Verschwörungsmythen. Michael Blume. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Blume
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783843612876
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      Michael Blume

      Verschwörungsmythen –

       woher sie kommen,

       was sie anrichten,

       wie wir ihnen begegnen können

      Patmos Verlag

      Inhalt

       Die tödliche Falle

       1. Platons Falle des Dualismus

       Der Mensch »als armes oder reiches Wesen«

       Monismus versus Dualismus im Judentum

       Die Wirkungen von Feindbildern

       Fuchs in selbstgebauter Falle: Martin Heidegger

       Die Verschwörungsideologie des »Islamischen Staates« (IS)

       2. Vom Mobber zum Mörder: die Falle der Schuldumkehr

       Der Schub in die Höhle: Hitlers heimliche Angst

       Erschütterungen von Zeit und Raum durch neue Medien

       Prognose: Kein Staatsstreich für Donald Trump

       3. Freiheit statt Verschwörungsglauben

       »Falsche Erinnerungen« und der Rothschild-Verschwörungsmythos

       Was hilft gegen Verschwörungsglauben?

       Gegen Verschwörungsglauben vortragen

       Die Arbeit und die Freiheit von Edith Eger

       Danke

       Anmerkungen

       Über den Autor

       Über das Buch

       Impressum

       Hinweise des Verlags

      Gewidmet

      Zehra – für das Miteinander

      in Liebe, Glaube, Hoffnung

      Die tödliche Falle

      »Schließlich sollte man die Tricks,

       von denen ich gesprochen habe,

       dingfest machen, ihnen sehr drastische

       Namen geben, sie genau beschreiben,

       ihre Implikationen beschreiben und

       gewissermaßen versuchen, dadurch die

       Massen gegen diese Tricks zu impfen,

       denn schließlich will niemand

       ein Dummer sein.«

       Theodor Adorno (1967)1

      »Sich als Opfer zu definieren

       ist ein Bestreiten dessen,

       was uns zu Menschen macht.«

       Jonathan Sacks (2015)2

      »Red Alert« – »Alarmstufe Rot«: Dieser Schriftzug springt Ihnen auch heute noch ent­gegen, wenn Sie die Website http://www.heavensgate.com vom 26. März 1997 aufrufen. An diesem Tag töteten sich die letzten neun Angehörigen der »Klasse«, die durch die Aufgabe ihres Körpers in ein rettendes Raumschiff gebeamt werden wollten. Einen Tag zuvor hatten sich bereits 15 Erwach­sene getötet, einen weiteren Tag davor noch einmal 15. So starben insgesamt 39 Menschen innerhalb von drei Tagen, jeweils in einheitlicher, schwarzer Kleidung und mit jeweils 5,75 Dollar in der Tasche. Auf ihren ebenfalls einheitlichen Armbändern stand »Heaven’s Gate Away Team«. Auch der Gründer der Sekte, Marshall Herff Applewhite (1931–1997), befand sich unter den Toten. Einige Woche später suizidierte sich noch ein weiteres ehemaliges Mitglied, das es »bedauert« hatte, nicht beim »Aufstieg« dabei gewesen zu sein. Ein weiterer Suizidversuch ging fehl.3

      Die Anhängerinnen und Anhänger der neureligiösen Gemeinschaft glaubten, dass die Erde von einer Verschwörung »luziferianischer« Außerirdischer kontrolliert werde und der Menschheit ein katastrophales »Recycling« drohe. Nur wenige Auserwählte, die in der internen »Schule« über Jahre hinweg ausgebildet worden waren, würden von einem Raumschiff guter Aliens – darunter Jesus – gerettet, das sich im Gefolge des Hale-Bopp-Kometen befinde. Das Aufgeben ihres Körpers sei demnach nur der Schritt hinauf auf »den nächsten Level«. Dieser Glaube führte sie in den Tod.

      Wir wollen uns gern einreden, dass hier nur vereinzelte, willensschwache Menschen in eine Art »Gehirnwäsche« geraten und so in den Tod getrieben worden wären. Doch dass Applewhite Philosophie studiert und an einer Hochschule Musik gelehrt hat, dass kluge und gebildete Mitglieder der Gruppe zuletzt durch das Programmieren von Websites Geld verdient haben, verunsichert uns. Der Religionswissenschaftler James Lewis bemerkte schon 2003 in einer Studie zu Heaven’s Gate: »So lange eine neue Religion die Sorgen ihrer Follower anzusprechen vermag, werden selbst Dinge wie eine fehl­geschlagene Prophezeiung oder offensicht­liche Heuchelei ihres Anführers keine Glaubenskrise auslösen. [...] Es war daher ein relativ kleiner Schritt für Applewhite, einen Gruppensuizid zu begründen.«4

      Aber so etwas, so werden wir uns vielleicht trösten, kann doch sicher nur in den USA oder anderen weit entfernten Gesellschaften geschehen.

      Wirklich? Zwischen 1994 und 1997 ermordeten und töteten sich in insgesamt vier Gruppen insgesamt 74 Anhängerinnen und Anhänger des »Sonnentempler«-Ordens in der Schweiz und in Kanada. Eltern nahmen Kinder mit in den Tod. Zu den Mitgliedern der überaus wohl­habenden Gemeinschaft zählten Arzt- und Unternehmer-, Bürgermeister- und Musikerfamilien ebenso wie Polizisten. Presseberichte, Ermittlungen und sogar zeitweilige Verhaftungen hatten die Mitglieder auch nach dem Suizid ihres Anführers nicht davon abhalten können, gruppenweise ihre »Reise in die Ewigkeit« anzutreten. Auslöser der Mord- und Selbstmordserie war der Verschwörungsglaube des Sektengründers, der in seiner Tochter den Messias und in einem anderen Jungen den »Antichristen« erkannt haben wollte.5

      Mit ungezählten Toten rasten im 20. Jahrhundert auch politische Bewegungen in den kollektiven Suizid. Noch 1926 hatte sich zum Beispiel der sowjetische Gewerkschaftsführer Michail Tomski an der Kampagne Stalins gegen dessen – später in Mexiko ermordeten – Rivalen Leo Trotzki (1879–1940) beteiligt. Ein Jahr später hatte Tomski in der »Prawda« (»Die Wahrheit«) noch launig erklärt, dass »unter der Diktatur des Proletariats zwei, drei oder vier Parteien existieren können, aber unter der einen Bedingung: dass eine von ihnen an der Macht und die anderen im Gefängnis sind«.