»Wo ist der Haken?«
»Es gibt keinen Haken.« Louis lächelte, halb ernst, wie immer. »Er ist ein guter Christ. Und schließlich ist die Firma so gewachsen, dass sich die ganze Stadt verdoppelt hat. Die Schulen und öffentlichen Gebäude sind alle nicht mehr groß genug, und die Regierung baut ganz schnell all diese beschissenen Anlagen, um die Leute unterzubringen. Also beschließt unser Held, J. Irwin, die Gewinne der Firma zu nutzen, um richtige Architekten dafür zu bezahlen, diese Gebäude zu entwerfen.«
»Und er bezahlt für alles?«
»Er stockt den Regierungshaushalt auf, um gute Architekten zu bekommen, und nicht irgendwelche Plattenbauten.«
»Also baut er zuerst eure Kirche.«
»Die Kirche ist seine ganz besondere Herzensangelegenheit. Das war so eine Art Testlauf, um die Stadt davon zu überzeugen, dass moderne Architektur schon okay ist. Die Provinzeier im Mittleren Westen ›kapieren‹ die Moderne eben nicht, wenn du ihnen das Ganze nicht mit Religion versüßt. Er überzeugt die Gemeinde, indem er den Leuten das Gefühl gibt, sie wären am Gestaltungsprozess beteiligt. Er fragt sie, was sie eigentlich von einer Kirche wollen.«
»Bürgerbeteiligung – partizipatorische Raumpraxis, bottom-up!«
»Genau.« Louis lachte. »Seiner Zeit um Lichtjahre voraus.«
»Warum weißt du so viel darüber?«
»Ich habe während des Studiums eine Arbeit dazu geschrieben.«
»Was war das für eine Arbeit?«
Er räusperte sich und tat so, als würde er eine Brille seine Nase hochschieben.
»Nun, meine These lautete, dass Irwin der Urvater der kreativen Stadtplanung ist, weil er eine Architektur bauen ließ, die kluge, junge Leute in die Einöde locken würde, um für seine Motorenfirma zu arbeiten. So begründete er das kulturelle Kapital der Stadt und konnte berühmte Architekten kennenlernen. Und gleichzeitig entwickelte er auch noch diesen aufwendigen Steuertrick. Er erfand die Unternehmensphilanthropie als Werbemaßnahme und als einen Weg, Steuern zu sparen. Er brachte öffentliche, private und persönliche Interessen in Einklang. Der perfekte Dreier.«
»Was macht Cummins heute?«
»Nichts mehr, so richtig. Die Zeit des Diesels ist vorbei. Und nach Irwins Tod haben sie ihre Innovationsbereitschaft verloren. Es war kein Geld mehr da, um neue Architektur zu bauen oder meine Kirche instandzuhalten.«
Meine Kirche. Ein sonderbarer Besitzanspruch. Ein Besitzanspruch, der einem Mangel entwuchs.
»Vielleicht brauchen die einen neuen Irwin«, sagte sie.
»Die Welt braucht einen neuen Irwin.«
»Vielleicht bist du der neue Irwin.«
»Eher nicht.« Er sah weg, in Richtung Fenster und der absoluten Dunkelheit dahinter. »Weißt du, was mir klar geworden ist, als ich zuhause war?«
»Was?«
»Ich habe keinen Grund mehr, nach Columbus zurückzukehren.«
Wie sie vermutet hatte, waren sie wieder dort angelangt, wo ihr Gespräch begonnen hatte. Sie konnte ihn mit den Händen in der Luft herumwirbeln, sich um Konzepte und seine eigenen Gedanken drehen lassen, während sie im Stillen neue Kreise zog. Irgendwann kehrte er immer zum Ausgangspunkt zurück und sie konnte entschlüsseln, warum er welchen Weg eingeschlagen hatte. Der Weg war immer ein anderer – darum ging sie überhaupt mit – aber die Methode, fortzugehen, um zurückkehren zu können, war so vorhersehbar, so ineffizient.
Zum ersten Mal verspürte sie Ärger darüber, dass Louis sich selbst immer erst hinter sich lassen musste, um dann wieder zurückkehren zu können. Wenn er die ganze Welt in Worte fassen konnte, sollte es ihm doch auch möglich sein, die eigene Existenz direkt in Worte zu fassen. Wenn er das nicht konnte, worin lag dann der Sinn all der Runden, die sie gemeinsam drehten?
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