Der Tod läuft mit. Peter Gerdes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Gerdes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839264164
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Sinas sanft gebräunte Oberschenkel und sein eigener Bauch ins Blickfeld gerieten. Schnell hob er Kopf und Lider. Sina lächelte immer noch, war anscheinend in einer Stimmung, dass sie die Welt hätte umarmen können, und Stahnke spürte den Anflug der Vorstellung, wie es wohl wäre, wenn sie etwas mit ihm anfangen würde. Dann fiel sein Blick auf ein anderes Gesicht oberhalb von Sina Gersemas linker Schulter. Ein büffelbreites Gesicht unter schwarzen Locken über breiten Schultern und einem schweren Körper. Der Mann, der ihn vorhin auf der Strecke fast umgerannt hätte. Ach du Scheiße, dachte Stahnke und wünschte sich sein Fahrrad herbei.

      Dieses impertinente Lächeln, diese affektiert gefletschten Zähne, diese grabschend ausgestreckte Hand. Stahnkes Rechte wurde gepackt und geschüttelt, ehe er sie noch hinter seinem Rücken in Sicherheit bringen konnte. »Herr Hauptkommissar, schön, Sie endlich einmal unter freiem Himmel anzutreffen!« Na klar, gleich zur Begrüßung eine Spitze, hübsch verpackt in Scheinheiligkeit, aber deutlich aus der Hülle herauspiekend. Stahnke wusste schon, warum er diesen Helmut Zimmermann nach Möglichkeit mied. Aber es war eben nicht immer möglich, schließlich war der Kerl unter anderem auch Rechtsanwalt und er Bulle.

      »Mitlaufen hätten Sie sollen, statt hier nur rumzustehen. Das gibt Kraft! Kraft und Freude!«

      Sina, von Zimmermann zur Seite gedrängt, drehte sich halb um und stemmte die Arme in die Hüften, wobei Stahnke einen verstohlenen Blick auf die Rückfront ihrer Radlerhose werfen konnte, die ihren Po perfekt und faltenfrei nachmodellierte. Selbst die üblichen Abdrücke eines Slips waren nicht zu erkennen. Lief sie etwa ohne? Er räusperte sich, ohne so recht zu wissen, warum.

      Zimmermann hielt seine Hand immer noch gepackt, lachte dröhnend und schien weder das Händeschütteln noch das aufgepfropfte Gespräch so schnell abstellen zu wollen. Stahnke richtete seine wasserblauen Augen auf Zimmermanns schwarzbraune aus, tauchte förmlich ein in diesen provozierenden Blick, nahm die Herausforderung an und nagelte ihn dadurch fest. Während er nun ebenfalls die Zähne bleckte, tastete er mit Zeige- und Mittelfinger seiner Rechten über Zimmermanns Handrücken, presste sie in die Lücke zwischen dem zweiten und dritten Mittelhandknochen und verstärkte gleichzeitig den Druck seiner Hand. Zimmermanns Augen weiteten sich, während seine Hand erschlaffte und Stahnke die seinige endlich lösen konnte.

      »Kraft«, sagte er, »Kraft kommt aus der Ruhe, Herr Zimmermann. Nicht aus der Hetze.«

      Das war nicht übel, das sollte ich mir aufschreiben, überlegte Stahnke selbstzufrieden, während sich Zimmermann wortlos abwandte, wobei er seine rechte Hand mit der linken umklammert hielt. Der Druck hatte gepasst, der Schmerz musste heftig gewesen sein. Dass Zimmermann dabei nicht geschrien hatte, passte wiederum zu ihm.

      Sina folgte ihm nicht. Wieso war sie überhaupt mit ihm zusammen aufgetaucht? Eine Zufallsbekanntschaft unter Läufern? Aber sie musste Zimmermann doch kennen, schließlich stand der noch häufiger in der Zeitung als Wendelin Krüger, und nach allem, was Stahnke von Sina wusste, sollte Zimmermanns Gesinnung ihr doch auch nicht sympathischer sein als ihm.

      Sina stand immer noch mit den Händen in den Hüften da, und wenn das Laufen tatsächlich ein Hochgefühl in ihr erzeugt hatte, dann war es inzwischen verflogen. »Was war denn das für ’ne Show?«, zischte sie. »Sie haben sich ja aufgeführt wie ein Gockel. Oberpeinlich! Das hätte Marian auch nicht besser hingekriegt. Was denkt ihr euch eigentlich?«

      Sie schleuderte ihren kastanienroten Haarbusch, der über ihre linke Schulter nach vorne bis über ihre Wange gerutscht war, mit einer energischen Kopfbewegung zurück in den Nacken. »Aber genau das ist es ja wohl, womit ihr Probleme habt. Denken. Scheint wohl wehzutun.« Wütend lief sie davon.

      So kratzbürstig habe ich sie ja noch nie erlebt, dachte Stahnke, während er die erneute Gelegenheit nutzte, Sinas rückwärtige Ansicht zu bewundern. Und so anziehend war sie ihm auch noch nie vorgekommen. Ob es da einen Zusammenhang gab?

      Bisher hatte er Marian Godehaus Freundin immer mit anderen Augen betrachtet, so wie die Ehefrauen von Kollegen; es schien da so etwas wie einen Filter zu geben, den er nur einzuschalten brauchte. Hatte sonst immer funktioniert. Gefährliches Alter? Der Arzt, den Sinas Auftauchen aus seinem Bewusstsein gelöscht hatte wie ein warmer Sommerregen eine Spur im Staub, fiel ihm jetzt wieder ein, und er drehte sich nach ihm um. Aber der junge Mann war nirgendwo mehr zu entdecken.

      Auch Sina war zwischen den umherschlendernden Passanten, die langsam weniger zu werden schienen, verschwunden. Dafür tauchte Marian in Stahnkes Blickfeld auf. Ziemlich weit entfernt, immer wieder von Vo­rübergehenden verdeckt, stand er da und starrte zu ihm herüber.

      Nein, jetzt nicht, dachte Stahnke und wandte sich ab.

      7

      Neonblau. Giftgrün. Latzhosenlila. Wo waren die orangefarbenen? Mit Schwung riss er die zweitoberste Schreibtischschublade auf, so dass sie krachend in die Arretierung schlug und die lose in ihr verstreuten Gegenstände nach vorne gekullert kamen. Da war sie, die orangefarbene Dose, aber sie war leer, das konnte Stahnke schon am Klang erkennen. Ärgerlich warf er die Lade wieder zu.

      Neonblau, giftgrün oder latzhosenlila? Die grünen waren erfahrungsgemäß am besten geeignet, seine Stimme wieder aus dem Weinkeller hervorzulocken, in dem sie sich irgendwann im Laufe der vergangenen Nacht verkrochen hatte. Eukalyptus. Die aber schlugen ihm auf den vom Weingenuss überreizten Magen, auch darüber gab es gesicherte Erfahrungswerte, und um seinen Magen stand es ohnehin wieder einmal nicht zum Besten.

      Brubbelnde Geräusche erschütterten sein Gekröse, und was da ein ums andere Mal mit mühsam unterdrückter Geräuschentwicklung nach oben gestiegen kam, schien konzentrierte Salzsäure zu sein, wie Sumpfwasser durchsetzt mit Blasen aus Faulgas. Nein, keine Giftgrünen. Auch keine Neonblauen. Menthol linderte zwar, half aber nicht wirklich und brannte mindestens ebenso schlimm wie Eukalyptus. Orange wäre ein guter Kompromiss gewesen. Orange aber war alle. Und die Lila mochte er nicht.

      Warum hatte er sie dann gekauft, wenn er sie doch nicht mochte? Er wusste es nicht. Grübelnd hockte er da, starrte vor sich hin und unterdrückte einen weiteren Säuregeysir. Old Faithful, ach ja. Ob er doch mal eins von diesen lila Johannisbeerdingern versuchen sollte? Jeden Moment konnte das Telefon klingeln, dann brauchte er wenigstens so etwas Ähnliches wie eine Stimme.

      Stahnke räusperte sich. Ein wohlgenährter Rülpser nutzte die Gelegenheit zu einem Ausfall aus dem Hinterhalt. Die Eruption klang wie ein Kanonenschlag.

      Oberkommissar Kramer stand im Türrahmen wie hingezaubert, und Stahnke glaubte ihn durch verwehenden Pulverdampf hindurch zu erblicken. Gedankenverloren wedelte er mit der Hand vor seiner Nase herum. Kramer blieb existent, und seine Konturen wurden nach und nach deutlicher. Beamvorgang erfolgreich abgeschlossen, vielen Dank, Scotty.

      »Morgen, Chef.« Ach, das war das Schöne an Kramer. Niemals grüßte er aufgekratzt, niemals missmutig, auf seinen angenehm neutralen Tonfall war Verlass, da konnte es stürmen oder schneien, da konnte das Polizeigebäude brennen oder der eigene Chef rülpsen wie der Krakatau. Sollte Kramer einmal groß im Lotto gewinnen, ihm würde man es gewiss nicht anmerken. Oder hatte er schon? Wer konnte es sagen?

      »Sind Sie reich, Kramer?«, krächzte Stahnke.

      »Nein, Chef«, sagte Kramer und verschwand im Nebenzimmer.

      »Aber für einen Kaffee wird’s doch reichen.«

      »Kaffee immer, Chef.« Inge hatte Urlaub, eine Vertretung gab es nicht, und weil niemand außer Inge jemals daran dachte, Kaffeepulver für die Maschine zu kaufen, blieb nur noch der Automat. Beim Gedanken an das bittere Zeug in den Plastikbechern, von denen es sich auch farblich kaum unterschied, krampfte sich Stahnkes Magen bedrohlich zusammen.

      Aber etwas Warmes trinken musste er jetzt unbedingt, der Kehle wegen. Warum konnte man eigentlich nicht zwischen Speiseröhre und Magen eine Weiche einbauen und das Zeug einfach ableiten, nachdem es in Hals und Rachen seine Wärme verströmt hatte? So etwas hätte er letzte Nacht schon gut brauchen können, für den Wein. Jedenfalls für die zweite Halbzeit.

      Kramer stellte den dampfenden Kaffeebecher vor ihn hin, und er trank. Erst tat es gut, dann tat es weh. Wie erwartet. Wie kochendes