Zwei Komtessen im Ballkleid, um 1860.
Bei den ersten Ballbesuchen konnte es auch hübschen Mädchen passieren, dass sie nicht flink genug zugriffen bei einer Aufforderung oder noch nicht wussten, dass es besser war, einen semi-respektierlichen Tänzer zu nehmen, als auf etwas Besseres zu warten. Dann standen sie plötzlich ohne Tanzpartner da, und die zuvor abgewiesenen Herren reagierten hämisch. Eine Erinnerung Alois Auerspergs an einen Jugendball: »Einer von mir später hoch verehrten Dame, damals eine sehr junge rotblonde Schönheit, passierte es, dass sie eine solche Tanzaufforderung mit einer Ausrede ablehnte. Sie blieb aber sitzen und als der Abgewiesene schwungvoll an ihr vorbeitanzte, rief er siegestrunken: »Sixt es, Rotschopfete, da hast es!«26
Freilich galt es bei all dieser Lebensfreunde, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: einen Ehemann zu finden. Und wenn eine Komtesse dieses Ziel kurzfristig vergaß, war sogleich die Mutter zur Stelle, um die Tochter daran zu erinnern. Eine möglichst gute Heirat war der Schlüssel zu einem standesgemäßen Leben – um nichts anderes ging es bei der aristokratischen Heiratspolitik. Emotionale Erwartungen oder gar Liebesheiraten ohne Rücksicht auf den Stand des Auserwählten wurden nicht zugelassen, und entsprechende Ideen den jungen Frauen schnell ausgetrieben. Denn nichts sicherte das Leben einer Tochter besser ab, als eine »gute Heirat«.
Eine »gute Heirat« war eine Heirat innerhalb des eigenen Standes, mit einem Mann gleicher Herkunft; was eine Fortführung der Lebensweise garantierte, an die man in der Familie gewöhnt war. Das wichtigste Erbe der Aristokratie, ihr soziales Kapital – dieses Gemisch aus der Wahrung althergebrachter Regeln, einer Lebensweise nach den standesspezifischen Ansprüchen und Gewohnheiten sowie der Weitergabe dieses Habitus an die nächste Generation – wurde, so glaubte man, nur gewahrt, wenn man auch beim Heiraten unter sich blieb. Neuzugänge von außerhalb gefährdeten diese in sich geschlossene Gemeinschaft. Denn wer nicht selbstverständlich von klein auf in diese starren Formen geboren wurde, konnte Verhaltensweisen hinterfragen oder gar ändern wollen – beides war weder erwünscht noch erstrebt.
Das weitere Leben hing also davon ab, welchen Mann eine Komtess erwählte oder, exakter formuliert, welchen Mann sie für sich gewinnen konnte. Es galt jedenfalls, einen Mann zu wählen, der zumindest auf gleicher Ebene der Adelshierarchie stand (im besten Fall noch darüber), weil sich der Rang der Frau ausschließlich nach dem Ehegatten richtete. Eine Heirat »nach unten« bedeutete, dass auch die Ehefrau nun rangmäßig tiefer stand, als ihr vielleicht von Geburt an zukam. Männer hatten es hier wesentlich einfacher, weil sie eine rangmäßig tiefer stehende Frau ehelichen konnten, ohne selbst in der Rangordnung Schaden zu nehmen. Freilich versuchten die Männer auch, ihre zukünftigen Ehefrauen eher nach dem gleichen Rang auszuwählen. Für eine Prinzessin – wie die Töchter aus Fürstenhäusern betitelt wurden – kamen also ausschließlich Fürsten (diesen Titel hatte immer der Erstgeborene und Erbe der Hauses) oder Prinzen (die Brüder oder Söhne des Fürsten) in Frage. Mädchen aus gräflichen Familien waren angehalten, zumindest einen Grafen für sich zu gewinnen. Töchter aus freiherrlichen Familien (die rangniedrigste Stufe, die noch zum hohen Adel gerechnet wurde) durften keinesfalls in die nächste Kategorie des Adels, in den »Briefadel« einheiraten, dem ehemals Bürgerliche angehörten, die für ihre Verdienste für den Staat oder für eine jahrzehntelange Beamtenkarriere vom Kaiser geadelt worden waren.
Zwei Komtessen in duftigen Ballkleidern und mit Kotillonblumen, um 1895.
Die Aristokratie war nicht nur unbarmherzig, was »Heiraten nach unten« betraf. Auch Ehen »hinauf«, also ins Kaiserhaus, lehnte man ab – wenn auch aus völlig anderen Gründen. Der Großteil des Adels betrachtete die wenigen Fälle, in denen Frauen aus den eigenen Reihen in das Kaiserhaus heirateten, als stete Quelle zukünftiger Konflikte. Denn einerseits wurde damit die Rangordnung innerhalb des Adels völlig durcheinander gebracht. Man betrachtete diese Frauen ja weiterhin als »seinsgleichen«, sprich so manche adelige Dame fand es schwer, vor einer Erzherzogin den Hofknicks zu machen, der sie vor nicht allzu langer Zeit noch ebenbürtig gegenüberstand. Andererseits erwartete gerade der Adel, dass das Kaiserhaus seiner strengen Heiratspolitik treu blieb, was hieß, dass Mitglieder des Erzhauses nur Frauen von königlichem Geblüt heiraten durften. Weniger wegen der Vorbildwirkung, vielmehr, weil man nicht wollte, dass einige Adelsfamilien durch Heiraten zu mehr Einfluss kamen.
Äußerst spitz wurden manche Heiraten im Kaiserhaus kommentiert. Besonders schwer hatte es Erzherzogin Isabella, die Gemahlin Erzherzog Friedrichs, die selbst als geborene Prinzessin Croy laut Habsburgischem Hausgesetz keine standesgemäße Heiratskandidatin war. Die beiden hatten acht Töchter, die es um 1900 ordentlich zu verheiraten galt. Die Zahl der hierfür infrage kommenden, ebenbürtigen, katholischen Partner war aber extrem klein. Mutter Isabella versuchte natürlich, mit einer Charmeoffensive jeden potentiellen Kandidaten für ihre Familie zu gewinnen – was vom Adel stets beißend kommentiert wurde, meist gleich mit einem Hinweis auf ihre eigene Abstammung: »Erzherzogin Isabelle (sic) ist beim Diner neben Heinrich von Bayern gesessen. Sie war bezaubernd mit ihm! Er würde gut für eine ihrer Töchter passen. So eine Mestizen-Heirath mit beiderseitig gemischtem Blut!«27 Die Ressentiments gerade gegen die Heiratspolitik von Erzherzogin Isabella, die ihre Töchter nicht nur in Königshäuser, sondern auch in die Hocharistokratie verheiratete, waren unter anderem im engen Heiratsmarkt begründet. Sobald auch noch steinreiche Erzherzoginnen beim Heiratskarussell mitmischten (Erzherzog Friedrich war durch sein Teschener-Erbe einer der reichsten Männer der Monarchie), verringerten sich die Chancen für die Komtessen.
Komtess Mary Taaffe, die Tochter des legendären Ministerpräsidenten und Jugendfreund des Kaisers Graf Eduard Taaffe, um 1885.
»Liebe ist nur etwas für Stubenmädeln«,28 hieß es für eine Komtess. Nicht persönliches Glück sollte das Ziel ihrer Heirat sein, sondern sie sollte sozusagen in einen, zu ihrem Stand passenden Aufgaben- und Wirkungsbereich einheiraten.29 Was die verwandtschaftliche Ehe betraf, waren Heiraten zwischen Cousins ersten Grades zwar nicht erste Wahl, von manchen Familien auch nicht gewünscht, aber auch nicht tabu. Es kursierte zwar im Adel der Spruch »Geschwisterkinder-Heirath – taubstumme Kinder«,30 aber oft schob man dieses Argument eher vor, wenn man unliebsamen Verbindungen aus dem Weg gehen wollte, ohne sich deklarieren zu müssen. Unpassend fand man Verwandtenehen nicht – und allemal besser als Ehen mit Männern, die nicht als lupenreine Aristokraten galten.
Für den Hochadel waren schon die Söhne vieler ungarischer Landedelfamilien, mochten diese auch als sehr alt gelten, keine geeigneten Heiratskandidaten. Wollte sich eine Komtess mit solch einem rangniedrigeren Mann vermählen, beziehungsweise wagte es etwa ein Mann, der nicht fürstlichen Geblüts war, um die Hand einer Prinzessin anzuhalten, so war die Empörung groß. Als sich Prinzessin Mary Hohenlohe-Bartenstein in den ungarischen Grafen Albert von Lonyay verliebte, der nicht im Gothaischen Almanach zu finden war und deshalb als »untituliert« galt, ja der nicht einmal Erbe des Familienvermögens war, und die Mutter um ihre Erlaubnis zur Heirat bat, brach ein Donnerwetter an Vorwürfen auf das junge Mädchen ein. Schließlich schleuderte ihr die Mutter in ihrer übergroßen Erregung entgegen: »Wie denkst du dir das eigentlich? Da wird man dich am Ende gar noch mit ›Gnädige Frau‹ ansprechen müssen!«31 Prinzessin Mary, die sich weigerte, einen anderen Mann zu heiraten, musste schwer dafür bezahlen. Die Eltern verweigerten ihre Zustimmung und erschienen, wie auch der Bruder, nicht zur Trauung. Nach der Trauung in einer einfachen Landkapelle durfte die Braut, die »nach unten« und gegen den Willen der Eltern geheiratet hatte, nicht die Familienequipage verwenden, um zum Bahnhof zu kommen – ein Bauernfahrwerk brachte die Neuvermählten zur Station: ein mehr als deutliches Zeichen einer gesellschaftlichen Verurteilung.32
Prinz Karl Schwarzenberg mit seiner Braut, um 1880.
Ehen mit Bürgerlichen waren für Aristokratinnen nicht nur unpassend, sondern in der damaligen »Ersten