»Du kommst reichlich spät«, sagte er vorwurfsvoll mit heiserer Stimme, als Tilda sich an ihm vorbei in den Raum schob, in dem eine auf dem Fußboden stehende Kerze brannte.
Ihr Atem ging heftig.
»Ich glaube, man hat mich beobachtet«, gab sie gereizt zurück. »Ihr stellt euch das alles so einfach vor.«
»Hat man dich denn verfolgt?«, fragte Rendic beunruhigt.
Sie lachte nervös. »Wäre ich dann gekommen?«
»Was bringst du?«, drängte er. »Ich hab’ verdammt wenig Zeit.«
Für ihre Schönheit hatte er keinen Blick. Eine alte Vettel, die ihn mit Nachrichten versorgte, war ihm genauso viel wert wie die dunkelhaarige junge Frau des deutschen Emigranten.
In Stichworten berichtete sie ihm den Inhalt des Funkspruchs, den Wachtmeister Maderspacher in Empfang genommen hatte.
»Interessant«, meinte Rendic gedehnt. »Endlich einmal was Greifbares. Und sonst?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nichts.«
Der ausgezehrt wirkende Mann mit dem hageren Raubvogelgesicht verzog die dünnen Lippen.
»War’s wenigstens amüsant?«
»Halt den Mund!«, stieß sie angewidert hervor. »Mich ekelt schon vor mir selbst.«
»Du hättest dich an den Leutnant ’ranmachen sollen«, sagte er unbeirrt.
»Der ist schon versorgt, sogar verlobt«, antwortete sie. »Wie oft soll ich es dir noch sagen?«
»Kennst du sie?«, fragte Rendic.
»Bisher nicht. Aber es ist nicht schwer, sie kennenzulernen. Warum?«
Er hob die knochigen Schultern unter dem fadenscheinigen, schmutzigen Hemd.
»Man kann nie wissen. Vielleicht hört sie mal was von ihm. Jeder Fingerzeig ist wichtig. Aber jetzt Schluss. In drei Tagen neuer Treff. Ich muss jetzt schnellstens den Stab der 183. Proletarischen Division verständigen. Die sind in dieser Ecke zuständig.«
Grußlos verließ er die Kammer.
Erst nach einigen Minuten blies Tilda die Kerze aus und folgte ihm. Durch enge Gassen, in denen es aufdringlich nach Seewasser und Fäulnis roch, gelangte sie zum Stradun.
Als sie das Zimmer betrat, das sie mit Paul bewohnte, richtete der Doktor sich benommen von der Couch auf, auf der er eingeschlafen war.
»Du kommst spät«, murrte er.
Es waren fast die gleichen Worte, wie sie auch Titos V-Mann gebraucht hatte.
»Du hast leicht reden«, erwiderte sie mit ungewollter Schärfe. »Du – du schreist ihre Lügen ins Mikrofon, und ich …«
Von Bitterkeit überwältigt, brach sie ab und schlug beide Hände vors Gesicht.
»Wie lange noch«, murmelte sie, »wie lange noch?«
Höhnhauser war aufgestanden. Mit scheuer Gebärde legte er einen Arm um ihre in verhaltenem Schluchzen zuckenden Schultern. Wie eine Ertrinkende warf sie sich herum und klammerte sich an ihn.
»Ich wünschte, ich wäre tot«, wimmerte sie. »Ach, wenn nur alles zu Ende wäre!«
Er hielt sie fest, aber er fand kein Wort des Trostes. Ein unseliges Geschick hatte sie beide in die tiefste Verzweiflung gestürzt – sie und ihn.
»Gibt es denn nichts Neues?«, fragte er behutsam. »Immer noch nichts?«
Mit einer wilden Gebärde hob sie den Kopf und warf beide Arme hoch.
»Ja«, stieß sie hervor, »ja, es gibt etwas Neues. Einen Sieg! Ein paar Mann gehen in einen Hinterhalt. Und dafür werfe ich mich weg.«
Wortlos schlurfte Höhnhauser auf seinen ausgetretenen Pantoffeln zum Vorratsschrank. Der Schrank enthielt ein Kommissbrot und kalte WehrmachtsVerpflegung. Es war ein Teil des Judaslohns, den er täglich nach der Sendung empfing.
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