Kobe Bryant. Roland Lazenby. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roland Lazenby
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783903183810
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über die Vergangenheit zu sprechen. Er kam als Teil der großen Migrationswelle von Afroamerikanern, die aus dem Süden der USA in den Norden zogen, genauer gesagt aus dem sogenannten „Black Belt“1 im Bundesstaat Georgia, der sich entlang des Highway 41 durch den ganzen Bundesstaat zog.

      Philadelphia war ein beliebtes Ziel. Vor allem Südwest Philly das aus ehemaligen Farmen, Landhäusern und botanischen Gärten im 19. Jahrhundert entstanden war, wurde zum Anziehungspunkt – erst für Migranten aus Europa, dann für Afroamerikaner, die Arbeit suchten. Um 1900 bestand die Bevölkerung der Stadt der brüderlichen Liebe, wie Philadelphia auch genannt wird, weitgehend aus Kaukasiern, doch das begann sich in den 1920ern, 30ern und 40ern rasch zu ändern, als Millionen von Schwarzen Richtung Norden zogen. Tagtäglich kamen Afroamerikaner in Zügen aus dem Süden in die Stadt, erzählt Julius Thompson, einer der ersten farbigen Sportjournalisten, die bei einer der großen Tageszeitungen an der Ostküste anheuerten. Nachdem es mit der Landwirtschaft in den 1930ern bergab gegangen war, packten viele Afroamerikaner ihr bisschen Hab und Gut zusammen und machten sich auf den Weg in die Städte des Nordens, um Arbeit zu finden und ein neues Leben zu beginnen. Diese Abwanderung wurde vor allem durch den Preisverfall landwirtschaftlicher Güter während der Depression begünstigt, die dem System des Pächterwesens ein jähes Ende setzte. Die Landwirtschaft war oft die einzige Möglichkeit für Afroamerikaner ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, in einem Land, in dem ihnen der Zugang zu Bildung lange verwehrt geblieben war.

      Dazu kam die jahrzehntelange Gewalt weißer Lynchmobs gegenüber Farbigen, die die Migration beschleunigte. Brutale Vorfälle, die oft detailreich von den Tageszeitungen im Süden der USA beschrieben wurden. Mit dem Versprechen auf Arbeit während der Kriegsjahre in den Docks von Philadelphia und anderen Städten an der Ostküste in den 1940ern wurde die Verlockung in den Norden zu ziehen noch größer. Nach dem Krieg, als sich die Wirtschaft wieder komplett erholt hatte, wuchs die Zahl der Jobs sogar noch weiter.

      In Georgia hatte Big Joe Bryant zusammen mit seinem Vater – der erste in einer Reihe von drei Joe Bryants – in der Landwirtschaft gearbeitet. Sechzig Stunden in der Woche für ein paar Cents am Tag. Alte Zensusaufzeichnungen belegen, dass Big Joes Großvater in den 1840ern in die Sklaverei geboren worden war und, so wie sein Sohn nach ihm, sein Leben auf den brutalen, gnadenlosen Feldern des Südens verbrachte. So wie viele andere war Big Joe Bryant ein Migrant, als er als junger Mann in Philadelphia ankam. Nachdem Big Joe den Umstieg vom Land- zum Stadtleben gewagt hatte, gründete er eine Familie. Zusammen mit seiner Frau hatte er drei Kinder, die er verehrte – vor allem seinen Ältesten, der seinen Namen trug.

      Jellybean war schrecklich mager, doch aufgrund seiner Größe ließen ihn die älteren Jugendlichen, die die meisten Plätze für sich beanspruchten, bei ihnen mitspielen. Dafür war er immer dankbar. Wegen seiner schwächeren Statur lernte er an der Drei-PunkteLinie zu spielen. Diese Stunden mit den älteren Burschen auf den öffentlichen Basketballplätzen gaben ihm eine Identität. Er begann sich als Basketballer zu fühlen. Jahre später würde es seinem Sohn Kobe ähnlich ergehen. Ein Geschenk, welches die beiden miteinander teilten – ihre Liebe zum Basketball schon in frühester Jugend zu erkennen. „Er liebte das Spiel. Er spielte, damit er dieses Gefühl spüren konnte“, sagt Julius Thompson über Jellybean, obwohl er dasselbe über Kobe hätte sagen können.

      Eines von Jellybeans frühen Idolen war Earl „the Pearl“ Monroe, der in den Sechzigern an der John Bartram High gespielt hatte. Monroe hatte seine eigene Art der Ballbehandlung und spielte unglaublich, als er Bartram 1963 zum Titel in der Philly Public League führte, vor den staunenden Augen des damals neun Jahre alten Joe Bryant. Es dauerte nicht lange, bis Earl Monroe auf die Winston-Salem State ging und danach bei den alten Baltimore Bullets und schließlich den New York Knicks landete. Für den jungen Joe Bryant und viele andere in den Generationen danach war Monroe ein leuchtender Stern am Basketballhimmel. So wie die Stars der 76ers aus der Saison 1966/67, als sie den NBA-Titel gewannen und Joe Bryant gerade einmal zwölf war – Spieler wie Wali Jones, Chet Walker, Hal Greer, Luke Jackson und Wilt „the Stilt“ Chamberlain. Kurz danach wurde Joe ein Fan von Kenny Durrett, dem Star an der La Salle University.

      Joe war fasziniert von Durretts auffälligem Spielstil und verbrachte Stunden damit, den Ball zwischen seinen Beinen und hinter seinem Rücken hin und her zu dribbeln und blinde Pässe zu spielen. Alles Dinge, die kein großgewachsener Spieler damals auch nur ansatzweise ausprobiert hätte. Schon bald erkannten die Leute, dass es nichts gab, was JB – wie man ihn an der Shaw Junior High und dann später an der Bartram nannte – nicht mit einem Basketball tun konnte. Er hatte bereits ein natürliches Flair, ein spezielles Gefühl für die Showelemente dieses Sports, die nur wenige beherrschten – eine Mixtur aus Earl the Pearl, Bob Cousy, den Harlem Globetrotters und „Pistol“ Pete Maravich. Wo auch immer JB spielte, wurde er bestaunt. So große Typen wie er hatten normalerweise nicht diese Ballbehandlung.

      Ärger an jeder Straßenecke

      Als Jelly in die neunte Klasse kam, war er bereits knapp über zwei Meter groß. Dementsprechend lange waren auch seine Schritte, wenn er lief. Musste er irgendwo hingehen, begann er einfach zu joggen, um schneller dort zu sein. Das war eine Eigenschaft, die ihn besonders bei den Laufathletiktrainern der Stadt beliebt machte, aber auch bei den Talentsuchern im Basketball.

      Oberflächlich betrachtet mag es so erscheinen, als ob Basketball im Philadelphia der späten 60er und frühen 70er Jahre eine schöne, nostalgische Geschichte gewesen wäre, hätte es da nicht ein großes Problem gegeben. Die Stadt war damals in einem dunklen Loch gefangen, in dem Straßenbanden an jeder Ecke lauerten und jungen Burschen, die dort aufwuchsen, Schwierigkeiten bereiteten. Die Philadelphia Daily News würde später einmal berichten, dass sich die Stadt im Würgegriff von 106 verschiedenen Gangs befand, jede davon mit ihrem eigenen Territorium und Mitgliedern die oft mit selbstgebauten, improvisierten Schusswaffen herumliefen. Die Territorialkämpfe unter den Banden, die sich sogar bis auf die Schulhöfe der Stadt erstreckten, forderten das Leben vieler junger Männer. Wie fest die Gangs Philadelphias Jugendliche im Griff hatten, zeigte sich daran, dass man es oft nur bis zur Schule schaffte – beziehungsweise man den Schultag überlebte – wenn man Mitglied in einer der örtlichen Gangs war. Nur in der Masse war man stark, allein blieb man auf der Strecke.

      Allein im Jahr 1969, Joe Bryants erstem Jahr an der Bartram High, wurden 45 Morde im Zusammenhang mit Bandenkriminalität gezählt. Die Spannungen waren an allen Highschools der Stadt zu bemerken. So begannen Gangs bereits Burschen im Volksschulalter für sich zu rekrutieren. Doch irgendwie hatte Jellybean Bryant Glück. „Wenn du kein Sportler warst, dann warst du in Schwierigkeiten“, sagt Julius Thompson. „Diejenigen, die es schafften, hatten großen Rückhalt zu Hause.“

      „Wenn ich so zurückblicke“, erinnert sich Gilbert Saunders, „ging es um Orientierung. Wie viele andere Kinder irrte auch Joe orientierungslos herum. Da brauchte es dann schon das sprichwörtliche Dorf, um Joe Bryant großzuziehen.“ Basketball war dieses „Dorf“ oder, besser gesagt, die Kraft, die alles zusammenhielt. Zusätzlich zu Big Joe, der immer ein Auge auf seinen Sohn hatte, dem Wohlwollen von Saunders’ Eltern und den Trainern and der Schule, war die Philadelphia Legende Sonny Hill und dessen BasketballLigen wohl der größte Faktor in Bryants Leben. Hill war so gut wie immer da, wenn es kritisch wurde und half Dinge, die schief gelaufen waren, wieder geradezubiegen.

      Eine ähnliche Rolle spielte er im Leben vieler junger Spieler aus Philadelphia. Wie Gilbert Saunders schon sagte: „Sonny Hill hat mir buchstäblich das Leben gerettet. Und das Leben vieler anderer.“

      Ein kleiner, drahtiger Guard, der in der alten Eastern League gespielt hatte, als die NBA aus nur zehn Teams und einer Handvoll Farbiger bestand, machte Sonny Hill Karriere als populärer Sportreporter sowie als Gewerkschaftsboss und Gemeinschaftsaktivist. Hill war selbst auf den Straßen Philadelphias aufgewachsen und wusste genau, welche Herausforderungen auf junge Spieler zukamen, sowohl in ihrem Leben als auch im Sport. Anfang der 1960er Jahre gründete Hill die Baker League, eine Sommerliga für Profis. Bald schon erreichte dieses Turnier einen hohen Bekanntheitsgrad, nachdem es Bill Bradley, der bei den New York Knicks unter Vertrag stand und sich ein Jahr Auszeit genommen hatte, geholfen hatte, sein Spiel wieder zu verbessern. Die Baker League Spiele im Sommer waren oft viel besser als