„Neiiiin!“, jaulte Jessie. „Gleich ist das ganze Bett mit Hundehaaren übersät. Und es wird Stunden dauern, bis ich die Dinger von meinen Kleidern abgebürstet habe. Wahrscheinlich bekomme ich auch noch irgendeine seltsame Dackelkrankheit.“
„Er mag dich“, sagte Emily, „der kleine Verräter. Butch, wie kommt es, dass du Jessie so viel lieber magst als mich, hm?“
Noch bevor Butch antworten konnte, klingelte es an der Haustür.
Emily blieb das Lachen im Halse stecken. Sie starrte Jessie an.
„Das ist Nancy!“, rief Jessie. „Sie ist wieder da!“
Emilys Herz klopfte laut.
„Ich glaube, ich hab wirklich Angst“, stellte sie fest. Sie bekam weiche Knie. Ihre Beine fühlten sich an, als wären sie aus Gummi.
Jessie ging los, um die Tür zu öffnen. Emily folgte ihr. Um ein Haar wäre sie über Butch gestolpert, der gerade aus dem Zimmer raste.
Butch hopste als Erster die Treppe hinunter. Er sauste zur Eingangstür und bellte wütend.
Jessie nahm zwei Stufen auf einmal und streckte die Hand nach dem Türknauf aus.
Emily blieb mitten auf der Treppe stehen.
Wie hypnotisiert starrte sie zur Haustür.
Wie würde Nancy jetzt aussehen?
3
Jessie öffnete die Tür und ließ einen eisigen Luftzug hinein.
„Cora-Ann!“, rief sie.
Emily lächelte. Sie ging die Treppe hinunter und hob Butch hoch, der immer noch laut bellte. Ihr fiel ein Stein vom Herzen – und im selben Moment schämte sie sich dafür.
Emily mochte Cora-Ann. Sie und Jessie waren dicke Freundinnen. Manchmal war Emily direkt neidisch darauf, wie viel Zeit Cora-Ann mit Jessie verbrachte. Aber meistens fand sie es schön, wenn Jessies Freundin da war.
„Stör ich gerade?“, fragte Cora-Ann und blickte mit einem irritierten Grinsen von Emily zu Jessie.
„Nein“, erwiderte Jessie verlegen. „Wir dachten bloß, es wäre … jemand anderer.“
Cora-Ann schien sich zu fragen, was los war. Dann schlug sie sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Moment – es ist Samstag. Der Tag … Ihr dachtet, ich wäre … Oh nein, bin ich blöd! Emilys Schwester kommt heute nach Hause, stimmt’s? Mann! Und ausgerechnet jetzt platze ich hier herein.“
„Was heißt hier hereinplatzen“, entgegnete Jessie. Und dann fügte sie mit scherzhaftem Flüstern hinzu: „Wir brauchen dich. Du musst uns beschützen!“
„Jessie!“, schimpfte Emily.
Als Nancy ins Krankenhaus gekommen war, hatten Emilys Eltern der ganzen Familie befohlen, niemandem ein Wort über ihren Nervenzusammenbruch zu erzählen. Sie sollten allen sagen, Nancy besuche Verwandte in Kalifornien.
„Toll“, hatte Emily danach gedacht. „Als ob das jemand glauben würde.“
Aber als ein Monat nach dem anderen verstrich, hatten sie immer mehr Leuten die Wahrheit gesagt. Emily bezweifelte, dass es in ganz Shadyside noch irgendjemanden gab, der nicht von der ganzen traurigen Geschichte erfahren hatte.
„Seid ihr sicher, dass ich nicht lieber gehen soll?“, fragte Cora-Ann. „Ehrlich, ihr braucht es bloß zu sagen.“
Emily nahm sie bei der Hand. „Los, komm schon“, sagte sie und führte das Mädchen die Treppe hoch.
Oben angekommen, warf Emily einen Blick durch den Flur zu Richs Zimmer. Die Tür war geschlossen. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter.
Er hasst mich.
„Hey!“, rief Cora-Ann, als sie in Emilys voll gestopftes Zimmer kam. „Ihr seid euch wohl ganz schön nahe gekommen!“
„Das ist schon okay“, antwortete Jessie rasch und blickte zu Emily hinüber. „Komm, ich häng deine Jakke auf.“ Sie nahm Cora-Ann den blauen Parka ab – und ließ ihn auf den Boden fallen.
„Danke, sehr freundlich“, sagte Cora-Ann. Was Jessie auch tat, sie wurde niemals wütend. Kein Wunder, dass Jessie sie so mochte!
Emily hängte die Jacke auf. „Da wir nun schon im selben Zimmer wohnen, will ich dir zeigen, wo der Schrank ist, Jessie. Hier, siehst du?“
„Bloß weil ich nicht so ein Ordnungsfanatiker bin wie du und deine Mom ...“, begann Jessie.
„Ihr werdet euch doch nicht ernsthaft streiten, oder?“, fragte Cora-Ann.
„Ach, Quatsch“, versicherte Emily. „Wenn wir streiten, wird dir das nicht entgehen. Dann fangen wir an, uns zu schlagen.“
Cora-Ann wurde rot, und Jessie warf Emily einen scharfen Blick zu.
Das war ein schlechter Scherz, bemerkte Emily. Cora-Anns Eltern schlugen sich immer, wenn sie Streit hatten. Das war der Grund, weshalb das Mädchen sich so viel bei den Wallners aufhielt.
Cora-Ann hockte sich auf Emilys Bettkante. „Ihr seid wirklich ganz sicher, dass ich nicht störe?“
Emily wünschte, Cora-Ann wäre nicht immer so sehr darauf aus, anderen zu gefallen. Sie sah hübsch aus mit ihrem kurzen, rotbraunen Haar und ihrer Brille. Und es machte Spaß, mit ihr zusammen zu sein. Aber sie tat so, als ob jeder, der gern seine Zeit mit ihr verbrachte, ihr einen großen Gefallen damit täte.
„Cora-Ann“, erwiderte Jessie, „hör auf mit der Fragerei. Du kannst immer zu uns kommen. Immer.“
„Na ja, vielleicht nicht immer“, dachte Emily.
„Oh, ich muss dir was erzählen, Jess!“, verkündete Cora-Ann. „Rate, mit wem Annette Holloway gestern im Einkaufszentrum an der Division Street war?“
„Mit wem denn?“, fragten Emily und Jessie wie aus einem Munde.
Cora-Ann lächelte und hielt die beiden noch einen Moment lang hin. „Mit Teddy Miller. Ist das nicht unglaublich?“
Jessie schnappte nach Luft. „Nein! Was ist denn jetzt los?“
„Keine Ahnung. Mir hat sie erzählt, dass sie immer noch mit Pete Goodwin zusammen ist.“
Emily hatte sich an ihren Schreibtisch gesetzt und zog die oberste Schublade auf. „Hey, wo sind meine Süßigkeiten?“
„Ach, ich hab dein Zeug in die untere Schublade geräumt. Schließlich hast du das obere Regalbrett. Das ist nur gerecht.“
„Na ja, in Ordnung“, sagte Emily. Eigentlich war es ihr egal. Das war zwar typisch Jessie, aber wen kümmerte das? Emily war plötzlich richtig gut gelaunt. „Mach es dir doch bequem“, sagte sie zu Cora-Ann. „Du siehst so angespannt aus. Das macht mich ganz nervös.“
„Wie? Oh – ja, okay.“ Cora-Ann lehnte sich zurück, aber eine Sekunde später setzte sie sich schon wieder auf.
Emily fand eine Tüte mit Schokoladenkeksen in der unteren Schublade. Einen davon warf sie Cora-Ann zu.
„Oh, danke!“, rief Cora-Ann.
„Für jede Kleinigkeit ist sie so dankbar“, dachte Emily. „Es ist beinahe rührend.“
„Mmmm“, machte Cora-Ann. Sie hielt die Hand unter den Keks, um die Krümel aufzufangen. „Hey, soll ich runtergehen und Saft oder Milch holen?“
„Du bist doch nicht das Dienstmädchen“, antwortete Jessie barsch. „Emily, geh Milch holen.“
Alle drei lachten.
„Also, was ist jetzt mit Teddy Miller?“, fragte Emily.
„Immer mit der Ruhe. Gestern Abend war