Hannover sehen und sterben. Thorsten Sueße. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thorsten Sueße
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783827183644
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17

      9 Tage vor der Ermordung von P. R.

      Philipp Rathing wollte die Gunst der Stunde nutzen.

      Der aufgefrischte persönliche Kontakt zu Christian Carben hatte Philipp auf eine Idee gebracht. Das Manuskript für seinen neuen Roman, der sich um das Thema Flüchtlingsfamilien drehte und in einem halben Jahr im Buchhandel erscheinen sollte, war gerade fertiggestellt. Christian hatte mit dem Thema auf zweierlei Weise zu tun – als Koordinator im Jugendamt sowie Lokalpolitiker. Philipp wollte zu einigen Aspekten Christians Meinung hören, um sich Anregungen zu holen für das am Ende des Buches geplante Nachwort.

      Er rief Christian nach Feierabend zu Hause an. Das Telefonat verlief zunächst flüssig und unproblematisch. Der Schriftsteller hatte das Gefühl, dass es Christian gefiel, ein Statement zu „seinen“ Themen abzugeben: Belastungen auf der Flucht traumatisierter Kinder, aber auch Probleme deutscher Familien mit Flüchtlings­familien.

      Zunehmend verfiel Philipp in einen vertrauten Plauder­ton, überlegte im Vorfeld nicht mehr jeden einzelnen Satz.

      Zum Thema Belastungen in Familien rutschte ihm plötzlich heraus: „Ramona und du haben ja wohl früher auch einiges zusammen erlebt, was sie bis heute be­lastet.“

      Von einem Augenblick zum andern kippte die Stimmung.

      Christian wirkte in Alarmbereitschaft versetzt. Mit kühler Stimme fragte er: „Was meinst du damit?“

      Philipp war völlig überrascht, hatte auf seine Bemerkung eine ganz andere Reaktion erwartet: „Eigentlich nichts Konkretes. Und nicht böse gemeint. Ramona hatte nur so eine Andeutung gemacht.“

      Mein letzter Satz war schon wieder Scheiße!

      „… als ich sie am Freitag zu Hause in Isernhagen-Süd besucht habe“, ergänzte Philipp. Christian durfte auf keinen Fall erfahren, dass Philipp die Äußerung von der betrunkenen Ramona aufgeschnappt hatte, nachdem sie gerade in Mardorf miteinander geschlafen hatten. „Also nichts für ungut. Vielleicht hab ich da was falsch verstanden.“

      Christian ließ es dabei bewenden, aber die anfänglich lockere Atmosphäre des Telefonats stellte sich nicht wieder ein.

      Kapitel 18

      8 Tage vor der Ermordung von P. R.

      „Ich muss dringend persönlich mit dir sprechen. Noch heute!“, hatte Christian zu ihr am Telefon gesagt. Er hatte sie vormittags in ihrer Kanzlei angerufen, dabei angedeutet, dass es um eine „wichtige Familienangelegenheit“ ging. Am Nachmittag wollten sie sich bei ihr zu Hause treffen. Das Umfeld seiner dienstlichen Termine am Vormittag ließ es offenbar nicht zu, am Telefon konkreter zu werden. Vermutlich sollten seine Frau und seine Töchter ebenfalls nichts von seinem Gespräch mit Ramona mitbekommen.

      Christian war äußerst angespannt, als er den Bungalow betrat. Bodo und Paul waren um diese Zeit noch nicht zu Hause.

      „Was ist eigentlich los?“, fragte Ramona ängstlich und bat ihren Bruder ins Wohnzimmer.

      Bevor sie sich setzen konnten, stieß er hervor: „Wie viel hast du ihm erzählt?!“

      „Wem?“

      „Philipp.“

      „Gar nichts. Kein Wort.“ Ramona war vor ihrem Bruder stehen geblieben und sah ihn ungläubig an. „Du weißt, dass ich über unsere Familienangelegen­heiten absolutes Stillschweigen bewahre. Das halte ich genauso strikt ein wie du!“

      „Aber nicht, wenn du betrunken bist.“ Christian verzog wütend das Gesicht. „Was, verdammt noch mal, hast du ihm erzählt?“

      „Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht erinnern, ihm etwas über die Vergangenheit unserer Familie gesagt zu haben.“

      Christian teilte ihr mit, welche Andeutung Philipp am Telefon gemacht hatte: „Und er hat eindeutig dich als Informantin benannt.“

      „Viel werd ich ihm auf keinen Fall verraten haben“, murmelte Ramona kleinlaut.

      „Du musst schon ganz schön voll gewesen sein, wenn du dich an nichts mehr erinnerst!“

      Ramona senkte den Kopf: „Ja, Philipp war hier im Haus, um mir den E-Book-Reader zurückzugeben. Ich hatte an dem Abend wohl tatsächlich zu viel getrunken. Bodo kam erst später dazu.“

      „Möglicherweise hat er mehr von dir erfahren, als du dir vorstellen kannst“, fauchte Christian. „Der lässt nicht locker, wenn er Blut geleckt hat.“

      Er packte seine Schwester an beiden Schultern und schüttelte sie: „Wenn irgendjemand herausbekommt, was hier damals gelaufen ist, sind wir erledigt.“

      „Tut mir leid.“ Ramona fing an zu weinen. „Ich mach es wieder gut.“

      „Philipp ist nicht ungefährlich“, sagte er mit eindringlicher Stimme. „Was er erfährt, nutzt er, um daraus möglichst spektakuläre Bücher zu machen. Du hast doch auch gelesen, wie er die schwule Biker-Truppe verarscht hat.“

      Ramona nickte, und Christian nahm sie in den Arm.

      „Tut mir leid, dass ich eben so harsch zu dir war“, sagte er versöhnlich. „Aber ich habe selbst Angst.“

      Kapitel 19

      7 Tage vor der Ermordung von P. R.

      „Ein Herr Rathing möchte Sie dringend sprechen, Chef.“

      Ich bat meine Sekretärin Sonja Mock, den Anruf zu mir ins Büro durchzustellen.

      „Ich möchte dich um Unterstützung bitten, Mark“, kam Philipp nach einer kurzen Begrüßung gleich zur Sache.

      Ich werd sehn, was ich tun kann“, antwortete ich gespannt. „Schieß los!“

      Unser letztes Wiedersehen vorm Polizeikommissariat Mitte Dezember hatte ich noch in schmerzhafter Erinnerung.

      „Seit vorgestern werde ich beobachtet.“ Seine Stimme klang etwas verlegen. „Halt mich jetzt bitte nicht für einen von deinen paranoiden Patienten.“

      „Keine Angst. Was hast du bemerkt?“

      „Gestern Abend, in der Dunkelheit, stand eine Gestalt, die ich nur schemenhaft erkennen konnte, an meinem Gartenzaun. Ich hab den Kerl von oben aus dem Fenster gesehen. Er hat offenbar alles genau beobachtet.“

      „Du bist sicher, dass es ein Mann war?“

      „Eigentlich schon. Er hat mitbekommen, dass ich ihn entdeckt habe, und ist dann abgehauen.“

      „Wäre typisch für einen potenziellen Einbrecher.“

      „Könnte natürlich sein. Vor drei Tagen, am Sonntag, hatte ich ebenfalls schon den Eindruck, dass jemand das Grundstück beobachtet. Aber der Typ war zu weit entfernt und gleich wieder weg, bevor ich ihn richtig wahrgenommen hatte.“

      Es war nicht einmal klar, ob es sich an den beiden Tagen um ein und denselben Mann gehandelt hatte (wenn es denn überhaupt ein Mann war).

      „Der Polizei brauche ich damit nicht zu kommen. Ich weiß, wie die reagieren. Die schicken einmal am Tag einen Streifenwagen durchs Viertel, was eh nichts bringt.“

      Ich ahnte, worauf er hinauswollte – und richtig.

      „Die gleiche Situation wie damals im Dezember“, stellte er fest. „Ich geh davon aus, dass Ralf Grothe es wieder auf mich abgesehen hat. Erst reißt er sich noch am Riemen und beobachtet nur das Haus. Aber nach ein paar Tagen verliert er die Kontrolle.“

      „Hat er nach dem Zwischenfall vor drei Monaten noch einmal Kontakt zu dir aufgenommen?“

      „Nein. Dauert ja wahrscheinlich immer etwas, bis seine Erkrankung wieder durchbricht.“

      Philipps Einschätzung der Situation konnte ich gut nachvollziehen. Ich wusste, dass Grothe schon vor einiger Zeit aus der Langenhagener Klinik nach Hause entlassen worden war. Üblicherweise wurde der Sozialpsychiatrische Dienst über die