Die Liebesschlüssel unterstützen uns darin, die Aufmerksamkeit von der Pheripherie abzuziehen und zum Kern zu bringen. Das ermöglicht uns, unser Interesse auf das Körperinnere zu lenken. Wenn sich unsere Aufmerksamkeit im Körper verankert und den Körper als ständigen Referenzpunkt nutzt, werden wir immer mehr in der Lage sein, im Moment zu bleiben. Der Körper ist wirklich das Einzige, was uns in den Moment bringt, und wenn wir lernen, durch den Körper zu leben, erhöht das unsere Chancen, insgesamt glücklicher und erfüllter zu sein. Wir verlassen den in sich gefangenen, geplagten, getriebenen Verstand und entscheiden uns für das Glück, einfach im Körper zu sein.
Das grundlegende Thema von Tantra ist die Polarität: Durch sie erzeugen die Genitalien ihre ganz eigene Energie. Polarität entsteht ganz von selbst, wenn wir bewusst Liebe machen, besonders, wenn wir das kontinuierlich tun. Dank der Information über die Polarität und die Bedeutung, die die positiven Pole haben, machen die Liebesschlüssel den Körper zu einem Instrument, einem Anker und einer Brücke, der uns in der Gegenwart hält. Die Liebesschlüssel werden uns zu verschiedenen Stellen im Körper führen, die uns Zugang zum „Hier und Jetzt“, zum gegenwärtigen Moment verschaffen.
Diese Liebesschlüssel haben mir viele tausend Mal geholfen. Schicht um Schicht bin ich in sie eingetaucht und wurde langsam fähig, meine Bewusstheit in meinem Körper zu verankern und mir wieder selbst zu vertrauen. Ein Ergebnis davon, mehr Bewusstheit in den Sex zu bringen, war, dass alte sexuelle Wunden aus meinem Körper verschwanden und unterdrückte Energie freigesetzt wurde. Ich fing an, mich auf einer ganz anderen, feineren Frequenz zu spüren.
Als ich noch in Indien lebte und anfing, die Liebesschlüssel einer Selbsterfahrungsgruppe mit Teilnehmern aus dem Westen vorzustellen, war ich verblüfft, wie unglaublich schnell alle darauf reagierten. Die Liebe lag förmlich in der Luft und strahlte aus allen Augen – sowohl der Männer als auch der Frauen! Was mich Jahre gekostet hatte zu entwirren und in mir neu zusammenzusetzen, geschah hier in wenigen Tagen. Es war wie ein Wunder. Das bestärkte mich, denn es bestätigte, dass unsere Körper auf sehr ähnliche Art und Weise reagieren. Durch die Arbeit mit Paaren, die ich seitdem mache, bin ich mir inzwischen sicher: Egal ob Teenager oder Menschen über sechzig, ob sie eine Nacht miteinander verbringen oder zweiunddreißig Jahre zusammenleben, die Reaktion ist die gleiche: Liebe erblüht durch Bewusstheit.
Ich möchte noch einmal betonen, dass es ein fortlaufender Prozess ist, durch die Liebesschlüssel unsere Präsenz im Körper herzustellen. Und dieser Prozess ist nie wirklich abgeschlossen. Besonders am Anfang kann sich sehr schnell ein unmittelbares Gefühl von „wie verzaubert sein“ einstellen und es fällt leicht, entspannter an den Sex heranzugehen. Aber es braucht seine Zeit, bis die sexuelle Präsenz wirklich fest im Körper verankert ist. Wir können nicht erwarten, nach jahrzehntelangem Fokus auf Phantasie und Orgasmus ohne Weiteres in die andere Realität unseres Seins zu gelangen.
Alte Muster hinter sich lassen
Als Paar ist es wichtig, zu verstehen, dass es wirklich eine Kunst ist, die Art des Liebemachens zu verändern; es ist eine Reise und kein Kurztrip. Sie besteht aus kleinen Schritten, die manchmal enorme Wirkungen haben können. Je mehr wir mit den Liebesschlüsseln experimentieren, desto mehr können wir üben, von unseren gewohnten Mustern Abstand zu nehmen, und uns der Erfahrung zuwenden, die jetzt geschieht. Es ist eine Praxis, bei der man immer wieder in den Körper zurückkehrt. Manchmal gelingt es uns, und manchmal nicht. Manchmal werden wir vom Wunsch nach einem Orgasmus förmlich überrannt, dann heißt es einfach nachgeben und in vollen Zügen genießen. Seid euch gleichzeitig bewusst, dass es das ist, was geschieht, und ihr euch dafür entschieden habt. Das allein ist schon ein großer Schritt. Es bringt Bewusstheit in den Prozess, in dem wir uns befinden. Und je geübter wir darin werden, während des Liebemachens präsent und in unserem Körper zu bleiben – nicht mehr „tun“ sondern, einfach „sein“ –, desto mehr gewinnt der Körper seine eigentliche Bewusstheit und Empfindungsfähigkeit zurück.
Die Liebesschlüssel werden die Verbindung zu deinem Partner verstärken, so kann eine neue Intimität zwischen euch entstehen. Es ist wie eine neue Sprache zu lernen – ein solides Fundament für die Liebe. Die Bewusstheit, die durch die Liebesschlüssel entsteht, wird dich entspannen lassen und dir mehr Zeit geben, dich auf das zu besinnen, was jetzt im Körper, besonders zwischen Penis und Vagina, geschieht. Wenn die Feinfühligkeit der Genitalien zunimmt und die Polarität sich langsam wieder aufbaut, fangen die positiven und negativen Pole an, aufeinander zu reagieren und herrlich zu vibrieren. So kommt der Sex wieder da an, wo er hingehört – im Körper. Und hat nicht mehr länger mit dem Verstand zu tun.
Sich Zeit nehmen, still zu werden
Das alles geht nicht von heute auf morgen. Wenn du beginnst, die Genitalien auf eine neue Weise zu spüren, ist es zuerst vielleicht schwierig, überhaupt irgendetwas wahrzunehmen. Der Versuch, etwas zu spüren, ist an sich vielleicht schon anstrengend. Bis jetzt waren wir für unsere sexuelle Erfahrung immer von einer Menge Reibung abhängig; nun suchen wir nach einer Feinfühligkeit, die tiefer geht als oberflächliche Sensationen. Du kommst mit einer sehr viel feineren Ebene in Kontakt, die leuchtet und sprüht vor Lebendigkeit und viel erfüllender ist. Und obwohl du deine Fähigkeit, erregt zu werden, nie verlierst, gehst du über die erste Intensität und Überwältigung dieser Erregung hinaus. Es ist fast so, als würdest du bewusst darunter bleiben wollen. Es ist gut, Körper und Geist zu verlangsamen und still genug zu werden, um etwas so Subtiles, wie es vorher kaum wahrnehmbar gewesen ist, zu spüren. Dieses Maß an Sensitivität zu entwickeln, braucht seine Zeit und eine innere Verbindlichkeit, aber es lohnt sich sehr.
Wenn du anfängst die Liebesschlüssel anzuwenden, wirst du dich vielleicht verletzlich und ein bisschen unsicher fühlen.
Das ist ganz natürlich, weil du zu deiner eigenen Unschuld zurückkehrst. Es ist, als würdest du wieder in diesen Zustand von kindlich staunender Unschuld zurückkehren, präsent und spielerisch, und würdest jetzt zum ersten Mal Liebe machen. Es ist wie eine frische Landschaft voll neuer Farben. Wenn du dich ein bisschen unbehaglich fühlst, dich vielleicht schämst oder dir albern vorkommst, dann ist es gut, einfach darüber zu lachen. Ich habe oft wilde, unkontrollierbare Lachanfälle bekommen und mich hinterher viel besser gefühlt, lebendiger und entspannter. Wenn du dich traurig fühlst, lasse den Tränen ihren Lauf, sei dankbar für sie, halte sie nicht zurück. Lachen und Weinen sind ein Loslassen innerer Anspannung, und ihnen zu erlauben sich auszudrücken, ermöglicht dir, dich in deine tiefen und authentischen Ebenen hineinzuentspannen. Und das ist eine Voraussetzung für Intimität und erfüllendes Liebemachen.
Es ist eine spielerische Art, bei der wir aufrichtig und offen, aber nicht ernst sind. Da liegen Welten dazwischen: Aufrichtigkeit kommt aus dem Herzen, während Ernst aus dem Verstand kommt. Aufrichtigkeit und Offenheit mögen es, zu experimentieren und zu lernen, während Ernsthaftigkeit gern ein idiotensicheres Rezept hätte. Mit den Liebesschlüsseln zu spielen ähnelt ein bisschen dem Schälen einer Zwiebel. Auf jede Schicht folgt die nächste, immer wieder entsteht ein weiterer Schritt nach innen – in die wunderbare Entspannung deines Körpers.
Wenn du und dein Partner entspannt und spielerisch miteinander umgehen könnt, wenn ihr bereit seid zu experimentieren und euch aufeinander einzulassen, dann kann die Liebe euch in der Tiefe erreichen. Ihr werdet früher oder später herausfinden, dass ihr Liebe durch Bewusstheit erzeugt, dass die Liebe in eurer Hand liegt und sie nicht wie ein Sturm durch euch hindurchund über euch hinwegfegt.
Forschen und Experimentieren
Wir brauchen eine neue Einstellung und eine liebevolle Haltung, um mit Sex zu experimentieren. Als Paar ist es wichtig, viel Neugierde mitzubringen, um unsere Gewohnheiten beim Liebemachen herauszufordern, und das bedeutet, dass wir vielleicht manches aufgeben, was wir bisher sehr genossen haben.