Wienerwald für Entdecker. Beppo Beyerl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beppo Beyerl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783903083110
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zwischen den alten Bäumen nicht. Verständlich, es wurden seit 1874 keine Toten mehr beigesetzt. Ausnahmen hat man nur für ein paar Mönche gemacht, die die St. Josefskirche oben am Kahlenberg betreuen, und für einen weiteren, prominenten Diener Gottes: Prälat Leopold Ungar, langjähriger Chef der Caritas und einer der großen fortschrittlichen Geister in der katholischen Kirche des späten 20. Jahrhunderts, liegt hier begraben – wunschgemäß. Der Kahlenberg war einer der Lieblingsorte des Geistlichen.

      Doch wir wollen uns hier an diesem weltvergessenen Ort anderen Herrschaften widmen, die hier schon viel, viel länger liegen – und umso märchenhaftere Geschichten zu erzählen haben. Gleich links vom Eingang liegt Karoline (Lottchen) Traunwieser. Wenn man einen Blick auf ihren Grabstein und damit auch auf das Sterbedatum wirft, denkt man als Erstes, dass das bedauernswerte junge Ding wohl nicht viel vom Leben gehabt hat. Sie starb nämlich 1815 im Alter von 20 Jahren. Doch ihr Beiname – er ist in einem erklärenden Text an der Seite des Grabes vermerkt – lässt dann doch anderes vermuten. Der »Schönsten Schönere« nannte man sie. Den Ehrentitel verlieh man ihr in einer Zeit, in der es in Wien reichlich viele Schöne aus ganz Europa zu bewundern gab. 1815 war das Jahr des Wiener Kongresses und auf dem waren bekanntlich die schönen Damen, wie etwa die russische Fürstin Bagration, die wichtigsten Schaltstellen der Diplomatie. Für wen das junge Fräulein Traunwieser diplomatische Dienste leistete und mit wem sie dafür im Bett war, ist nicht bekannt. Wie viele an Schwindsucht, also an Lungentuberkulose, leidende Menschen – nachzulesen unter anderem in Thomas Manns Roman Der Zauberberg und damals in der Medizin weit verbreitete Lehrmeinung – scheint sie völlig überhitzte erotische Begierden gehabt zu haben. Bekannt ist heute nur ein Verehrer, den sie allerdings definitiv nicht erhörte: Joseph von Hammer-Purgstall. Der Gründer der Akademie der Wissenschaften beschrieb das Lottchen in seinen Erinnerungen an die Zeit des Wiener Kongresses: »Auf einem Balle bemerkte ich in einem hinteren Winkel des Tanzsaales ein besonderes Gedränge. Ich drängte mich ebenfalls hin und war das erste und einzige Mal in meinem Leben von einer wirklich himmlischen Schönheit ergriffen, wie nie vorher und seitdem …«

      Auch die Grabinschrift stammt von Hammer-Purgstall und ist ähnlich schwärmerisch: »In ihr ward offenbar, was Schönheit, Jugend, Anmut, Unschuld, Talent und Güte vermag …« Mit der Unschuld jedenfalls lag der Orientalist Hammer-Purgstall ziemlich daneben. Einer der möglichen Liebhaber der jungen Dame liegt nur ein Stückchen weiter unten in einem weit größer angelegten Grabmal – mit seiner ganzen Sippe. Charles Joseph de Ligne, Generalfeldmarschall in der Armee Maria Theresias und in dieser Funktion ziemlich erfolgreich. Wie es sich für einen Adeligen, der etwas auf sich hielt, damals gehörte, war Ligne nebenbei auch Schriftsteller und verfasste unter anderem ziemlich geistreiche Erlebnisbücher, aus denen wir einiges über sein Privatleben erfahren – und das war ziemlich turbulent. Im adeligen, oder auch nicht adeligen, Wiener Nachtleben nannte man Ligne nämlich den »rosaroten Prinzen«, weil er sich ständig mit Damen von nicht ganz untadeligem Ruf herumtrieb, und das offensichtlich zu nicht gerade bürgerlichen Tageszeiten. Auch auf dem Wiener Kongress war der als geistreicher Spötter bekannte Ligne von Anfang an dabei. Von ihm stammt übrigens das berühmte Bonmot über die besagte Veranstaltung: »Der Kongress tanzt, aber er geht nicht weiter.« Ligne starb bald nach Beginn des Kongresses.

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      Erinnerung an »der Schönsten Schönere«: Die gerade einmal 18-jährige Karoline Traunwieser verzauberte den Wiener Kongress und vermutlich so manchen Diplomaten.

      Dass der Herr Generalfeldmarschall hier oben liegt, hat mit einer weiteren seiner Leidenschaften zu tun: dem Kahlenberg. Na ja, eigentlich gefiel es dem inzwischen pensionierten Militär auf dem Leopoldsberg besser und darum ließ er sich dort, in der Burg, die wir später noch umrunden werden, einen Sommersitz errichten. Und weil die Höhenstraße im späten 18. Jahrhundert noch nicht gebaut war und man als Adeliger nicht so einfach durch den Wald laufen konnte, ließ sich Ligne seinen eigenen Weg auf den Leopoldsberg bauen, den Nasenweg. Der hat bis heute dank mehrerer respektvoller Restaurierungen noch weitgehend den barocken Charakter, den Ligne ihm gab. Und er ist auch bis heute genauso steil. Wer später diesen Abstieg wählt, wird die Serpentinen und Aussichtsterrassen mit Blick auf die Donau genießen können. Leider nicht mehr erhalten ist das Lusthäuschen, das sich der Fürst knapp unterhalb des Gipfels im Stil eines Tempelchens bauen ließ. Wir wollen jetzt nicht darüber spekulieren, wozu es diente. Die »Eiserne Hand« übrigens – wir sind dem Namen ja schon in der Eisernenhandgasse begegnet – geht auch auf Ligne zurück. Er ließ tatsächlich am Nasenweg einen Wegweiser in der Form einer eisernen Hand aufstellen.

      Lassen wir es mit diesen beiden Friedhofsbewohnern vorerst einmal gut sein. Schließlich haben wir noch ein gutes Stück Weg zurückzulegen. Dieser führt uns jetzt über zwei weitere Serpentinen oder sogar direkt, über den Abschneider durch den Wald, auf den Kahlenberg hinauf. Über den Gipfel und das Plateau, auf dem wir jetzt stehen, gibt es so viel Historisches zu erzählen, dass wir uns – auch weil das meiste davon hinlänglich bekannt ist – auf die etwas ungewöhnlicheren Details stürzen wollen. Wir lassen also die Kirche St. Josef und all die daran und darin enthaltenen Erinnerungen an den Sieg über die Türken 1683 beiseite, auch weil sich ohnehin genügend patriotische Touristen aus Polen für das Gebäude interessieren. Immerhin war es ja ihr König Sobieski, der vom Kahlenberg aus – mit tatkräftiger Unterstützung des jungen Prinzen Eugen – die Befreiung Wiens einleitete. Dass Sobieski übrigens in Lemberg geboren wurde und damit heute eigentlich Ukrainer wäre, sollte man gegenüber etwaigen polnischen Bekannten lieber nicht erwähnen.

      Nur im Vorbeigehen schauen wir auf das Restaurant und die umliegenden Gebäude. Der Kahlenberg hat eine endlose Folge von Großprojekten und gastronomischen wie touristischen Katastrophen hinter sich gebracht. Das, was wir heute hier vorfinden, ist zwar passabel, hat aber mit dem Wienerwald, den wir auf unseren Spaziergängen entdecken wollen, nur wenig zu tun. Ein kurzer Blick über den Wienerwald und die Kleinen Karpaten von der Aussichtsterrasse aus ist auf jeden Fall ein paar Minuten wert. Wenn wir von dort wieder heruntersteigen, stehen wir mehr oder minder direkt vor dem wuchtigen Denkmal für die Wiener Höhenstraße. Der Teil, der hier oben auf dem Kahlenberg endet, wurde 1935, im austrofaschistischen Ständestaat, eröffnet. Bundeskanzler Dollfuß hatte 1934 den ersten Spatenstich gesetzt, wenige Monate, bevor er von den Nationalsozialisten während deren gescheiterten Putschversuchs ermordet wurde. Die Höhenstraße war ein Prestigeprojekt der Austrofaschisten und das Denkmal ist ein mustergültiges Beispiel für deren Stilempfinden. Nicht umsonst erinnert das Ganze an faschistische Denkmäler aus der Mussolini-Ära in Italien.

      Gleich dahinter findet man die Kaiserin-Elisabeth-Ruhe, der wir aber keine weitere Aufmerksamkeit widmen müssen. Denn erstens ist die im Wienerwald ohnehin omnipräsent (Stichwort Sisi-Kapelle) und zweitens gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass Elisabeth irgendein Naheverhältnis zum Kahlenberg hatte. Also gehen wir gleich weiter den Hügel hinauf und kommen so über einige Stiegen, die uns durch den Wald führen, zur Stephaniewarte. Diese könnte man als typische Wienerwald-Aussichtswarte abtun: aus der Spätphase der Monarchie stammend und daher mit dem Namen eines Habsburgers, in diesem Fall Stephanie, der Frau von Kronprinz Rudolf, ausgestattet. Doch mit der Stephaniewarte wollten die Erbauer keineswegs das Herrscherhaus feiern, sondern vielmehr ihren eigenen technischen und ökonomischen Triumph.

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      Eigentlich ein Siegesdenkmal: Die Stephaniewarte ließ die Zahnradbahn-Gesellschaft aus den Trümmern des in den Konkurs getriebenen Konkurrenzunternehmens errichten.

      Damit sind wir wieder bei dem Thema angelangt, mit dem wir unseren Weg auf den Kahlenberg begonnen haben: der Zahnradbahn. Neben der Warte war nämlich die Berg- und Endstation der Bahn. Weil die, wie das meiste von der Bahn, fast spurlos aus dem Wienerwald verschwunden ist, bleibt die 1887 errichtete Stephaniewarte die eindrücklichste Erinnerung an die Bahnlinie. Was heißt Bahnlinie, Bahnlinien! Denn die Steine der Warte hatte die Eisenbahngesellschaft, um ihren Triumph ganz besonders deutlich zu machen, aus der Konkursmasse eines anderen Unternehmens herausgekauft: der Drahtseilbahn auf den Leopoldsberg. Diese von den Wienern liebevoll »Zuckerlbahn« getaufte Anlage, die im Kahlenbergerdorf ihre Talstation hatte, war nach einigen erfolgreichen