Ich nenne derartiges einen komischen Rückfall; denn da der Nationalsozialismus auf Fanatismus gegründet ist und mit allen Mitteln die Erziehung zum Fanatismus betreibt, so ist fanatisch während der gesamten Ära des Dritten Reiches ein superlativisch anerkennendes Beiwort gewesen. Es bedeutete die Übersteigerung der Begriffe tapfer, hingebungsvoll, beharrlich, genauer: eine glorios verschmelzende Gesamtaussage all dieser Tugenden, und selbst der leiseste pejorative Nebensinn fiel im üblichen LTI-Gebrauch des Wortes fort. An Festtagen, an Hitlers Geburtstag etwa oder am Tag der Machtübernahme, gab es keinen Zeitungsartikel, keinen Glückwunsch, keinen Aufruf an irgendeinen Truppenteil oder irgendeine Organisation, die nicht ein »fanatisches Gelöbnis« oder »fanatisches Bekenntnis« enthielten, die nicht den »fanatischen Glauben« an die ewige Dauer des Hitlerreiches bezeugten. Und erst im Kriege, und nun gar als sich die Niederlagen nicht mehr vertuschen ließen! Je dunkler die Lage sich gestaltete, um so häufiger wurde der »fanatische Glaube an den Endsieg«, an den Führer, an das Volk oder an den Fanatismus des Volkes als an eine deutsche Grundtugend ausgesagt. Der quantitative Höchstgebrauch in der Tagespresse wurde im Anschluß an das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 erreicht: in buchstäblich jedem der übervielen Treuegelöbnisse für den Führer steht das Wort.
Hand in Hand mit dieser Häufigkeit auf politischem Felde ging die Anwendung auf anderen Gebieten, bei Erzählern und im täglichen Gespräch. Wo man früher etwa leidenschaftlich gesagt oder geschrieben hatte, hieß es jetzt fanatisch. Damit trat notwendigerweise eine gewisse Erschlaffung, eine Art Entwürdigung des Begriffes ein. In der erwähnten Göring-Monographie wird der Reichsmarschall unter anderem auch als »fanatischer Tierfreund« gerühmt. […]
Doch dem sprachlich führenden Kopf des Dritten Reiches, dem es um die volle Wirkung des aufpeitschenden Giftes zu tun war, ihm freilich mußte die Abnutzung des Wortes als eine innere Schwächung erscheinen. Und so wurde Goebbels zu dem Widersinn gedrängt, eine Steigerung über das nicht mehr zu Steigernde hinaus zu versuchen. Im »Reich« vom 13. November 1944 schrieb er, die Lage sei »nur durch einen wilden Fanatismus« zu retten. Als sei die Wildheit nicht der notwendige Zustand des Fanatikers, als könne es einen zahmen Fanatismus geben.
Die Stelle bezeichnet den Verfall des Wortes.
Vier Monate zuvor hatte es seinen höchsten Triumph gefeiert, war es gewissermaßen der höchsten Ehre teilhaftig geworden, die das Dritte Reich zu vergeben hatte, der militärischen. Es ist eine besondere Aufgabe, zu verfolgen, wie die überkommene Sachlichkeit und fast kokette Nüchternheit der offiziellen Heeressprache, vor allem der täglichen Kriegsbulletins,27 allmählich von den Geschwollenheiten des Goebbelsschen Propagandastils überspült wurde. Am 26. Juli 1944 wurde zum erstenmal im Heeresbericht das Adjektiv »fanatisch« im rühmenden Sinn auf deutsche Regimenter angewendet. Unsere in der Normandie »fanatisch kämpfenden Truppen«. Nirgends ist der weltweite Abstand zwischen der militärischen Gesinnung des ersten und der des zweiten Weltkrieges so grausam deutlich wie hier.
Schon ein Jahr nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches läßt sich ein eigentümlich stichhaltiger Beweis dafür beibringen, daß »fanatisch«, dieses Schlüsselwort des Nazismus, niemals durch das Übermaß der Anwendung wirklich entgiftet wurde. Denn während sich überall Brocken der LTI in der Sprache der Gegenwart breitmachen, ist »fanatisch« verschwunden. Daraus darf man mit Sicherheit schließen, daß eben doch im Volksbewußtsein oder -unterbewußtsein der wahre Sachverhalt all die zwölf Jahre lebendig geblieben ist: dies nämlich, daß ein umnebelter, der Krankheit und dem Verbrechen gleich nahestehender Geisteszustand durch zwölf Jahre als höchste Tugend betrachtet wurde.
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