Wir haben also drei Arten, drei Stufen des Mutes:
Körperlichen Mut um unserer selbst willen.
Mut für den Nächsten, den Freund, den Nachbarn in Not, für das bedrohte Mutterland.
Schließlich den moralischen Mut, der einen befähigt, sich gegen ungerechte Menschen zu erheben, wie mächtig sie auch immer sein mögen, um sie die Stimme von Recht und Wahrheit vernehmen zu lassen.
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Der König von Almora musste Eindringlinge zurückschlagen, die in sein Gebirgsland eingefallen waren. Dazu warb er eine Anzahl von Männern für ein neues Regiment an und stattete jeden mit einem guten Schwert aus.
„Vorwärts Marsch!“ befahl der König.
Sofort zogen die Männer mit lautem Rasseln ihr Schwert aus der Scheide und schwenkten es mit heftigem Geschrei.
„Was soll das?“ fragte der König.
„Herr“, erwiderten sie, „wir wollen bereit sein, damit der Feind uns nicht überraschen kann.“
„Ihr könnt mir nichts nützen, wenn ihr nervös und aufgeregt seid“, meinte er zu ihnen. „Geht alle nach Hause.“
Ihr seht, dass der König von all dem Lärm und Säbelrasseln nicht beeindruckt war. Er wusste, dass wahrer Mut keines Geschreis und Getöses bedarf.
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In der folgenden Geschichte werdet ihr andererseits sehen, wie ruhig und gefasst Menschen einer Todesgefahr auf See ins Auge geblickt haben.
Ende März 1910 fuhr ein schottisches Passagierschiff von Australien zum Kap der Guten Hoffnung. Es war nicht die Spur einer Wolke am Himmel zu sehen, und die See war ruhig und blau.
Plötzlich, sechs Meilen vor der Westküste Australiens, lief das Schiff auf ein Riff.
Sofort war die gesamte Besatzung auf den Beinen, jeder beeilte sich, als die Pfeifen ertönten. Diese Aufruhr war jedoch nicht das Ergebnis von Verwirrung und Panik.
Ein Befehl erschallte: „Alle Mann in die Boote!“
Die Passagiere legten ihre Rettungswesten an.
Ein blinder Mann wurde von einem Diener über das Deck geführt. Jeder machte ihm Platz. Er war hilflos, und alle wollten, dass er als erster gerettet wurde.
Kurze Zeit später war das Schiff evakuiert und bald darauf sank es. Auf einem der Rettungsboote fing eine Frau zu singen an. Und trotz des Rauschens der Wellen, das manchmal ihre Stimme übertönte, konnten die Ruderer den Refrain hören, der ihren Armen Kraft verlieh:
Bringt uns zum Ufer, Matrosen,
Bringt uns zum Ufer.
Die Schiffbrüchigen erreichten schließlich das Ufer und wurden von gutherzigen Fischern aufgenommen.
Nicht ein Passagier hatte sein Leben verloren. Auf diese Weise waren vierhundertfünfzig Menschen durch ihren ruhigen Mut gerettet worden.
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Ich will euch mehr über diesen ruhigen Mut erzählen, der ohne viel Aufsehen und Zurschaustellung nützliche und edle Dinge vollbringt.
Ein tiefer Fluss floss entlang eines indischen Dorfes mit fünfhundert Häusern.
Die Dorfbewohner hatten bis dahin noch nichts über die Lehren Siddharthas vernommen, und so beschloss der Erhabene, sie aufzusuchen und zu ihnen über den Edlen Pfad zu sprechen.
Er setzte sich unter einen großen Baum, der seine Zweige über das Ufer streckte, und die Dorfbewohner versammelten sich am gegenüberliegenden Ufer. Dann begann er zu sprechen und predigte seine Botschaft von Liebe und Reinheit. Und tatsächlich wurden seine Worte wie durch ein Wunder über das fließende Wasser getragen. Die Bewohner des Dorfes jedoch weigerten sich, das zu glauben, was er sie lehrte, und murrten über ihn.
Nur einer von ihnen wollte mehr wissen und wünschte, dem Erhabenen näher zu kommen.
Es gab weder eine Brücke noch eine Fähre. Und die Legende erzählt, dass der Mann in seinem unerschütterlichen Mut auf dem tiefen Wasser des Flusses zu laufen begann. Auf diese Weise erreichte er den Meister, grüßte ihn und lauschte seinen Worten mit großer Freude.
Überquerte dieser Mann wirklich den Fluss, wie es uns erzählt wird? Wir wissen es nicht. Aber auf jeden Fall besaß er den Mut, den Weg zu gehen, der zum Fortschritt führt. Und die Bewohner seines Dorfes, ergriffen von seinem Vorbild, achteten fortan die Lehren Buddhas; und ihr Geist öffnete sich für edlere Gedanken.
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Es gibt einen Mut, der euch Flüsse überqueren lässt, und einen anderen, der euch hilft, den richtigen Weg einzuschlagen; aber es gehört noch mehr Mut dazu, auf dem rechten Pfad zu bleiben, als ihn einzuschlagen.
Hört das Gleichnis von der Henne und ihren Küken:
Siddhartha, der Erhabene, wies seine Schüler gewöhnlich dazu an, ihr Bestes zu geben und dann darauf zu vertrauen, dass es Früchte tragen werde.
Er sprach: „Ebenso wie eine Henne Eier legt und sie bebrütet, ohne sich ständig zu sorgen: ´Werden meine kleinen Küken mit ihrem Schnabel aus der Schale brechen und das Tageslicht erblicken?`, so sollt auch ihr keine Angst haben: Folgt standhaft dem Edlen Pfad, so werdet auch ihr das Licht erreichen.“
Und dies ist wahrer Mut: den geraden Weg zu gehen, dem Sturm, der Dunkelheit und dem Leid mutig zu begegnen und durchzuhalten und immer, allen Widrigkeiten zum Trotz, dem Licht entgegenzugehen.
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Vor langer, langer Zeit, als Brahmadutta in Benares herrschte, da richtete einer seiner Feinde, der König eines anderen Landes, einen Elefanten ab, um mit ihm in den Krieg zu ziehen.
Der Krieg wurde erklärt. Der wunderbare Elefant trug den König, seinen Herrn, bis zu den Mauern von Benares.
Von den Mauern herab schütteten die Bewohner der belagerten Stadt kochend-heiße Flüssigkeit und schossen Steine mit ihren Schleudern. Anfangs zog sich der Elefant vor diesem erschreckenden Regen zurück.
Aber der Mann, der ihn abgerichtet hatte, rannte zu ihm und schrie:
„O Elefant, du bist ein Held! Handle wie ein Held und reiße die Tore nieder!“
Ermutigt von diesen Worten, griff das riesige Tier an, durchbrach die Tore und führte so seinen König zum Sieg.
Dies zeigt, wie Mut über Hindernisse und Schwierigkeiten triumphiert und die Tore zum Sieg öffnet.
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Nun seht, wie ein ermutigendes Wort Mensch und Tier gleichermaßen helfen kann.
Ein gutes Buch der Moslems gibt uns dafür ein Beispiel durch die Geschichte von Abu Said, dem Dichter, der ein tapferes Herz besaß.
Seine Freunde, die erfahren hatten, dass er daheim krank mit Fieber nieder lag, kamen eines Tages und fragten nach seinem befinden. Sein Sohn empfing sie an der Haustür mit einem Lächeln, denn dem Patienten ging es besser.
Sie traten ein, setzten sich in das Zimmer des kranken Mannes und waren überrascht, ihn in seiner gewohnten guten Laune plaudern zu hören. Da es ein sehr heißer Tag war, schlief er und alle anderen etwas später ein.
Gegen Abend erwachten sie alle. Abu Said ließ Erfrischungen für seine Gäste bringen und Weihrauch anzünden, so dass der Raum mit Wohlgeruch erfüllt werde.
Abu Said betete eine Zeitlang, dann erhob er sich und trug ein kleines, selbstverfasstes Gedicht vor:
Verzweifle nicht in deinem Kummer, denn eine frohe Stunde wird kommen und ihn hinwegtragen;
Der brennende Sommerwind mag wehen und sich doch in eine sanfte Brise verwandeln;
Eine