Flügelschatten. Carolin Herrmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolin Herrmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959915533
Скачать книгу
Haut gebrannt, es will kaum verschwinden, und als es schließlich das Wasser des Flusses verfärbt und er es davonträgt, wird mir schlecht.

      Zögernd spähe ich über das Ufer. Irgendwie habe ich Angst, gänzlich in den Fluss zu steigen. Was, wenn ich auch davongeschwemmt werde? Dabei ist die Strömung nicht stark.

      Nervös sehe ich mich um, selbst wenn nichts zu hören ist außer dem Singen der Vögel und dem Rauschen des Wassers, wenn es sich an Felsen bricht. Langsam wate ich ins Wasser hinein, die Strömung umfließt meine blassen Knöchel bis zu den Fesseln und meine Zehen graben sich in den schlammigen Grund, die Fische kitzeln mich. Zögernd kneife ich die Augen zusammen und lasse mich mit einem spitzen Schrei hineinfallen. Das Wasser schlägt über meinem Kopf zusammen und ich sinke wie ein Stein. Panisch reiße ich die Augen auf, meine blonden Haare umtanzen mich. Prustend und keuche strampele ich mich an die Oberfläche.

       Schwimmen!

      Ich rudere unbeholfen mit den Armen und paddle dazu mit den Beinen, um mich irgendwie über Wasser zu halten und zurück an das Ufer zu kommen. Panisch strecke ich eine Hand nach einer Schilfpflanze aus und klammere mich erstickt daran.

      Japsend und keuchend ziehe ich mich am Ufer entlang, bis der Fluss an einer Stelle niedrig genug ist, dass ich sitzen kann, ohne zu ertrinken. Vorsichtig streife ich zuerst mein Oberteil und dann meine Hose ab. Mit den Händen reibe ich den Stoff aneinander, um so die schrecklichen Flecken herauszuwaschen, und werfe sie dann auf das Gras. Behutsam rutsche ich weiter in das Wasser. Es ist eiskalt und genau das brauche ich. Mein Kopf wird klarer und ich fühle mich langsam sauberer, je länger es über mich fließt. Ich tauche unter, wasche die Erinnerungen an das tote Tier weg. Wasche den Mord von meiner Haut, den Geruch des Todes, der sich in meinen Poren eingenistet hatte. Ich wasche und reibe und trotzdem fühle ich mich in meinem Inneren nicht besser.

      Die Spuren sind von Haut und Kleidung verschwunden, aber in meinem Gedächtnis sind sie weiterhin wie schwarze Brandflecke, die ich nicht ausblenden kann. Da ist das Monster, das mich wie eine zweite Haut bedeckt. Ich keuche auf und stoße wieder an die Oberfläche, reibe mir das Wasser aus den Augen und seufze auf.

      Was ist denn nur los mit mir? Warum bin ich nicht wie die anderen Lebewesen hier im Wald? Gibt es noch mehr von denen, die wie ich aussehen? Gibt es da draußen mehr von dem, was ich bin? Noch mehr mit diesen Augen? Vielleicht können die mir ja Antworten darauf geben, warum ich mich an nichts erinnern kann.

      Ich muss sie nur finden.

      Doch mein neu gewonnener Mut erstickt augenblicklich noch im Keim. Wo soll ich denn nur suchen? Der Wald ist schier endlos.

      Missmutig klettere ich nach draußen und streife meine Kleidung wieder über. Sie ist zwar nass und klebt an meinem Körper, bei der wärmenden Sonne trocknet sie jedoch sicher schnell. Ein Vogel stößt einen merkwürdigen Laut aus, der Wind fährt durch die Äste und den Rest des Tages verstecke ich mich auf meinem Baum aus Angst, wenn ich herumstreune, könnte ich irgendeinem anderen Tier begegnen und es möglicherweise angreifen.

      In der Nacht träume ich schrecklich.

      Ich sehe Füchse mit blutrotem Fell, die eine kleine Gestalt auf einem Felsvorsprung umkreisen. Ihre Bewegungen sind forschend und überlegt, langsam ziehen sie den Kreis enger und enger. Die Gestalt in ihrer Mitte ist leichenblass, ihre Haut leuchtet wie milchiges Mondlicht und als sie den Kopf hebt, erkenne ich mich selbst. Meine großen dunklen Augen verschlucken mich, sehen mich kalt und erbarmungslos an. Mit einem Mal ändert sich ihre Farbe, sie werden rot. Rot wie Blut. Es leuchtet auf meiner Kleidung, in meinen Haaren, an meinen Händen.

      Die Gestalt bemerkt es kaum. Ihr Blick ist starr und fest auf mich gerichtet und ich fühle mich, als würde ich der körperlosen Stimme in meinem Kopf gegenüberstehen. Als wäre das die Frau, die sie aus mir machen möchte. Ich will zurückweichen, doch meine Beine sind wie festgewachsen, ich kann mich nicht rühren, kann mich nicht aus ihrem bannenden Blick befreien.

      Die Frau bleckt angriffslustig die Zähne und die Füchse wenden sich ebenfalls mir zu. Ihre glänzenden Augen blicken mich vorwurfsvoll und rachsüchtig an.

      3

      Der Weg führt mich wie jeden Morgen zum Fluss, der sich in einem langen, glitzernden Band durch den gesamten Wald zieht. Ich finde ihn früher oder später und es belustigt mich, sein steiniges Ufer stets an einer anderen Stelle zu erreichen. Grüne Wasserpflanzen ragen aus den Einbuchtungen hervor und die Kiesel an seinem Grund blitzen im Sonnenlicht. Ich klettere flink von einem großen flachen Stein zum anderen, gebückt, wie ich es mir bei einigen Tieren abgeschaut habe. Meine nackten Zehen finden Halt in den Ritzen und ich bewege mich bis zur Mitte vor. Lächelnd beobachte ich die Fische, die durch das Wasser schießen. Ihre silbrigen Schuppen schimmern wie ein Kettenhemd.

      Kurz stutze ich über meine eigenen Gedanken – Kettenhemd? Wo kommt dieser Begriff her? Ich kenne ihn und dennoch kann ich mir das Bild dazu kaum ins Gedächtnis rufen. Eine Weile betrachte ich sie, meine Blicke flackern unruhig hin und her, dann schnelle ich mit meinem Arm vor und erlege einen zarten Goldschwimmer. Nach wenigen Versuchen habe ich genug gefangen, dass es für einige Mahlzeiten reichen wird.

      Ich habe versucht, mich dagegen zu wehren, doch seitdem ich erstmals vom Blut des Fuchses getrunken habe, reichen mir die Wurzeln im Uferschlick oder die Kräuter und Strauchbeeren nicht mehr. Sie schaffen es zwar für eine gewisse Zeit, die Leere in meinem Magen zu füllen, aber es vergehen nur wenige Tage, bis ich wieder spüre, dass mein Verlangen damit nicht gestillt ist. Als ich es das erste Mal nach dem Vorfall mit dem Fuchs zu ignorieren versuchte, konnte ich regelrecht fühlen, wie ich schwächer wurde, und aus Angst, wieder die Kontrolle über mich zu verlieren, begann ich, in regelmäßigen Abständen Tiere zu erlegen.

      Das zweite Mal Blut zu trinken war nicht minder unglaublich, indes konnte ich mich besser beherrschen. Ich zerfleischte mein Opfer nicht völlig und ich konnte mich gänzlich an die Tat erinnern. Keine gute Tat, das spüre ich. Habe ich eine Wahl? Vielleicht sind alle Wesen wie ich so. Und schließlich wollten auch die Feuerraben den Fuchs fressen. Es fühlte sich besser an und nachdem ich von dem Blut gekostet hatte, spürte ich förmlich, wie Energie durch mich hindurchjagte, und meine Laune besserte sich augenblicklich, deshalb bleibe ich nun dabei.

      Gerade als ich die Fische bis auf ihre Gräten abgenagt habe und mir mit dem Handrücken über den Mund wische, dringen mit einem Mal seltsame Geräusche an mein Ohr. Ich stutze.

      Ein Getrappel wie von Hufen und das Rascheln von Kleidern, ein Klappern, ein Klopfen … Ich springe sofort auf und laufe darauf zu. Zu meiner Verwirrung muss ich ein ganzes Stück durch den Wald rennen, ehe ich Bewegungen zwischen den Bäumen erahnen kann, dabei waren die Laute klar und deutlich, als kämen sie aus nächster Nähe.

      Blitzschnell erklimme ich einen Baum und erreiche seine höchsten Äste. Aufmerksam spähe ich über die hohen Kronen. Da, Gestalten, die zwischen den mächtigen Stämmen umherwandern. Sie haben Karren bei sich. Karren und Wagen, gezogen von Pferden.

      Lauernd folge ich den Wandernden und sehe nach Westen. Dort erkenne ich in einiger Entfernung rote, riesige Mützen. Von ihnen dringt ein merkwürdiger Lärm zu mir herüber, den ich nicht so recht einordnen kann. Was mag dort wohl sein? Könnte es vielleicht sein … Ich verschwinde wieder im Geäst und springe von einem der niedrigeren Äste, lande leichtfüßig auf dem weichen Waldboden.

      Neugierig folge ich den Geräuschen.

      In ausreichendem Abstand schleiche ich hinter den Gestalten her, verberge mich im Unterholz und halte nach ihnen Ausschau, ehe ich ihnen weiter lautlos nachlaufe. Plötzlich stehen die schützenden Bäume weiter auseinander, das Gestrüpp lichtet sich und ich merke, wie es heller wird. Ich nähere mich einer Lichtung. Einer riesigen Lichtung.

      Abrupt halte ich inne. Die Gestalten laufen unbeirrt weiter und verlassen das Dickicht des Waldes, treten hinaus in das Licht. Ich blicke mich nervös um, spähe zurück in die grüne Dunkelheit, die mir vertraut ist. Noch nie habe ich mich weit genug vorgewagt,