Für Jacques Derrida bildete die Tätigkeit als Lehrender zeitlebens eine Quelle seines Denkens und Schreibens. Mit Die Todesstrafe liegt nun ein weiteres der Seminare Derridas vor.
Reflexionen über das „Vergeben“ und das „Nichtvergebbare“ führen Derrida zur Befragung der Todesstrafe als irreversible Sanktion. Im Fokus stehen dabei vor allem drei Begriffe, die sich als problematisch erweisen: Souveränität, Ausnahme und Grausamkeit. Es stellt sich die Frage, warum internationale Konventionen die Abschaffung grausamer Strafen fordern, insbesondere der Todesstrafe, ohne die Staaten je dazu zu verpflichten – mit der Begründung, dass ihre Souveränität zu achten sei. Ausgehend von vier paradigmatischen Fällen zum Tode Verurteilter (Sokrates, Jesus, Al Halladsch, Jeanne d’Arc) wird anhand kanonischer Texte (Beccaria, Kant, Hugo, Camus, Genet, Badinter) und einschlägiger Rechtsdokumente die Logik und Rhetorik dieser Argumentation untersucht. Konkrete Bezugspunkte bilden dabei die Bewegungen zur Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich (1981 erfolgreich) und den USA.
Jacques Derrida (1930-2004) lehrte Philosophie in Paris und den USA.
Jacques Derrida
Die Todesstrafe I
Seminar 1999–2000
Aus dem Französischen von Markus Sedlaczek
Hg. von Geoffroy Bennington, Marc Crépon
und Thomas Dutoit
Passagen forum
Herausgegeben von Peter Engelmann
Deutsche Erstausgabe
Titel der Originalausgabe: Séminaire La peine de mort. Volume I (1999–2000)
Aus dem Französischen von Markus Sedlaczek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-7092-0325-5
eISBN (EPUB) 978-3-7092-5038-9
© 2012 by Éditions Galilée, Paris
© der dt. Ausgabe 2018 by Passagen Verlag Ges. m. b. H., Wien
Grafisches Konzept: Gregor Eichinger
Satz: Passagen Verlag Ges. m. b. H., Wien
Inhalt
Erste Sitzung. 8. Dezember 1999
Erste Sitzung. 8. Dezember 1999 (Fortsetzung)
Zweite Sitzung. 15. Dezember 1999
Dritte Sitzung. 12. Januar 2000
Vierte Sitzung. 19. Januar 2000
Fünfte Sitzung. 26. Januar 2000
Sechste Sitzung. 2. Februar 2000
Siebte Sitzung. 9. Februar 2000
Achte Sitzung. 23. Februar 2000
Neunte Sitzung. 1./8. März 2000
Verzeichnis der ausführlich zitierten Literatur
Allgemeine Einführung
Die Gesamtausgabe der Seminare und Vorlesungen Jacques Derridas wird dem Leser die beispiellose und – im mehrfachen Sinne des Wortes – unerhörte Chance bieten, mit dem gesprochenen Wort des Philosophen in Berührung zu kommen, wie es im Rahmen seiner Lehrtätigkeiten geäußert wurde. Diese Ausgabe wird einen neuen Teil seines Werkes darstellen, der zu unterscheiden ist von den Büchern und anderen Texten, die er zu Lebzeiten veröffentlichte oder noch vor seinem Tod durchgesehen hat; dieser Teil besitzt natürlich einen anderen Status als jene. Ob als eigenständiges Ganzes genommen oder in ihrem Verhältnis zu Derridas philosophischem Werk betrachtet werden diese Vorlesungen und Seminare der Forschung ein unvergleichliches Hilfsmittel an die Hand geben und, so glauben wir zumindest, sein Denken in anderer Weise erfahrbar machen, diesmal eben in Verbindung mit seiner – in Frankreich wie im Ausland ausgeübten – Tätigkeit als Lehrender, die stets eine lebendige Quelle seines Schreibens bildete.
Das Korpus, das wir zur Publikation vorbereiten, ist von gewaltigem Umfang. Vom Beginn seiner Lehrtätigkeit an hatte Jacques Derrida es sich zur Gewohnheit gemacht, fast alle seiner Vorlesungen und Seminare vollständig niederzuschreiben. Wir verfügen in diesem Zusammenhang gegenwärtig über das Äquivalent von ungefähr 14 000 Druckseiten, das heißt 43 Bänden oder 1 Band pro Studienjahr. Man kann dieses Material nach verschiedenen Kriterien klassifizieren. Zunächst einmal nach den jeweiligen Orten der Lehre: an der Sorbonne 1960-1964; an der École normale supérieure in der Rue d’Ulm 1964-1984; an der École des hautes études en sciences sociales (EHESS) 1984-2003.1 Sodann nach der Art der jeweiligen Lehrveranstaltung: bis 1964 Vorlesungen mit einer wechselnden Anzahl von Sitzungen (die von einer bis 15 reicht); später dann das, was er stets „Seminare“ nannte. Schließlich – und dieses Kriterium ist für die editorische Arbeit zweifellos am relevantesten – nach den Arbeitswerkzeugen: handgeschriebene Sitzungstexte von 1960 bis 1969; maschinengeschriebene, mit handschriftlichen Anmerkungen und Korrekturen versehene Sitzungstexte von 1969 bis 1987; am Computer verfasste Sitzungstexte von 1987 bis 2003.
Jacques Derridas Seminare, die eine eigentümliche Form besaßen und bereits in der Rue d’Ulm (wo die Wahl der Themen und der Autoren, wenn nicht sogar ihre Behandlungsweise den Zwängen des Studiengangs zur Erlangung der agrégation2 unterworfen war) ein großes und breit gefächertes, internationales Publikum anzogen, nahmen an der EHESS ihren endgültigen Charakter an: Am Mittwoch, von 17 bis 19 Uhr, in circa zwölf Sitzungen pro Studienjahr, trug Jacques Derrida vor einer großen Zuhörerschaft