegen. Das Leben in Hamburg erwachte, wenn die Paketboten ihre Fahrten zu den unermüdlichen Internetkäufern in der Stadt begannen, lachte er leise. Auch Linda hatte gerne im Internet eingekauft. Kurz hinter dem Transporter schoss aus einer Seitenstraße plötzlich ein Polizeiwagen mit eingeschaltetem Blaulicht hervor. Monarch war so in Gedanken vertieft, dass er ihn erst spät wahrnahm. Der Wagen raste zunächst am Kastenwagen vorbei, doch im Rückspiegel erkannte Monarch mit Schrecken, dass er anhielt, um wenig später auf der Straße zu drehen. Nun zeigten die grellen und blinkenden Fahrzeugleuchten in seine Richtung. War jetzt alles zu spät?
Monarch löschte