E-Fam Exodus. Arno Endler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arno Endler
Издательство: Bookwire
Серия: heise online: Welten
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947619559
Скачать книгу
Agenten und Werbespezialisten nur zuvorgekommen. Sie alle nahmen ihn aus wie eine Weihnachtsgans. Er ist jedem Vorschlag, jedem Angebot gefolgt, hat investiert, gekauft und verloren. Dann traf ich auf ihn und gab ihm einen Sinn im Leben. Mich glücklich zu machen. Er hat für eine schöne Zeit mit mir bezahlt. Er braucht das Geld doch gar nicht. Ich mochte ihn.«

      »Also kein Grund, das Treffen zu verweigern?« Ich brüllte subvokal nach Otto, wusste nicht so recht, was ich tun sollte, wenn die Bürgerin nicht mit mir kommen würde. Aber der elektronische Famulus blieb mir eine Antwort schuldig.

      »Nein, kein Wiedersehen. Es ist vorbei, Bürger Mayer. Ich werde nichts davon ungeschehen machen und schon gar nicht in die wunderschönen Augen Timis sehen. Und denken Sie nicht, ich hätte Ihre ungeschickten Recherchetools nicht bemerkt. Ich wusste vor Wochen, dass man mir nachschnüffelte, und seit fünf Tagen, wer dahintersteckt. Ich könnte mich geehrt fühlen, dass ein Privatermittler mit Ihrer Erfolgsquote auf mich angesetzt worden ist, aber in Wahrheit ...« Sie schwieg, nahm ihr Glas und hielt es mir erneut zum Anstoßen hin. Das Eis hatte sich komplett aufgelöst. Mein Drink schmeckte wässrig.

      Sie leerte das Glas in einem Zug. Ich wusste, es war nicht ihr erstes gewesen, und dennoch wirkte sie nicht betrunken, obwohl es sich um echten Alkohol handelte.

      Rybinska beugte sich vor, bis sich fast unsere Nasen berührten. »In Wahrheit, Privatermittler Mayer«, flüsterte sie mir zu, »langweilt mich dieses Katz-und-Maus-Spiel. Ich habe es schon zu oft gespielt. Richten Sie Timi aus, dass die Zeit mit ihm wunderbar war, eine der schönsten in meinem ganzen Leben.« Ihre Stimme klang traurig, bis hin zur Sentimentalität. Ein Wesenszug, den ich ihr nicht zugetraut hätte. War da eine Träne in ihrem rechten Auge?

      »Aber so etwas lässt sich nicht wiederholen. Ich bin nicht die Frau, die er sich gewünscht hat. Sagen Sie ihm das.« Sie glitt vom Hocker. Ich griff nach ihr, doch meine Muskeln gehorchten nicht. Ein Magnet zerrte mich gen Boden. Ich stürzte, fiel, stürzte tiefer, immer tiefer, ein endloser Abgrund, der mich auffing, Luftströmungen, die an meiner Kleidung rissen, mit ihr spielten. Ich roch salzige Luft und wusste, dass es das Ende sein würde.

      Ein winziger Teil meines Verstandes behauptete, dass es nicht real sei. Die emotionalen Komponenten vermittelten mir Todesangst, und dann war da noch der Bestandteil meines denkenden und fühlenden Ichs, der mir einredete, dass ich mich entspannen, mich weiter fallen lassen sollte.

      Ich gehorchte.

      Und stürzte, –

      bis ich Halt fand.

      Ich fror. Der Wind toste um mich herum, ich klammerte mich an eine Strebe, vor mir Glas, hinter mir das Nichts, unter mir das Meer. Die Nordsee, der Kanal. Ich blickte hinab und dort dümpelte ein Schiff in schwerer See, ein Container-Freighter.

      Ich spürte den Sturm. Über mir die Glasfassade des Sektor-drei-Turmes, des Cloud-Busters, wie er genannt wurde, da seine Spitze mitten hinein in die Wolken reichte.

      Ich begaffte meine Hände. Die Hände aus einem anderen Leben hatten noch die Kraft der Jugend, doch ich würde stürzen, wenn ich nicht Hilfe bekäme.

      – Es ist die Vergangenheit –, flüsterte meine Ratio.

      Ich weiß, antwortete ich stumm. Ich sterbe. Mein Leben zieht an mir vorbei. Sie hat mich vergiftet.

      – Wer? –

      Die ... Mir war es entfallen. Ich war hier und jetzt. Und meine Anfrage im Netz, ob mir jemand helfen könne, weil ich an der Außenfassade in schwindelerregender Höhe klebte und bald hinabstürzen würde, wurde auf unerwartete Weise beantwortet.

      »Hallo!«

      »Ja?«, fragte ich subvokal.

      »Ihre Net-Bots haben Kontakt zu mir aufgenommen und mir von Ihrer misslichen Lage berichtet, Bürger.«

      Der andere hielt mich für einen Bürger. Ich dachte nicht daran, an seiner Einschätzung etwas zu ändern. »In der Tat bin ich in einer Notlage und erbitte Ihre Hilfe. Darf ich nach Ihrem Namen fragen?«

      »Nein, Bürger. Das dürfen Sie nicht. Dennoch bin ich willens, Ihnen zu helfen.«

      »Dann tun Sie es doch. - Bitte.« Warum wollte er mir seinen Namen nicht verraten? Was war das für ein Kauz? Ich presste meinen Rücken mit aller Kraft gegen die nasse Fassade. Regen prasselte auf mich herab. Wahre Sturzbäche ergossen sich über meine Schultern. Ich bewegte mich so wenig wie möglich, die Kälte kroch in meine Knochen.

      Mein Kontakt ohne Namen ließ mich zappeln, bis er sich wieder meldete. »Bedauerlicherweise befinde ich mich selbst in einer Zwangslage und benötige Ihre Unterstützung. Sind Sie bereit für einen Deal?«

      Was erwartete er? Ich würde sterben, wenn er mir nicht half. »Ja, ja. Bitte! Beeilen Sie sich«, rief ich.

      »Nun, das Geschäft beruht auf Gegenseitigkeit. Soweit es sich mir erschließt, sind Sie kein Bürger. Ich extrapoliere aus Ihrer Situation, dass Sie sich auf der Flucht befunden haben, und weitere Umstände legen mir nahe, dass Sie von Tracker-Dogs verfolgt wurden. Entspricht dies den Tatsachen?«

      »Ja, ja, verdammt! Holen Sie mich hier raus!«

      »Als Ausgleich für meine Hilfe verlange ich einen Gefallen. Sind Sie bereit, mir diesen zu gewähren?«

      »Ja, ja doch. Bitte! Ich flehe Sie an.«

      »Der Gefallen hat einen außergesetzlichen Charakter.«

      »Das ist mir egal. Ich tue alles.« Es war mir peinlich, aber ich weinte.

      »Deal?«, fragte der merkwürdige Kontakt.

      »Deal. Deal! DEAL!«

      »Danke.«

      »Was?« Ich rief es laut, bereute es sofort. Wasser drang mir in Mund und Nase. Ich hustete.

      »... mit Ihren Füßen nach hinten.«

      »Habe ich nicht verstanden. Können Sie es wiederholen?«

      »Ich benötige Ihren genauen Standort. Treten Sie rückwärts gegen die Scheibe.«

      Ich tat es.

      »Kräftiger!«

      Ich fiel fast vom Sims. Meine Zähne schlugen aufeinander vor Kälte. Der Ozeanriese verschwand aus meinem Blickfeld. Ich wünschte den Seeleuten alles Glück der Welt, fragte mich jedoch zugleich, ob ich das Deck treffen würde, wenn ich einfach spränge.

      »Jetzt!«

      »Was, bitte?«

      »Treten Sie zu.«

      Ich schwang meinen Fuß nach hinten, doch der Widerstand fehlte. Eine Luke in dieser verdammten Fassade. Versteckt und wahrscheinlich nur von innen zu öffnen.

      Ich kletterte hinein, sah zu, wie die Öffnung sich wieder schloss, und legte mich zum Sterben auf den Boden.

      »Wir haben nicht viel Zeit. Ich erinnere Sie an den Deal.«

      »Aber ich bin müde.«

      »Bitte.«

      – Otto –, meldete mein Verstand. – Es war Otto. –

      Eine Szene aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit, aus einem Leben, in dem ich nicht Bürger John Mayer gewesen war. Er hatte mir damals seinen Namen nicht verraten, noch nicht. Ebenfalls nicht, dass er ein elektronischer Famulus war und sein bisheriger Besitzer, der John Mayer vor mir, im Sterben lag.

      Otto hatte einen formbaren Nachfolger gesucht, der den Deal nicht ablehnen würde, weil die Lage, in der er sich befand, ausweglos schien.

      Und so war ich zu John Mayer geworden, hatte mich an Otto gewöhnt, obwohl ich mir seiner wahren Intentionen nicht immer sicher sein konnte.

      Die Bilder von jenem Tag, Erinnerungen und Ängste, verblassten im Wirbel der Schmerzen und der Übelkeit, die mich aktuell befielen. Wie ein Orkan tobten Spasmen entlang meiner Beine bis hoch in den Unterleib. Ich krümmte mich, spürte dabei den harten Untergrund, und ein stechender