Wo sind sie geblieben. F. John-Ferrer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: F. John-Ferrer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783475543180
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zu.

      »Herr Leutnant«, sagt Hajek ohne Schwung.

      Warnicke blickt schief herüber. »Na …? Was ist?«, fragt er und grinst.

      Hajek gibt sich einen Ruck. »Der Klotz ist Vater geworden, Herr Leutnant. Das erste Kind. Seine Frau schreibt, sie will mit der Taufe warten –«

      Schweigen.

      Einer der beiden Melder richtet sich auf und reibt sich die Augen. Leutnant Warnicke starrt in die Glut und reibt sich noch immer die langen Hände.

      »Ich bin dafür, dass wir den Klotz für ein paar Tage heimschicken, Herr Leutnant. Ich befürworte den Sonderurlaub. Klotz … ich meine, man sollte bei ihm eine Ausnahme machen.«

      »Hm …« Mehr antwortet Warnicke nicht. Dann lässt er die vorgestreckten Hände sinken, knöpft den zerknitterten Mantel auf. Am Hals funkelt etwas, halb verdeckt von dem langen grauen Schal. Noch bevor Hajek etwas erwidert, rasselt das Feldtelefon. Höhn nimmt den Hörer ab und meldet sich unter dem Decknamen der Zwoten. »Jawohl«, murmelt er, und legt den Hörer wieder hin. »Ein Melder zum Bataillon«, sagt er dann. Und sich zu den beiden im Stroh liegenden Leuten umdrehend: »Max, mach dich auf die Socken zum Bataillon!«

      Der Landser rappelt sich hoch und legt die graue Decke zusammen. Leutnant Warnicke hat eine Weile in die Glut des Holzkohlenofens gestarrt, ist sich einmal mit der Hand übers Gesicht gefahren. Jetzt sagt er entschlossen zum Spieß:

      »Wohler, machen Sie die Urlaubspapiere für den Klotz fertig. Vom fünfzehnten elften bis siebten zwölften. Sonderurlaub. Grund: Regelung wichtiger Familienangelegenheiten. Ich unterschreibe dann gleich.«

      Wohler grinst, und Hajek geht zu Leutnant Warnicke, haut die Hacken zusammen und sagt:

      »Danke, Herr Leutnant. Im Namen meines Kameraden Klotz!«

      »Schon gut«, murrt Warnicke, geht zur Wand, nimmt den Stahlhelm und das Pistolenkoppel vom Nagel, schnallt um, stülpt den Stahlhelm auf das kurzgeschorene, bürstenartige Haar und verlässt den Gefechtsstand mit der gemurmelten Bemerkung: »Ich bin beim ersten Zug.«

      Die lange Gestalt geht gebückt aus dem Raum. Man hört draußen Stimmen. Friemelt meldet etwas, dann wird es wieder still.

      »Feiner Kerl«, sagt Hajek. »Hätte nie gedacht, dass er den Klotz weglässt.«

      »Es geschehen halt noch Zeichen und Wunder, mein lieber Freund«, erwidert Wastl Wohler. »Du kannst dem Klotz sagen, dass er morgen früh abhauen kann.«

      Hajek nickt, wirft die selbstgedrehte Zigarette in den Holzkohlenofen und verlässt den Gefechtsstand.

      Die Nacht ist still. Kein Schuss fällt. Weit in der Ferne, nordöstlich von Tscherkassy, rumort die Symphonie des Todes, grollt die Kriegsfurie.

      Es nieselt, und die Dunkelheit ist kalt und feucht. Friemelt, der Posten, lehnt neben dem Hauseingang und fragt Hajek, wie spät es ist.

      Hajek sagt ihm die Uhrzeit.

      »Danke, Herr Feldwebel«, erwidert Friemelt. »Das ist vielleicht ein Mistwetter, wie? Die Stunden ziehen sich wie Kaugummi.«

      »Mach’s gut«, sagt Hajek.

      »Wünsche angenehme Nachtruhe, Herr Feld«, erwidert Friemelt.

      Hajek schlägt den Trampelpfad zur Ziegelei ein. Unterwegs denkt er an den Leutnant. Das ist ein Mensch, oh ja! Ein prima Kerl! Da weiß man immer, wofür man da ist, und warum man sich mit Leib und Seele einsetzt! Nicht nur fürs sogenannte Vaterland, nicht nur für die daheim! Für den, der neben dir geht – für so einen, wie Warnicke es ist! Hut ab vor Warnicke!

      Hajek stolpert über ein Hindernis und flucht halblaut. Als er das Gleichgewicht gefunden hat, ist es ihm, als patsche irgendwo geradeaus, in Richtung der Ziegelei, ein Schuss.

      Hajek stapft durch den Dreck zur Ziegelei zurück, vorbei an der Stelle, die von drüben eingesehen wird. Jetzt, im Dunkeln, kann man sie gefahrlos passieren.

      Es ist so dunkel, dass man kaum die Hand vor den Augen sieht. Und ein Sauwetter! Brrr. …!

      Hajek denkt an seine Männer, die draußen liegen. Im offenen Graben! Im Dreckloch!

      Hermann wird sich vor Freude überschlagen, denkt er. Der Glückliche! Morgen kann er abhauen! Fort aus dieser Hölle! Heim! – Wann war denn ich das letzte Mal daheim? überlegt er. Es ist auch schon wieder fast ein Jahr her … als ich den Beinschuss erhielt! Wenn es nur immer bei einem Beinschuss bliebe! Aber meistens kommt es schlimmer!

      Die Umrisse der Ziegelei tauchen auf. Der abgeschossene Schornsteinstummel ragt wie ein schwarzer Riesenfinger zum Himmel; und dieser Himmel ist finster und vergießt Nässe.

      Ich werde Hermann meine aufgesparte Schnapsration mitgeben, denkt Hajek, als er auf die Ziegelei zustolpert. Für die Taufe! Ja, für die Taufe! Oder soll ich das Püllchen lieber für Warnicke aufheben, wenn er wieder seine Tour kriegt? Das wird in drei Wochen sein! – Ach, was wird in drei Wochen sein! Hermann kriegt das Püllchen! Hajek schlittert auf dem Lehmboden zur Ziegelei. Im ehemaligen Ofenraum ist es gut trocken, dort kann man einigermaßen gemütlich hausen. Hier halten sich die wachfreien Landser des II. Zuges auf. Eine Stalllaterne steht am Boden und leuchtet trübe. Ein Dutzend in Decken gewickelte Gestalten liegen da und schlafen. Nur Epel, der Gefreite und Gruppenführer, ist wach und sitzt im Lichtkreis der Stallfunzel, um einen Brief zu schreiben.

      »Guten Abend, Feld«, grüßt er, als Hajek hereinkommt. »Was Neues?«

      »Der Klotz fährt morgen auf Sonderurlaub«, erwidert Hajek und geht zu seinem Lager, holt das Sturmgepäck hervor, kramt darin herum und bringt eine kleine Flasche Dreistern hervor.

      »Junge, Junge«, hört er Epel sagen, »so ein Schwein müsste man wieder mal haben: Sonderurlaub.«

      Draußen peitschen Schüsse. Die am Boden liegenden Gestalten sausen hoch.

      »Los – raus!«, schreit Hajek und rennt, die Maschinenpistole an sich reißend, hinaus.

      Über der Ziegelei liegt kreidiges Licht. Zwei MG 42 rasen im Dauerfeuer. Geschrei in Richtung der Zug-Stellungen. greift der Russe an? Oder was ist sonst los?

      Hajek, gefolgt von ein paar Leuten, stolpert in den Laufgraben hinein, prallt plötzlich mit jemandem zusammen.

      »Herr Feld, sind Sie’s?«, keucht eine Stimme.

      »Ja. Was ist los?«

      »Den Klotz hat’s erwischt! So ein Schweinehund von Scharfschütze hat ihn abgeknallt.«

      »Was sagst du da?«, brüllt Hajek und stößt den Mann zur Seite, stolpert in den MG-Stand.

      Drei Erdstufen, die hinunterführen, nimmt Hajek mit einem Satz. Er reißt die Taschenlampe vom Mantelknopf. Blaues Licht tastet über den feucht schimmernden Boden. Hinter Hajek schieben sich die anderen heran und keuchen.

      Am Boden liegt, vom Blaulicht der Taschenlampe erhellt, Klotz. Er stöhnt. Er windet sich hin und her und presst beide Hände gegen das Gesicht. Blut rinnt durch seine Finger. Schauderhaft viel Blut!

      Hajek kniet neben ihm nieder.

      »Hermann«, bringt er hervor. »Du armes, armes Luder …«

      Klotz brüllt jetzt dumpf und wälzt sich hin und her. Blut spritzt auf den Erdboden.

      »Sprenggeschoss«, sagt jemand und will Klotz die Hände vom Gesicht ziehen.

      »Sani her!«, keucht Hajek. »Schnell den Sani!«

      »Ist schon da!«, ertönt es vom Eingang, und der Sanitäter kommt herangehastet, wirft seine Tasche hin und versucht, den sich am Boden windenden Klotz festzuhalten.

      »Bleib ruhig, Hermann …« Hajeks Stimme klingt heiser. »Ich bitte dich, Hermann, bleib doch liegen, wir wollen dir doch helfen.«

      Klotz liegt jetzt still. Man hat seine Hände heruntergezogen. Zwischen den Brauen klafft ein riesiges Loch, aus dem es dunkel und unaufhaltsam