THERAPEUTIN: Bevor wir die heutige Sitzung beenden, möchte ich Sie beide noch bitten, dass Sie sich über eine Hausaufgabe Gedanken machen. Wenn Sie sich für die kommende Woche eine Hausaufgabe geben müssten, wie würde die aussehen?
TOCHTER: Vielleicht so, dass wir mehr miteinander reden?
THERAPEUTIN: Kannst du mir das genauer erläutern?
TOCHTER: Also, dass ich versuche, mehr mit ihr zu reden, wenn ich von der Schule nach Hause komme. Und dass sie dann mit dem, was sie gerade macht, aufhört und mir zuhört.
THERAPEUTIN: Das finde ich gut. Weißt du warum? Weil es genau das ist, womit Ihr beide schon letzte Woche angefangen habt. Was halten Sie als Mutter von der Idee? Ist das eine gute Hausaufgabe?
MUTTER: Ja, die ist gut.
THERAPEUTIN: Das heißt also, um es noch einmal klar zu formulieren: Anita wird versuchen, mehr mit Ihnen zu reden, wenn sie von der Schule nach Hause kommt. Und Sie werden das, was Sie gerade machen, unterbrechen, wenn es geht, und ihr zuhören und mit ihr über das sprechen, wovon sie Ihnen gerade erzählt. Sonst noch etwas? Wollen Sie dem noch etwas hinzufügen?
MUTTER: Nein, das ist gut so. Ich muss eben mit dem, was ich gerade mache, aufhören; ich glaube, es ist wichtig, dass ich ihr zuhöre.
THERAPEUTIN: Ja, und ich hatte den Eindruck, dass das bei Ihnen beiden letzte Woche wirklich gut geklappt hat. Okay, das ist also die Aufgabe. Wir werden das nächste Mal sehen, wie es gelaufen ist.
Hier sind ein paar Aspekte hervorzuheben. Erstens werden Mutter und Tochter aufgefordert, sich selbst eine Aufgabe zu stellen – statt dass die Therapeutin ihnen einen Auftrag gibt. Zweitens ergibt sich die Aufgabe, die Mutter und Tochter formulieren, ganz natürlich aus einer früheren Lösung und aus den Ausnahmen, die sie in der Woche zuvor beobachtet haben. So etwas kommt sehr häufig vor und wird von lösungsfokussiert arbeitenden Therapeuten unterstützt. Doch selbst, wenn sich die Klientinnen eine Aufgabe gestellt hätten, die nicht auf einer früheren Lösung und auf Ausnahmen des Problems beruht hätte, hätte die Therapeutin den Vorschlag der beiden höchstwahrscheinlich gutgeheißen – denn entscheidend ist, dass die Aufgabenstellung vom Klienten kommt.
»Was ist seit unserem letzten Gespräch besser geworden, auch wenn es nur ein kleines bisschen besser ist?« Ab der zweiten Sitzung und zu Beginn eines jeden Therapiegesprächs erkundigt sich der Therapeut üblicherweise nach dem Fortschritt des Klienten, d. h. danach, was zwischen der letzten und der jetzigen Sitzung besser gewesen ist. Viele Klienten berichten, dass spürbare Besserungen zu beobachten gewesen seien. In solchen Fällen motiviert der Therapeut die Klienten dazu, diese Veränderungen so detailliert wie möglich zu beschreiben. Natürlich berichten manche Klienten auch, dass die Situation unverändert geblieben sei oder sich sogar verschlimmert habe. In solchen Fällen exploriert der Therapeut, wie die Klienten es haben verhindern können, dass die Situation nicht noch schlimmer geworden ist – bzw., wenn eine Verschlimmerung eingetreten ist, erkundigt sich der Therapeut bei den Klienten, wie sie es geschafft haben, dass die Situation nicht noch viel schlimmer geworden sei. Alles, was der Klient unternommen hat, um eine Verschlechterung abzuwenden, wird dann zum zentralen Thema und ist Anlass für Komplimente und Anerkennung und vielleicht auch für ein Experiment: alles so weiterzumachen, wie man es bisher gemacht hat. Meistens wird ausführlich darüber gesprochen, was besser geworden ist, und anschließend bittet der Therapeut die Klienten, ihre Fortschritte auf einer Skala einzustufen (wobei die Skalierung auf eine Lösung zustrebt). Wenn die Klienten sich höher einstufen als in der letzten Sitzung, macht der Therapeut ihnen Komplimente für ihre Fortschritte und hilft ihnen herauszufinden, wie sie die positive Entwicklung aufrechterhalten können.
An einem Punkt der Sitzung – möglicherweise am Anfang, vielleicht auch in einer späteren Phase – überprüft der Therapeut (häufig auf indirekte Weise), wie es mit der Hausaufgabe geklappt hat. Wenn der Klient die Aufgabe ausgeführt und sie »funktioniert«, d. h. ihm geholfen hat, seinem Ziel ein Stück näher zu kommen, macht ihm der Therapeut dafür Komplimente. Hat der Klient die Aufgabe nicht ausgeführt, erwähnt der Therapeut diese im Allgemeinen nicht mehr, sondern fragt ihn, was er anstelle der Hausaufgabe gemacht habe, das vielleicht besser gewesen sei.
Das Konzept der SFBT unterscheidet sich von anderen Therapiemodellen, z. B. kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätzen, bei denen Hausaufgaben ein häufig eingesetztes Element sind, dadurch, dass die Aufgabe an sich nicht als Voraussetzung für Veränderung gesehen und folglich die Nichterfüllung einer Aufgabe nicht thematisiert wird. Wenn der Klient eine Hausaufgabe nicht durchgeführt hat, geht man davon aus, dass (a) der Erfüllung konkrete Hindernisse im Weg standen, z. B. Arbeit oder Krankheit; (b) der Klient die Aufgabe nicht als hilfreich empfand; (c) die Aufgabe zwischen der letzten und der jetzigen Sitzungen nicht relevant war. In keinem Fall wird Ursachenforschung betrieben. Wenn der Klient die Aufgabe erfüllt hat, die Situation aber nicht besser worden ist oder sich gar verschlechtert hat, geht der Therapeut mit dieser Tatsache genauso um, wie wenn die Probleme des Klienten unverändert geblieben wären oder sich generell verschlimmert hätten.
1.4 Anwendungsbereiche der lösungsfokussierten Kurztherapie
Die lösungsfokussierte Therapie gehört weltweit zu den beliebtesten und am häufigsten verwendeten Therapiemodellen. Weil dieser Ansatz auf dem Resilienzkonzept beruht und frühere Lösungen der Klienten und die Ausnahmen ihrer Probleme nutzbringend einsetzt, kann er bei allen Arten von Problemen angewendet werden und wird in der Tat von Klinikern bei unterschiedlichsten Problemsituationen genutzt. Zu den Anwendungsbereichen zählen u. a. die Familientherapie (McCollum a. Trepper 2001), die Paartherapie (Weiner-Davis 2004), die Behandlung von Opfern sexuellen Missbrauchs (Dolan 1991), die Suchtbehandlung (Berg u. Miller 2007; de Shazer a. Isebaert 2003) und die Behandlung von Schizophrenie (Eakes et al. 1997). Es gibt auch Selbsthilfebücher aus der lösungsfokussierten Perspektive (Dolan 1998), und der lösungsfokussierte Ansatz findet nun neben der herkömmlichen psychotherapeutischen Praxis auch Anwendung bei Interventionen in sozialdienstlichen Einrichtungen (Pichot a. Dolan 2003), im Bildungs- und Erziehungsbereich und in Modellschulen (Rhodes a. Ajmal 2001) sowie in wirtschaftlichen Organisationen (Caufmann 2001).
1.5 Studien zur Wirksamkeit lösungsfokussierter Kurztherapien
Angesichts der weit gefächerten Anwendung der SFBT sowohl im klinischen Kontext als auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen ist es bedauerlich, dass bis jetzt nicht mehr empirische Studien zur Wirksamkeit dieser Therapieart vorliegen. In der bis jetzt gründlichsten Analyse untersuchten Gingerich und Eisengart (2000) 15 empirische Studien zur Wirksamkeit lösungsfokussierter Kurztherapien. Von den fünf Untersuchungen, die als gut kontrollierte Studien beurteilt werden, weisen vier nach, dass eine lösungsfokussierte Therapie besser ist als gar keine Behandlung bzw. als die übliche Behandlung. Die fünfte Studie kommt zu dem Schluss, dass die SFBT die gleiche Wirkung hat wie die interpersonale