Über die Grenze. Майя Лунде. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Майя Лунде
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783825162023
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aus, aber ich hatte keine weiteren Lösungen auf Lager. Außerdem war es ein Ding der Unmöglichkeit, zu rechnen, wenn man hungrig war, deshalb suchte ich stattdessen Otto, meinen großen Bruder. Er saß in unserem Zimmer im ersten Stock. Wir teilten es uns noch immer, obwohl Mama meinte, dass ich mit meinen zehn Jahren jetzt eigentlich zu groß geworden war, um mit einem Jungen im selben Zimmer zu schlafen. Was auch immer sie damit meinte.

      Jeder hatte sein eigenes Bett und sein eigenes Pult. Ottos Pult war ständig aufgeräumt. Auf seinem Nachttisch stand ein Globus, der im Dunkeln leuchtete. Afrika leuchtete gelb und grün. Das Gelbe war die Wüste, und das Grüne war Dschungel, hatte Otto mir erklärt. Der Globus war das Schönste in unserem Zimmer.

      Otto saß am Tisch und blätterte in seinem Atlas. Otto liebte Karten. Stundenlang träumte er von irgendwelchen Reisen, und er konnte sämtliche Namen aller Länder dieser Welt. Er war gut darin, Karten zu lesen und Hausaufgaben zu machen, aber das war’s dann auch schon.

      Die Jungs in der Klasse nannten Otto Fischklops. Nicht, weil er dick gewesen wäre (er war nämlich dünn wie eine Fahnenstange), sondern weil er so schwach war. In den Armen hatte er nur Fischklopse. Um es mal so zu sagen: In seinem zwölfjährigen Leben hatte Otto bereits die eine oder andere Runde Armdrücken verloren. Nun hatte er keine Lust mehr auf Wettkämpfe – lieber saß er mit einem Buch vor der Nase da. So, wie er es jetzt auch tat. Alles, was ich von ihm sah, war das große Buch und Ottos Arme und Beine, die hervorschauten.

      Mein Blick fiel auf unser Holzschwert, das auf dem Boden lag. Eigentlich gehörte es Otto, aber ich war es, die es am meisten benutzte. Fischklopse brauchen kein Schwert.

      »En garde!«

      Ich sprang auf ihn zu und begann zu fechten. Vielleicht wollte er heute mal mit mir spielen? Sehr oft hatte er nicht mehr Lust dazu.

      Und wirklich: Er hob das Buch noch etwas weiter hoch.

      Ich sprang ein Stück näher.

      »Igitt! Eine Schlange!«

      Er las weiter.

      »Eine dicke, große Brillenschlange!«

      Ich stieß mit der Schwertspitze gegen das Buch.

      »Gerda! Hör auf damit!«

      »Spielst du mit? Krieg oder so?«

      Er ließ das Buch sinken und verdrehte hinter den Brillengläsern die Augen. Darin war er besonders gut. Er rollte sie einmal herum und zog seine Augenbrauen bis zum Haaransatz hoch.

      »Krieg ist kein Spiel.«

      »Dann lieber Verstecken?«

      »Das ist kindisch.«

      »Ach, bitte! Was du willst. Du darfst bestimmen.«

      »Vergiss es.« Er verkroch sich wieder hinter dem Buch.

      Es blieb mir nichts anderes übrig, als allein weiterzufechten.

      Ich spielte, ich sei Porthos, einer der Musketiere. Er war der Lustigste. Ich hatte gerade Die drei Musketiere gelesen, und das war so spannend, dass ich ein Kribbeln im Bauch verspürte, wenn ich nur daran dachte. Die drei Musketiere und der Lehrling d’Artagnan kämpften mit dem Degen gegen verschiedene Banditen, brachten sie alle zur Strecke und retteten zum Schluss die Königin von Frankreich höchstpersönlich. Das war nach meinem Geschmack!

      Ich fuchtelte mit dem Schwert herum.

      Plötzlich kam mir Ottos Globus in die Quere. Er stand an der Kante des Nachttisches und begann zu wackeln.

      Das war nicht gut.

      Er würde herunterfallen, gar keine Frage.

      Aber ich war schnell. Ich schoss nach vorne und griff nach dem Globus, kurz bevor er auf den Boden aufkam.

      »Gerda, jetzt hör endlich auf!«

      »Aber ich habe ihn doch gerettet!«

      »Such dir etwas anderes zum Kaputtmachen!«

      »Ach bitte, spiel mit mir Verstecken!«

      Otto schüttelte den Kopf. Mit Freundlichkeit kam man hier wohl nicht weiter. Also richtete ich das Schwert auf ihn: »Ich fordere Euch hiermit zu einer Runde Verstecken heraus … du, äh … Kaiser Brillenschlange von und zu Kinderzimmer.«

      Otto musste lachen. Das war ein gutes Zeichen.

      »Also gut. Aber nur ein Mal.«

      »Jippieh! Du darfst als Erster suchen!«

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       Das beste Versteck

      Papa war der Doktor des Ortes. Deshalb wohnten wir im sogenannten Doktorhaus. Das Haus war rot und stand in einem großen Garten. Dort gab es Apfelbäume, Johannisbeerbüsche und Stachelbeersträucher. Und große Blumen. Aber jetzt, im Krieg, hatte Klara in den Blumenbeeten Kartoffeln angepflanzt. Außerdem hatten wir Hühner bekommen und ein nettes Schwein, das Knut hieß. Die Erwachsenen sagten, Knut solle zu Weihnachten gegessen werden. Doch da war ich mir nicht so sicher.

      Es gab viele Verstecke in unserem Haus. Wir hatten einen großen Keller und einen riesigen Dachboden, drei Stuben, zwei Schlafzimmer und eine Bibliothek. Es gab vier kleine Kammern und viele Kleiderschränke. In der Waschküche standen große Körbe, und in der Kartoffelhorde im Keller konnte man fast gänzlich verschwinden. All das waren prächtige Verstecke, aber nicht die besten. Das allerbeste Versteck war das, zu dem ich jetzt hinwollte.

      Klara hatte angefangen, draußen Wäsche aufzuhängen, die Luft in der Küche war also rein. Lautlos lief ich in meinen Wollsocken die Treppe hinunter. Oben hörte ich Otto zählen: »Fünfzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn.« Ich öffnete die kleine Tür zum besten Versteck der Welt und kroch hinein. Dann zog ich die Luke hinter mir zu. Ein bisschen eng war es dort – eng und sicher.

      Nun musste ich nur noch warten. Es konnte lange dauern, bis er mich hier finden würde. Ich befand mich nämlich im Speisenaufzug, in der Wand. Der Aufzug startete im entlegensten Raum im Keller, da, wo die Kartoffelhorde und die Marmeladengläser standen, ging hoch zur Küche und weiter in den ersten Stock. Mit ihm wurden Speisen hinauf und hinunter geschickt – jedenfalls als noch der alte Doktor hier wohnte. Wir benutzten ihn nicht mehr. Nur beim Versteckspielen, wenn uns niemand sah.

      »Eins, zwei, drei, vier, Eckstein, alles muss versteckt sein, hinter mir, vor mir, neben mir – ich komme!«, rief Otto aus der ersten Etage.

      Dann begann er zu suchen. Er suchte und suchte. Ich hörte seine Schritte in der Stube und im Flur.

      Es dauerte ewig. Er war lahm wie eine Schnecke, die einen Berg hochkriecht.

      Vom langen Sitzen in der Hocke taten mir meine Beine weh. Eine Weile war es ganz still. Vielleicht suchte er im Garten?

      Dann hörte ich seine Schritte wieder. Er kam in die Küche, öffnete die Tür zur Speisekammer und ging hinein.

      Stille.

      Schließlich kam er wieder heraus. Die Schritte stoppten direkt vor der Wand, hinter der ich saß.

      »Mäuschen, sag mal Piep!«, rief er.

      Nun taten mir die Beine richtig weh. Außerdem musste ich mal, da passte es doch ganz gut.

      »Piep«, machte ich.

      Es hörte sich an, als öffnete Otto den Küchenschrank.

      Er dachte bestimmt, das Piep käme von dort. Aber da der Schrank ja ganz und gar Gerdalos war, musste Otto weitersuchen.

      »Sag mal Piep!«

      Ich piepste noch einmal.

      Nun hatte Otto offensichtlich erraten, wo ich war, denn die Schritte näherten