Halt. Michael Donkor. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Donkor
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960541998
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das ist meine lebhafteste Erinnerung an Ghana. Yeah.«

      »Ich finde diese Geschichte nicht besonders gut.«

      »Ach nein?«

      »Muss das sein, Amma? Eh?«

      »Die … die bofrot habe ich nach einem Rezept gebacken, das ich schon als kleines Mädchen kannte. Aber ich tue noch Vanille dazu, das ist mein Trick. Andere machen das nicht, weil Vanille teuer ist, aber es reicht schon, wenn man nur eine Schote hat und nicht mehr als ein paar Samen nimmt. Die geben eine Menge Aroma. Und ich habe in euren Küchenschränken viele Vanilleschoten gefunden. War also überhaupt kein Problem.«

      Draußen schien der unbewegte weiße Himmel dem Seufzer zu entsprechen, den Amma von sich gab. »Spielt doch keine Rolle. Nein. Wirklich. All das spielt keine Rolle.«

      Das kam ihr leicht über die Lippen, und noch andere Sätze, die eher vernuschelt klangen. Amma stand auf, ging hinaus und Belinda flatterten die Hände, sie hatte vergessen, sie in den Taschen zu verstecken. Nana ließ den Kopf hängen, so saß sie eine Weile da, als würde der kleine Anhänger, den sie um den Hals trug, ihn nach unten ziehen, und Belinda blickte zur Beruhigung auf den entblößten, biskuitfarbenen Nacken, der sich so weich anfühlen musste. Sie fragte sich, ob Nana jemals einen stillen, versteckten Rückzugsort zum Weinen gefunden hatte, wie Belinda selbst in ihren ersten Tagen bei Aunty und Uncle. Am schlimmsten war es an einem stickigen Mittwoch gewesen, als sie mit einem ölverschmierten Lappen im Mund im Geräteschuppen kauerte und die Tränen nicht fließen wollten. Drei Stunden lang hatte sie Uncles Taschentücher gebügelt und eingeräumt, ohne einmal innezuhalten. Die Anweisung lautete, die Taschentücher müssten alle gleich gefaltet werden. Nach mindestens fünfzig Stück war Belinda von diesem Gefühl übermannt worden, zu fallen und immer weiter zu fallen, und lief deswegen kopflos herum, bis sie keuchend eine Zuflucht fand, fern von allem, inmitten der Rohrzangen, Schraubenschlüssel und Nägel.

      Belinda konnte sich gar nicht mehr entsinnen, was genau dieses Gefühl ausgelöst hatte. Ob es nur das Zermürbende ihrer Tätigkeit gewesen war. Oder die Angst, die ihr anfangs in Daban ständig im Nacken saß, dass sie mit ihren dreckigen Dorfhänden Spuren oder Streifen auf den edlen Stoffen hinterlassen könnte, die man ihr anvertraut hatte. Oder die Angst, dass Aunty nach Mutter fragen und Belinda durch ihr Stakkato dazu verleiten könnte, zu viel zu verraten. Oder hatte vielleicht ihre Einsamkeit dieses grauenhafte Gefühl hervorgerufen, weil sie sich an einem fremden Ort befand, ungeachtet des kleinen Mädchens, das ihr fast den ganzen Tag lang auf Schritt und Tritt folgte? Das, woran Belinda sich klar und deutlich erinnern konnte, war der Druck des Lappens in ihrem Mund, die knebelnde Wirkung des Stoffs an ihrer Kehle. Schmerzhaft und tröstlich zugleich.

      Belinda hätte Nana gern gefragt, was sie als Nächstes tun sollte, aber da kam Amma wieder herein – ein Wirbel aus gelösten Zöpfen, wehenden Ärmeln, stampfenden Stiefeln.

      »Die sind verdammt köstlich, Be.«

      Amma nahm sich noch drei bofrot und rauschte davon. Belindas Hände hörten auf zu flattern.

       9

      Obwohl Amma die Vorstellung einer »schwarzen Eva« abgedroschen fand und obwohl sie sich nicht gern zur Schau stellte, hatte sie zugesagt, an diesem Mittwochnachmittag Modell zu stehen, weil Helena sie darum gebeten hatte. So war es schon immer gewesen: Als sie noch die Prep School besuchten und Helena keine Lust hatte, bei Versammlungen neben diesem oder jenem Mädchen zu stehen oder in der Pause wieder die Krankenschwester zu spielen, trug sie ihre Bitte so beschwingt vor oder spielte so anmutig mit ihrem feinen, gelben Haar, dass man sich unweigerlich fügte. Und so saß Amma nun artig in Helenas Wintergarten in Dulwich, inmitten einer Reihe von Yucca-Palmen, und hielt einen Granny Smith hoch, auf dass Helena ihre Aufgabe für den Kunstkurs erfüllen konnte. Amma hatte zuvor noch nie für ein Porträt »posiert« und verspürte nicht den geringsten Wunsch, diese Erfahrung heißen Unbehagens zu wiederholen, bei der sie jedweden Juckreiz unterdrücken musste. Helena stand ihr gegenüber und blinzelte, als wollte sie so auf Ammas innere Ablehnung reagieren. Amma sah zu, wie sie theatralisch den Pinsel schwang und das Gemälde mit einem letzten Strich versah.

      »Und jetzt die Dröhnung zur Belohnung, wie versprochen.« Helena nahm die CD von De La Soul raus und legte Bob Dylan ein, wischte sich die Hände an ihrem ausgeblichenen Babar-T-Shirt ab, griff nach der hölzernen Haschpfeife zu ihrer Linken und klopfte die Asche heraus. Dann wühlte sie in ihren Taschen. »Hat sich die dunkle Wolke immer noch nicht verzogen, ma petite sœur?«, fragte Helena und spähte in den wiedergefundenen Beutel.

      »Wie meinen?«

      »Ist doch klar: Du machst schon die ganze Zeit ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.«

      »Du hast gesagt, ich soll ›nachdenklich dreinblicken‹, und daran halt –«

      »Und wieso hast du mich bei Max dermaßen hängen lassen, hmm? Du hättest für mich da sein müssen, Mann.«

      »Ich war ja da.«

      »Ach komm, Am. Ich hätte deine Unterstützung gebraucht. Lavender war außer Rand und Band. Allmählich wird sie zur Lachnummer. Als hätte sie vergessen, dass sie tatsächlich – oder angeblich – Feministin ist.«

      Amma drehte den Hals hin und her, bis es knackte, und legte den Apfel auf dem nächstgelegenen Bücherregal ab.

      »Yeah. Hast vermutlich recht. Sicher.«

      »Was?«

      »Nichts. Lass uns nicht über die Party bei Max reden. Bitte.«

      »Von mir aus. Kein Problem.« Helena klickte ihr Feuerzeug, nahm einen tiefen Zug und blies eine stattliche weiße Säule aus. »Du sollst nichts tun oder sagen, was dir … unangenehm wäre.«

      Amma verdrehte die Augen.

      »Am, ich versuche nur, nett zu sein. So, wie du dich benimmst, brauchst du gerade jemanden, der nett zu dir ist. Das willst du doch? Also gebe ich mein Bestes. Okay?«

      Helena wischte sich mit ihrem Ärmel voller Farbkleckse über den winzigen Mund und gab die Pfeife weiter. Amma inhalierte noch tiefer und antwortete, während sie konzentriert ausatmete: »Im Ernst. Lass uns über was anderes reden. So untypisch es dir erscheinen mag, befällt mich gerade ein übermächtiger Drang nach Alltäglichem, meine Teure.«

      »Das klingt wirklich seltsam und … widerwärtig.«

      »So war das aber nicht gemeint.«

      Beide Mädchen saßen schweigend da, während das milchige Sonnenlicht mit dem bläulichen Dunst spielte, der in der Luft lag. Amma legte die Pfeife neben dem Apfel ab. Sie wollte gehen, aber das wäre grausam. Sie schloss die Augen und redete sich ein, sie könne noch mal von vorn beginnen. Als sie die Augen aufmachte, stand Helena wieder vor der Staffelei und runzelte die Stirn.

      »Was ist? Was hast du?«, fragte Amma.

      »Du hast wirklich die ganze Stimmung dieses Bildes versaut.«

      »So kurzlebig sind also Freundlichkeit und Zuwendung, wenn du –«

      »Im Ernst. Als hättest du’s … infiziert, mit diesem … diesem komischen Weltschmerz.«

      »Wie war das noch mal mit dem Arbeiter und seinem Werkzeug?« Amma sprang auf, mit einem leichten Schwindel, und ging zu Helena, die vor sich hin murrte: »Arbeiterin. Ihr Werkzeug.«

      Auf der Leinwand erblickte Amma etwas Wildes. Triefende Streifen von schmutzigem Braun und rote Sprenkel. Nach oben hin dunklere Wellen. Zerschrammte Stellen, vielleicht mit dem spitzen Ende des Pinsels hineingekratzt. Mum würde sich direkt davor stellen und jammern, sie könne nicht erkennen, was hier die Frucht sein sollte, was ein Bein, was ein Auge. Auf Amma wirkte der Strudel feuchter Farben, dieses Verschwommene und das bedrohliche Gefühl, es könne sich verwandeln oder wachsen, vollkommen vertraut. Sie lachte in sich hinein.

      »Was ist denn so lustig?«

      »Nichts. War nur so ein privater Gedanke. Tut mir leid.«