Mr Carter hatte einen trockenen Humor, aber da hier jeder die ganze Zeit lachte und redete, konnte man im Versammlungszimmer sowieso nichts von dem verstehen, was er sagte.
Es klingelte zur ersten Stunde. Chelsea guckte sich noch einmal nach Will um, aber er sah weg. Nervös strich er sich mit seiner Hand durch das schwarze Haar, bevor er seine Sachen unter dem Stuhl hervorzog.
Chelsea stand auf und wollte ihren Rucksack mit Schwung auf die Schultern hieven. „Oh nein!“, rief sie. Alle ihre Blöcke, Bücher und Stifte fielen auf den Boden. Sie hatte vergessen, den Reißverschluss zuzumachen.
Ihre Lunchtüte für das Mittagessen platzte auf, und Chelsea sah, wie ihr Brot ihr vor die Füße plumpste und ein Apfel durch den Raum rollte.
Mit einem lauten Seufzer bückte sie sich und begann, ihre Sachen wieder einzusammeln. Zu ihrer Überraschung stellte Will seinen Rucksack ab und kniete sich neben sie, um zu helfen.
„Ziemlich blöde von mir, nicht?“, war alles, was Chelsea herausbrachte.
Er lächelte. Sein Gesicht wurde noch röter. Er stopfte das Brot wieder zurück in die Tüte und gab sie ihr. Ihre Augen trafen sich nur für eine Sekunde. Dann drehte er sich schnell weg.
„Er ist ja sogar noch schüchterner als ich“, fiel ihr auf.
Da bemerkte sie, dass sie seine muskulösen Arme anstarrte, und schaute schnell auf den Boden.
„Sag etwas. Sag doch irgendetwas!“, schimpfte Chelsea mit sich.
„Vielen Dank für die Hilfe“, krächzte sie endlich.
Klasse! Was für eine tolle Bemerkung!
Will zuckte mit den Schultern und lächelte sie unsicher an. Dann nahm er seinen Rucksack und ging schnell zur Tür, ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen.
„Verdammt. Warum bin ich bloß so schüchtern?“, fragte sich Chelsea verzweifelt. Sie war total sauer, weil sie immer so ungeschickt war.
Aber was sollte sie denn machen? Jedes andere Mädchen hätte sich irgendetwas Pfiffiges ausgedacht, etwas Schlagfertiges. Nina hätte ihn zum Lachen gebracht. Nina hätte es geschafft, dass er sich mit ihr verabredet hätte, noch bevor ihr Rucksack wieder eingeräumt war. Warum konnte sie nicht sein wie alle anderen normalen Mädchen?
„Ich werde morgen früh mit ihm reden“, entschied sie sich und eilte hinaus in den überfüllten, lauten Gang. „Ich habe den ganzen Tag Zeit, darüber nachzudenken, was ich zu ihm sagen werde.“
Jetzt fühlte Chelsea sich etwas besser. Sie lächelte sogar, als sie sich zur Englischstunde auf ihren Platz in der hintersten Reihe setzte.
An diesem Nachmittag träumte Chelsea von Will, während sie in dem Café ihres Vaters arbeitete. Das All-Star Café war ein enges, viel zu hell erleuchtetes Café an einer der schmalen, verwahrlosten Straßen der Altstadt. Heute war Chelsea die einzige Kellnerin. Eigentlich war ja auch nur Platz für eine einzige. Außerdem hatte sich Ernie, der Koch, krankgemeldet. Deshalb stand ihr Vater müde und missmutig in der Küche.
Es waren nur wenige Besucher da. Zwei alte Männer tranken Kaffee an dem einen Ende der Theke. Ein Teenager und seine Freundin saßen mit Pommes und Cola an einem der Tische ganz hinten im Lokal.
Chelsea hatte sich überlegt, was sie zu Will sagen würde. Sie wollte ihn fragen, ob er mit Gewichten trainierte. Und wann er mit seiner Familie nach Shadyside gezogen war. Und wo er wohnte.
Ein weiterer alter Mann kam herein und setzte sich zu den beiden anderen an die Theke. Er rief nach Chelsea und bestellte Kaffee. Sie nahm einen Becher, trug ihn zu der Kaffeemaschine, füllte ihn und brachte ihn zu dem alten Mann. Sie war in Gedanken und passte nicht richtig auf. „Oh nein!“
Der schwere Becher war ihr aus der Hand geglitten und landete auf der Theke, bevor er auf den Fußboden fiel und zerbrach. Heißer Kaffee spritzte überall hin.
Chelsea sah, wie ihr Vater sie aus der Küche wütend anstarrte. „Ich mache es gleich sauber“, rief sie ihm schnell zu.
Zuerst brachte Chelsea dem Gast einen neuen Becher mit Kaffee. Dann holte sie Besen und Schaufel und beugte sich über die Scherben auf dem Boden. Sie hob die großen Stücke auf und warf sie vorsichtig in den Mülleimer. Dann richtete sie sich wieder auf – und stieß mit jemandem zusammen, der gerade hereingekommen war.
„Oh! Das tut mir aber leid!“, rief sie erschrocken.
„Mir hat’s gefallen“, witzelte der Neuankömmling. Er sah aus wie siebzehn oder achtzehn. Er hatte unergründliche dunkle Augen, ein markantes Gesicht mit hohen Wangenknochen und dichtes schwarzes Haar.
„Der sieht aber ziemlich finster aus“, dachte Chelsea unbehaglich. Sie starrte seine Lederjacke mit den silbernen Reißverschlüssen und seine schwarze, zerrissene Jeans an. Die Jacke war halb offen, darunter konnte sie ein schwarz-weißes Metallica-T-Shirt sehen.
„Tut mir leid. Ich bin im Weg.“ Chelsea zog sich vorsichtshalber hinter die Theke zurück. Sie beobachtete, wie er zum anderen Ende des Cafés ging, mit einem stolzen und herausfordernden Gang. Wenn er nicht gerade spöttisch lächelte, war sein Gesichtsausdruck hart, beinahe aggressiv.
Chelsea warf den Rest der Scherben in den Mülleimer und beeilte sich, dem Jungen eine Speisekarte zu bringen. Er hielt abwehrend die Hand hoch und schob die Karte weg. „Ich weiß schon, was ich will. Nur einen Hamburger und eine Cola.“
„Wie möchtest du deinen Hamburger?“, fragte Chelsea und wischte ihre Hände an der langen weißen Schürze ab.
„Na, am besten gegrillt“, grinste der Junge.
Chelsea merkte, wie sie rot wurde. Sie war plötzlich verlegen. „Ich muss total blöde aussehen mit dieser peinlichen Schürze und mit meinem zusammengebundenen Haar. Und dann frage ich auch noch, wie er seinen Hamburger haben will!“, schoss es ihr durch den Kopf.
„Das sollte ein Scherz sein“, erklärte er.
Chelsea zwang sich zu einem Lachen. „Ich weiß.“ Sie drehte sich um und gab die Bestellung durch das Fenster zur Küche an ihren Vater weiter. Er nickte, und sie konnte hören, wie er das Fleisch auf den heißen Grill legte.
„Na, und wie verdienst du dir deinen Lebensunterhalt?“, fragte der Junge. Seine dunklen Augen glitzerten herausfordernd.
Chelsea starrte ihn nur an. Ihr fiel mal wieder keine Antwort ein.
„Das sollte auch ein Scherz sein“, murmelte er. „Du bist wahrscheinlich nicht gerade in einer lustigen Stimmung, hm?“
„Ich höre nicht so viele Witze hier“, erklärte Chelsea, nahm einen Lappen und begann, hektisch die Bar abzuwischen.
„Wie heißt du?“ Er starrte ihr provozierend in die Augen.
„Chelsea. Chelsea Richards.“ Er war der erste Besucher, der nach ihrem Namen fragte.
„Ich bin Tim Sparks“, antwortete er. „Aber alle nennen mich einfach Sparks.“ Er schüttelte ihr kräftig die Hand.
„Hallo, Sparks.“ Chelsea brachte irgendwie ein schiefes Lächeln zustande.
Geschäftig füllte sie dann die Kaffeetassen der drei Männer hinten an der Theke auf. Danach schaute sie nach, ob Sparks Hamburger schon fertig war. Noch nicht. Sie brachte ihm also erst mal nur seine Cola.
„Ich bin gerade hierhergezogen“, erzählte er. Er drehte das Glas in seinen Fingern und starrte sie schon wieder an.
„Wir sind auch erst vor Kurzem nach Shadyside gezogen. Ungefähr vor einem Monat“, sagte Chelsea.
Die beiden Teenager am anderen Tisch machten ihr ein Zeichen. Sie wollten anscheinend bezahlen. Chelsea ignorierte sie.
„Ist