Der Weihnachtsabend - Eine Geistergeschichte. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958494565
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sah, zog er seinen Herrn in einen Hauseingang hinein und wedelte dann mit dem Schwanz, als wollte er sagen: kein Auge ist besser, als ein böses Auge, blinder Herr.

      Doch was kümmerte das Scrooge? Gerade das gefiel ihm. Allein seinen Weg durch die gedrängten Pfade des Lebens zu gehen, jedem menschlichen Gefühl zu versagen, das war es, was Scrooge gefiel.

      Einmal, es war von allen guten Tagen im Jahr der beste, der Christabend, saß der alte Scrooge emsig arbeitend in seinem Kontor. Es war draußen schneidend kalt und neblig und er konnte hören, wie die Leute im Hof draußen prustend auf und ab gingen, die Hände aneinander rieben und mit den Füßen stampften, um sich zu wärmen. Es hatte eben erst drei geschlagen, war aber schon sehr dunkel. Den ganzen Tag über war es nicht hell geworden und aus den Fenstern der benachbarten Geschäfte erblickte man Lichter, wie rote Flecken auf der dicken, braunen Luft. Der Nebel drang durch jede Spalte und durch jedes Schlüsselloch und war draußen so dick, dass die gegenüber stehenden Häuser des sehr kleinen Hofes wie ihre eignen Geister aussahen. Wenn man die trübe, dicke Wolke, alles verfinsternd heruntersinken sah, hätte man meinen können, die Natur wohne dicht neben an und braue in großem Stil.

      Die Tür von Scrooges Arbeitsraum stand offen, damit er seinen Gehilfen beaufsichtigen konnte, welcher in einem sehr feuchten, kleinen Raum, einer Art Burgverließ, Briefe kopierte. Scrooge hatte nur ein sehr kleines Feuer, aber das seines Gehilfen war so viel kleiner, dass es wie eine einzige Kohle aussah. Er konnte aber nicht nachlegen, denn Scrooge hatte den Kohlenkasten in seinem Zimmer und immer, wenn dieser mit der Kohlenschaufel in der Hand hereinkam, meinte Scrooge, es werde wohl bald nötig sein, dass sie sich trennten. Worauf dieser seinen weißen Schal noch etwas enger umband und versuchte, sich am Kerzenlicht zu wärmen, was jedoch stets misslang, da er ein Mann von nicht zu starker Einbildungskraft war.

      „Fröhliche Weihnachten, Onkel, Gott erhalte Sie!“ rief eine heitere Stimme. Es war die Stimme von Scrooges Neffen, er hatte ihn nicht hereinkommen hören.

      „Pah“, sagte Scrooge, „dummes Zeug!“

      Der Neffe war vom schnellen Laufen so warm geworden, dass er über und über glühte. Sein Gesicht war rot und hübsch, seine Augen glänzten und sein Atem rauchte.

      „Weihnachten dummes Zeug, Onkel?“ sagte Scrooge’s Neffe, „das kann nicht Ihr Ernst sein.“

      „Es ist mein Ernst“, sagte Scrooge. „Fröhliche Weihnachten? Was für ein Recht hast Du, fröhlich zu sein? Was für einen Grund, fröhlich zu sein? Du bist arm genug.“

      „Nun“, antwortete der Neffe heiter, „was für ein Recht haben Sie, grämlich zu sein? was für einen Grund, mürrisch zu sein? Sie sind reich genug.“

      Scrooge, der im Augenblick keine bessere Antwort bereit hatte, sagte noch einmal „Pah!“ und brummte ein „Dummes Zeug!“ hinterher.

      „Sein Sie nicht böse, Onkel“, sagte der Neffe.

      „Was soll ich anderes sein“, antwortete der Onkel, „wenn ich in einer Welt voll solcher Narren lebe? Fröhliche Weihnachten! Der Henker hole die fröhlichen Weihnachten! Was ist Weihnachten für Dich anders, als ein Tag, wo Du Rechnungen bezahlen sollst, ohne Geld zu haben, ein Tag, wo Du Dich um ein Jahr älter und nicht um eine Stunde reicher findest, ein Tag, wo Du Deine Bücher abschließt und in jedem Posten durch ein volles Dutzend von Monaten ein Defizit siehst? Wenn es nach mir ginge,“ sagte Scrooge heftig, „so müsste jeder Narr, der mit seinem fröhlichen Weihnachten herumläuft, mit seinem eigenen Pudding gekocht und mit einem Pfahl im Herzen begraben werden.“

      „Onkel“, sagte der Neffe.

      „Neffe“, antwortete der Onkel heftig, „feiere Du Weihnachten nach Deiner Art und lasse es mich nach meiner feiern.“

      „Feiern!“ wiederholte Scrooges Neffe; „aber Sie feiern es ja nicht.“

      „Lasse mich ungeschoren“, sagte Scrooge. „Mag es Dir Nutzen bringen! Viel genutzt hat es Dir schon.“

      „Es gibt viele Dinge, die mir hätten nutzen können und die ich nicht benutzt habe, das weiß ich“, antwortete der Neffe, „und Weihnachten ist eins von denen. Aber ich weiß gewiss, dass ich Weihnachten, wenn es gekommen ist, abgesehen von der Verehrung, die wir seinem heiligen Namen und Ursprung schuldig sind, immer als eine gute Zeit betrachtet habe, als eine liebe Zeit, als die Zeit der Vergebung und Barmherzigkeit, als die einzige Zeit, die ich in dem ganzen langen Jahreskalender kenne, wo die Menschen einträchtig ihre verschlossenen Herzen auftun und die andern Menschen betrachten, als wenn sie wirklich Reisegefährten nach dem Grabe wären und nicht eine ganz andere Art von Geschöpfen, die einen ganz andern Weg gehen. Und daher, Onkel, ob es mir gleich niemals ein Stück Gold oder Silber in die Tasche gebracht hat, glaube ich doch, es hat mir Gutes getan und es wird mir Gutes tun, und ich sage: Gott segne es!“

      Der Gehilfe aus dem kleinen Raum draußen applaudierte unwillkürlich; aber den Augenblick darauf fühlte er auch die Unschicklichkeit seines Betragens. In seiner Verlegenheit schürte er die Kohlen und löschte somit auch den letzten kleinen Funken.

      „Wenn Sie mich noch einen einzigen Laut hören lassen“, sagte Scrooge, „so feiern Sie Ihre Weihnachten mit dem Verlust Ihrer Stelle. Du bist ein ganz gewaltiger Redner“, fügte er hinzu, sich zu seinem Neffen wendend. „Es wundert mich, dass Du nicht ins Parlament kommst.“

      „Seien Sie nicht böse, Onkel. Essen Sie morgen mit uns.“

      Scrooge sagte, dass er ihn erst verdammt sehen wollte, ja wahrhaftig, er sprach sich ganz deutlich aus.

      „Aber warum?“ rief Scrooges Neffe, „warum?“

      „Warum hast Du Dich verheiratet?“ fragte Scrooge.

      „Weil ich mich verliebte.“

      „Weil er sich verliebte!“ brummte Scrooge, als ob das das einzige Ding in der Welt wäre, noch lächerlicher als eine fröhliche Weihnacht. „Guten Nachmittag!“

      „Aber Onkel, Sie haben mich ja auch nie vorher besucht. Warum soll es da ein Grund sein, mich jetzt nicht zu besuchen?“

      „Guten Nachmittag!“ sagte Scrooge.

      „Ich brauche nichts von Ihnen, ich verlange nichts von Ihnen, warum können wir nicht gute Freunde sein?“

      „Guten Nachmittag!“ sagte Scrooge.

      „Ich bedaure wirklich von Herzen, Sie so hartnäckig zu finden. Wir haben nie einen Zank miteinander gehabt, an dem ich schuld gewesen wäre. Aber ich habe den Versuch gemacht, Weihnachten zu Ehren und ich will meine Weihnachtsstimmung bis zuletzt behalten. Fröhliche Weihnachten, Onkel!“

      „Guten Nachmittag!“ sagte Scrooge.

      „Und ein glückliches Neujahr!“

      „Guten Nachmittag!“ sagte Scrooge.

      Aber doch verließ der Neffe das Zimmer ohne ein böses Wort. An der Haustür blieb er noch stehen, um mit dem Glückwunsch des Tages den Gehilfen zu begrüßen, der bei aller Kälte doch noch wärmer als Scrooge war, denn er gab den Gruß freundlich zurück.

      „Das ist auch so ein Kerl“, brummte Scrooge, der es hörte. „Mein Diener, mit fünfzehn Shilling die Woche und Frau und Kindern, spricht von fröhlichen Weihnachten. Ich gehe ins Tollhaus.“

      Der Gehilfe hatte, indem er den Neffen hinausließ, zwei andere Personen eingelassen. Es waren zwei behäbige, wohlansehnliche Herren, die jetzt mit dem Hut in der Hand, in Scrooges Kontor standen. Sie hatten Bücher und Papiere in der Hand und verbeugten sich.

      „Scrooge und Marley, glaube ich“, sagte einer der Herren, indem er auf seine Liste sah. „Habe ich die Ehre, mit Mr. Scrooge oder mit Mr. Marley zu sprechen?“

      „Mr. Marley ist seit sieben Jahren tot“, antwortete Scrooge. „Er starb auf den Tag heute, vor sieben Jahren.“

      „Wir zweifeln nicht, dass sein überlebender Compagnon ganz seine Freigebigkeit besitzen wird“, sagte der Herr, indem er sein Beglaubigungsschreiben hinreichte.