DAS ORAKEL. Daphne Niko. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daphne Niko
Издательство: Bookwire
Серия: Sarah Weston Abenteuer
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352056
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Das schrille Geräusch, das Sarah noch nie zuvor gehört hatte, kam vom Gebäude.

      «Idiot. Jetzt hast du's geschafft.»

      «Lass uns verschwinden.»

      «Was ist mit dem Pfahl?»

      «Vergiss ihn. Lauf!»

      Als das schmatzende Geräusch panischer Schritte im Schlamm leiser wurde, drehte sich Sarah zu Daniel um. Er drückte auf eine Fernbedienung, um einen tragbaren Alarm abzustellen, hob eine Hand, um ihr zu bedeuten, zu warten, und spähte um die Ecke.

      «In Ordnung. Sie sind weg.»

      Sie machte einen Schritt auf ihn zu. «Warum hast du sie davonkommen lassen? Sie gehören hinter Gitter.»

      «Ich hatte nicht vor, sie laufen zu lassen.» Er presste die Lippen aufeinander. «Es gab eine Komplikation.»

      «Du meinst doch nicht …» Sie unterbrach sich, als ihr klar wurde, dass sie seinen Plan vereitelt hatte, wie immer der auch ausgesehen hatte. Sie schnaufte.

      «Ich wollte nicht, dass du verletzt wirst, Sarah. Die waren bewaffnet.»

      «Wenn du mir erzählen würdest, was los ist, dann könnten wir vielleicht solche Komplikationen vermeiden.» Ihre letzten Worte waren voller Verachtung.

      Er atmete hörbar aus. «Es ist extrem kompliziert.»

      Sie starrte ihn an. Sie kannte ihren Partner so gut, dass sie die feinen Veränderungen in seinem Blick lesen konnte. Seine übliche, gelassene Zuversicht hatte sich in Unbehagen verwandelt.

      «Ich hab die ganze Nacht Zeit.» Sie nickte in Richtung des Gebäudes. «Sollen wir?»

      Er gab den richtigen Code ein und die Verrieglung öffnete sich mit einem leisen Klicken. Er hielt Sarah die Tür auf, trat dann nach ihr ein und schloss die Tür wieder. Er hielt sich nicht mit dem Licht auf.

      Ein Strahl fahlen Mondlichts fiel durch die schmalen Obergadenfenster oben am Gebäude und warf einen übernatürlichen Schimmer auf die Gegenstände, die in Forschungswannen und auf Untersuchungstischen lagen. Sarah verschränkte die Arme. «Evan sagte, du warst in Athen. Warum?»

      «Der Stiftungsleiter hat ein Meeting einberufen», antwortete er.

      «Mitten in der Nacht? Komm schon, Danny.»

      «Männer wie er sind immer in Bewegung. Er war im Mittleren Osten und hatte letzte Nacht auf dem Weg nach London einen Zwischenstopp in Athen. Mach nicht mehr daraus, als es ist.»

      «In Ordnung. Worum ging es in dem Meeting?»

      Er zögerte, und Sarah wusste, dass er seine Antwort abschätzte. Es sah Daniel Madigan nicht ähnlich, ausweichend zu sein. Er war ein ehrlicher Kerl ohne Rücksicht auf Konventionen oder politische Korrektheit. Nur ein Mal hatte sie gesehen, dass er sich so verhielt: Als er versucht hatte, sie vor etwas zu beschützen.

      «Sie sind wegen der Diebstahlserie rund um Griechenland beunruhigt», sagte er. «Sie wollen, dass ich Augen und Ohren vor Ort für sie offenhalte. Das ist alles.»

      «Das ist alles.» Sie war sich der Ironie in ihrer Stimme bewusst. «Tja, du kannst deinen Stiftungsfreunden folgendes sagen: Wer immer gestern und heute hier war, hat nichts mit diesen anderen Diebstählen zu tun. Diese Kerle sind hinter etwas Bestimmtem her. Einem Messingpfahl, der wie ein Obelisk geformt ist.»

      Er wich ihrem Blick aus.

      Auf ihrer Stirn bildete sich eine Falte. «Aber das wusstest du wahrscheinlich.»

      Er nickte schwach und schob seine Hände in die Taschen seiner ausgewaschenen, abgetragenen Jeans. Seine Muskeln verspannten sich unter seinem engen, schwarzen T-Shirt.

      Sie trat auf ihn zu. «Was ist er? Warum sind sie hinter ihm her?»

      «Ich weiß es nicht.» Daniel seufzte. «Das ist die Wahrheit.»

      «Was, wenn ich dir helfe, es rauszufinden?»

      Daniel zwang sich zu einem Lächeln und die Falten um seine Augen wurden tiefer. Seine schulterlangen, mahagonifarbenen Locken waren windzerzaust und so durcheinander, als hätte er sich seit Tagen nicht um sie gekümmert. Er sah müde aus, älter als seine dreiundvierzig Jahre. Obwohl sie wusste, dass er etwas vor ihr geheim hielt, spürte Sarah, dass sein ausweichendes Verhalten nicht feindselig war; er steckte in irgendwelchen Schwierigkeiten. Ob er es aussprach oder nicht, sie wusste, dass er sie brauchte.

      Sie tätschelte seinen Arm. «Du siehst aus, als könntest du ein wenig Schlaf vertragen. Wir können uns das Ganze morgen mit frischem Blick ansehen.»

      «Danke.» Er umarmte sie sanft, löste sich aber schnell. «Danke für dein Verständnis.»

      Sie verstand gar nichts. Aber sie war dazu entschlossen, zu verstehen.

      Kapitel 7

      Obwohl er seit über vierundzwanzig Stunden ohne Schlaf war, hatte Daniel nicht die Absicht, sich auszuruhen. Er sah auf seine Uhr: Viertel vor fünf am Morgen. Ihm graute vor dem Anruf, den er machen musste.

      Er verschloss die Tür zu seinem Zimmer und drehte den Wasserhahn am Waschbecken auf. Dann tippte er sein Passwort ins Handy und schrieb eine Nachricht: Ich habe Informationen. Rufen Sie mich an.

      Er wusste, dass Langham ein Frühaufsteher war, und war daher nicht überrascht, als sein Telefon nur Augenblicke später vibrierte. Auf dem Display stand Nummer unterdrückt.

      «Guten Morgen, James. Sie sind aber in aller Frühe auf.»

      «Ich beginne den Tag mit einem kleinen Lauf.» Er klang außer Atem. «Mein Kardiologe sagt, dass ich Gewicht verlieren muss. Also, was haben Sie?»

      «Tja, Sie hatten recht. Sie sind zurückgekommen. Letzte Nacht gab es einen versuchten Einbruch.»

      «Hervorragend. Wissen wir, für wen sie arbeiten?»

      Daniel rieb sich über die Stirn. Trotz der Kälte war sie feucht von Schweiß. «Nein. Sie sind entwischt.»

      Ein Moment des Zögerns entstand. «Was?» Ein einzelnes Wort, ruhig aber bedeutungsschwer.

      «Es tut mir leid. Ich bin auf Schwierigkeiten gestoßen.»

      «Der Plan war narrensicher, Madigan. Den Code zu ändern diente dazu, sie auszubremsen, damit Sie sie konfrontieren können. Wie konnten Sie versagen?»

      Daniel biss die Zähne zusammen. Er konnte Langham unmöglich die volle Wahrheit sagen. «Ich musste den Plan aufgeben. Sie waren zu schwer bewaffnet.»

      Langham atmete durch. «Ich bin zutiefst enttäuscht. Das bringt uns ins Hintertreffen. Das ist Zeit, die wir uns kaum leisten können, zu verlieren.»

      «Es war nicht Teil der Abmachung, mein Leben aufs Spiel zu setzen.»

      «Hören Sie mir zu, Madigan. Sie haben achtundvierzig Stunden, um herauszufinden, wozu der Obelisk dient. Ich breche heute nach Belgien auf. Wenn ich wiederkomme, erwarte ich einen vollständigen Lagebericht.»

      Die Verbindung wurde unterbrochen. Daniel warf das Handy aufs Bett und atmete schwer aus. Er war es nicht gewohnt, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, und verspürte einen Anflug von Selbsthass, weil er sich erlaubt hatte, in diese Situation zu geraten. Er sagte sich, dass er keine Wahl gehabt hatte. Vor zwei Monaten war er verzweifelt gewesen. Er wäre jeden Handel eingegangen, um sie zu retten.

      Das hatte er auch. Und jetzt war es an der Zeit, zurückzuzahlen – obwohl der Tribut höher war, als er es sich je vorgestellt hatte.

      Ein rasches Klopfen erschreckte ihn. Er drehte den Wasserhahn ab, bevor er die Tür öffnete.

      Draußen stand Evan. Hinter ihm verkündete ein violettgetönter, wolkenloser Himmel die Ankunft eines klaren Tages, dem ersten seit Wochen. «Ich habe das Wasser laufen hören und geschlussfolgert, dass Sie da sind.» Er sah über Daniels Schulter ins Zimmer hinein. «Ich hoffe, ich störe nicht.»