Sollten die Titel der alten Kalender effektvoll sein, dann mußten sie entweder recht martialisch und grauselig klingen, wie etwa der »Kriegs-, Mord- und Tod-, Jammer- und Nothkalender,« oder mysteriös wie »die klugen Sibyllen, ein Zeit- und Wunderkalender« und »die neuen schwedischen Glücks- und Unglückssterne,« oder bombastisch anspruchsvoll wie »der verbesserte und neue europäische Geschichts-, Haus- und Staatskalender,« seltener volksthümlich gemüthlich, wie »der lustige Bauer,« »der hinkende Bote« u. s. w.
In den ehedem so beliebten »Türkenkalendern« ward die Phantasie des deutschen Volkes, welche seit alten Tagen träumt, daß von Osten her ein neuer Völkersturm der Barbaren die abendländische alte Welt in Trümmer stürzen werde, mit unerhörten Gräuel- und Bluthistorien aus den Türkenkriegen gesättigt und aufgeregt. Der gemeine Mann hatte noch starke Nerven, und wo man sie erschüttern wollte, bedurfte es starker Mittel. Ein gemüthlicher Hauskalender ohne Mord- und Todtschlag wäre eine Suppe ohne Salz gewesen. Auf den Titelkupfern durfte es an einer Sonnenfinsterniß und einem langschwänzigen Kometen nicht fehlen, deren unheimlicher Schein etwa im Vordergrund eine Landschaft beleuchtete, und im Hintergrund eine Seeschlacht, zur Rechten eine brennende Stadt und zur Linken ein auffliegendes Schiff. Vielleicht ist hierbei die Wahrnehmung nicht ganz uninteressant, daß die Räuber- und Verbrechergeschichten, welche in der späteren Volkslitteratur eine so große Rolle spielen, vor der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts kaum in den Kalendern vorkommen; man schwelgte damals vielmehr noch in dem Gräuel der Verwüstung durch Krieg und Naturereignisse. Erst nachdem die Ritter- und Räuberabenteuer in der vornehmeren Litteratur der Sturm- und Drangperiode sich eingebürgert hatten, wurden sie allmählig auch in den Kalendern Mode.
Der alte Kalender als Hausbuch wurde erst vollständig durch die fortlaufende Mittheilung der Zeitgeschichte. Unsere Urgroßväter, die doch noch sehr selten eine Zeitung zu Gesicht bekamen, wären in ihrer Kenntniß der gleichzeitigen Weltläufte lediglich auf Gerüchte und örtliche Ueberlieferungen beschränkt gewesen, wenn sie nicht in den besseren Kalendern die politischen Annalen des abgelaufenen Jahres erhalten hätten. Schon aus dieser Aufgabe erhellt übrigens, daß der damalige Volkskalender viel mehr noch auf die große Masse des Bürgerstandes als der Bauern zielte. So spiegelt uns der alte Kalender auch nicht sowohl die Gesittung des Bauern als des Kleinbürgers, und erst in unserer Zeit, wo das Bürgerthum zu einer so viel höheren Stellung aufgestiegen ist, denkt man bei einem Volkskalender zunächst an einen Bauernkalender. Durch ihren historisch-politischen Theil waren nun die Kalender des achtzehnten Jahrhunderts dem Mittelstände dasselbe, was ihm im neunzehnten die Tagespresse geworden ist. Unsere geduldigeren Vorfahren begnügten sich dabei freilich, den Zusammenhang der Weltbegebenheiten erst ein Jahr nachdem selbige vorgefallen waren, zu erfahren, brauchten sich dann aber auch um so weniger mit der Conjecturalpolitik zu plagen. So ging es ganz vortrefflich vor der französischen Revolution; als aber von da an die Geschichte rascher zu schreiten und das Blut auch des gemeinen Mannes wilder zu pulsen begann, konnte der hinkende Bote des Kalenders mit seiner Jahresrundschau nicht mehr nachkommen, und gab Politik und Zeitgeschichte an die Journalistik ab. Dafür nahm er jetzt vom vornehmen Almanach bis zum Dorfkalender herab jenen bunten Kram von Erzählungen und Anekdoten, Gedichten und Räthseln auf, den ihm nach einem Menschenalter abermals die Zeitung, als Feuilleton und Unterhaltungsblatt, streitig machen sollte. So überall um sein Monopol gebracht, hat er heutigen Tages das frühere culturgeschichtliche Interesse fast ganz verloren.
Wenn ich übrigens von dem politischen Inhalt der alten Kalender rede, so ist dabei natürlich nur an den trockensten Bericht der Staatsbegebenheiten, nicht an irgend eine Beurtheilung derselben oder gar an eine tendenziöse Einwirkung auf das Volk zu denken. Auch in dieser Hinsicht hält die Geschichte des Kalenders Schritt mit der Geschichte der Journalistik. An der Stelle, wo jetzt unsere Zeitungen Wahlsprüche führen, wie »Für Freiheit und Gesetz,« »Mit Gott für König und Vaterland« u. s. w., führte der deutsche »Reichspostreiter« damals ja auch nur sein gemüthliches » Relata refero.« Die Art, wie die Zeitgeschichte in den alten Volkskalendern berichtet wird, ist dann freilich oft originell genug, ein redendes Zeugniß für die politische Naivetät selbst der mittleren Bürgerklassen und zugleich für deren Beschränktheit und Kleinigkeitskrämerei. Als sich der zweite schlesische Krieg nach Böhmen gewälzt hatte, kann der Kalenderschreiber nur bedauern, daß dadurch die böhmischen Fasanen in den deutschen Hofküchen sehr rar geworden, da die preußischen Husaren nicht gar säuberlich mit diesem vornehmen Federvieh umgegangen seien. Die mit Holzschnitten illustrirten breiten Schilderungen von Krönungs-, Vermählungs- und Leichenfeierlichkeiten großer und kleiner Potentaten sind klassische Sittenbilder einer Zeit, wo die Idee von Volk und Staat dem Volke selbst nur leibhaftig wurde in der Erscheinung des Fürsten und seines Hofes. Beim Abschluß des Hubertsburger Friedens stellt darum der Kalenderschreiber alle weiteren Betrachtungen über die politische Bedeutung dieses weltgeschichtlichen Ereignisses, wie billig, bei Seite, um für die Schilderung des Umzugs, den der Friedensherold sammt Gefolge in Berlin gehalten, Raum zu gewinnen. Der Herold aber trug einen römischen Helm, einen Küraß mit darüber geworfenem Tigerfell, kurze Hosen, und wie der Kalender wörtlich berichtet, »saubere« weiße Strümpfe. Ein Holzschnitt in einem andern Kalender zeigt uns das Schloß Hubertsburg, aus dessen Thoren zwölf Postillone lustig blasend in die verödete Landschaft hinaussprengen, um den Frieden in alle Welt zu verkündigen, darüber aber schwebt ein Posaunenengel mit dem Spruch: »Des Herrn Gnade hat uns diesen Frieden geschenkt.« So malte man in treuherzig frommer Weise den Hubertsburger Frieden zu einer Zeit, da man die Staatsprognostica – für's Volk – noch gleich dem Wetter nach den Mondwechseln berechnete und da das deutsche Volk seine politischen Schicksale noch gleich dem Wetter in demüthigem Schweigen hinnahm als Fügungen des Herrn.
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Diese alten Kalender können uns lehren, wie ungerecht wir gegen uns selber sind, indem wir die Gegenwart beschuldigen, daß sie eine größere Kluft als je zuvor zwischen den Gebildeten und dem Volk bestehen lasse. Ein Blick auf das achtzehnte Jahrhundert zeigt das Unwahre dieser Meinung. Von den ungeheuren wissenschaftlichen und litterarischen Reformen dieser ganzen Periode spiegelt sich kaum ein leiser Schimmer selbst in jenen Kalendern, die viel mehr für den Bürger als den Bauersmann bestimmt waren. Niemand wird beim Durchblättern der ledernen zeitgeschichtlichen Annalen dieser Volksbücher ahnen, daß Lessing, Möser, Goethe, Herder, daß so viele bedeutende Philosophen und Historiker gleichzeitig ihre epochemachenden Werte geschrieben. In Styl und Inhalt bleibt sich der Kalender durch's ganze achtzehnte Jahrhundert wunderbar gleich; auch zur Zeit der französischen Revolution steht er noch bei Gottsched, wie damals auch der deutsche Kleinbürger in seinen poetischen Studien noch bei Gellert und Hagedorn stand, obgleich Schiller und Goethe, ja die Begründer der romantischen Schule in den höheren Bildungskreisen bereits das Feld behaupteten. Vereinzelte Versuche, wie von Chr. D. Schubart, für das Volk zu schreiben, zeigten vielmehr, daß zwischen dem Kleinbürger und Bauern und der gediegeneren Litteratur fast alle Anknüpfungspunkte fehlten. Abgesehen davon, daß nur litterarische Handlanger für den Volkskalender arbeiten, hielt es der Kalendermacher nicht einmal der Mühe werth, aus den Werken der besseren Autoren gelegentlich für seine Zwecke zu stehlen, obgleich doch für solche Kleinigkeiten damals noch freie Pürsch bestand. Erst viel später lernte es der Kalender von der Journalistik, aus reicher Leute Leder den Armen Schuhe zu schneiden.
Aehnlich steht es mit den Kalenderbildern, die durch's ganze achtzehnte Jahrhundert äußerst roh, kindisch und geistlos sind. Ein akademischer Künstler hätte am Hungertuche nagen müssen, um sich zu Skizzen für einen Volkskalender herabzulassen. Selbst Chodowiecki, der die Kunst der volksthümlichen modernen Charakterskizze in kleinen Federzeichnungen gleichsam neu wieder entdeckt hatte, berührte in seinen Einflüssen kaum die Sphäre dieser Kalender. Sein fleißiger Nachfolger, Heinrich Ramberg, nahm später auf ein Menschenalter die Zeichnung der Almanachs-Kupferstiche in Pacht und gewann bei der wunderbaren Fruchtbarkeit und Leichtigkeit seines Talents allerdings eine Art culturgeschichtlicher Bedeutung für die Charakteristik der feinen Welt. Allein gerade diese Almanache, die das Bedürfniß einer oberflächlichen litterarischen Unterhaltung tief in den Mittelstand herab verbreiteten, sind das schärfste Widerspiel ächter Volkslitteratur, und obgleich die Kupferstiche meist das Beste