Die böhmische Großmutter. Dietmar Grieser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietmar Grieser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783903083905
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Hinterhaus des Gasthofes »Zum Platteis«.

      Die Zeit drängt: Selbst am Nachmittag des Premierentages liegen die Noten für die Ouvertüre noch nicht fertig vor; die Musiker sind darauf vorbereitet, vom Blatt spielen zu müssen. Im Notfall, so verlautet, werde man an Stelle der »Don Giovanni«-die »Idomeneo«-Ouvertüre einschieben.

      Ja, es ist wahr: Mozart läßt sich allzu leicht von der Arbeit ablenken – überhaupt hier in Prag, wo sich so viele um seine Gesellschaft reißen. Auch Hausherrin Josepha Duschek stiehlt ihm eine Menge Zeit – etwa, um ihm eine ihr gewidmete und auf ihre Gesangsstimme zugeschnittene Konzertarie abzuringen. Ja, die stets zu Scherzen aufgelegte Person schreckt nicht einmal davor zurück, den Meister in einem Pavillon ihres Gartens einzusperren und erst wieder freizulassen, wenn er mit dem fertigen Notenblatt vor sie hintritt. Mozart rächt sich, indem er das betreffende Werk – es handelt sich um das berühmte »Bella mia fiamma, addio« – in Intonation und Technik extrem schwierig anlegt und die Übereignung des Manuskripts davon abhängig macht, daß Josepha sich imstande zeigt, die Arie auf der Stelle fehlerfrei vom Blatt zu singen. Andernfalls werde er die Noten vernichten …

      Doch zurück zum »Don Giovanni«. Die Uraufführung findet wie vorgesehen am 29. Oktober 1787 statt. Mozart dirigiert nach der handschriftlichen Partitur. Schon die Ouvertüre läßt das Publikum in »lautes Lobjauchzen« ausbrechen. Der Berichterstatter der k.k. Prager Oberpostamtszeitung überschlägt sich in Superlativen:

       »Kenner und Tonkünstler sagen, daß zu Prag ihresgleichen noch nicht aufgeführt worden. «

      Ganz anders in Wien. Obwohl Mozart nach seiner Rückkehr die Partitur unverzüglich dem Kopisten übergibt, verstreichen über sechs Monate, bis das Hofburgtheater mit der Zweitaufführung nachzieht. Und obwohl diesmal zum Einstudieren reichlich Zeit ist, fällt der »Don Giovanni« in Wien durch. Lorenzo da Ponte, nicht minder irritiert als der Komponist, holt dazu die Meinung des Kaisers ein. Und wie urteilt Seine Majestät? »Die Oper ist köstlich, ist göttlich, vielleicht selbst besser als der ›Figaro‹, aber sie ist keine Speise für die Zähne meiner Wiener.« Mozarts lakonische Replik: »Man soll ihnen nur Zeit lassen, sie zu kauen.«

      Wer sich ebenfalls reichlich Zeit läßt, den »Don Giovanni« zu »kauen«, sind die Dichter. 68 Jahre nach der Uraufführung von Mozarts dramma giocosa erscheint im »Morgenblatt für gebildete Stände« Eduard Mörikes Novelle »Mozart auf der Reise nach Prag«. Der schwäbische Romantiker, für den »Don Giovanni« die »Oper aller Opern«, ja überhaupt das Nonplusultra großer Musik ist, läßt den Komponisten und Gattin Konstanze auf dem Weg von Wien nach Prag in einem südböhmischen Landschloß – es ist vermutlich der Besitz der Grafen Buquoy in Gratzen, dem heutigen Nové Hrady – Zwischenstation machen und in eine kultivierte adelige Gesellschaft geraten, die des Meisters Genius enthusiastisch huldigt. Vom Gärtner dabei ertappt, wie der Fremde im gräflichen Park gedankenverloren eine Orange vom schönsten Pomeranzenbäumchen pflückt, wird er vom Hausherrn ins Schloßinnere gebeten und nach Klärung seiner Identität eingeladen, der heiteren Runde aus seinem fast fertigen Werk vorzuspielen. Der Eindruck ist gewaltig: Als der Choral »Dein Lachen endet vor der Morgenröte« erklingt, macht sich unter Mozarts Zuhörern höchste Bewunderung, zugleich aber auch tiefstes Erschrecken breit: Man glaubt aus dem Vernommenen Todesahnung herauszuhören. Insbesondere Eugenie, der Nichte des Schloßherrn, die an diesem Tag ihre Verlobung feiert, wird es zur Gewißheit, »daß dieser Mann sich schnell und unaufhaltsam in seiner eigenen Glut verzehre, daß er nur eine flüchtige Erscheinung auf der Erde sein könne, weil sie den Überfluß, den er verströmen würde, in Wahrheit nicht ertrüge«.

      Ein Jahrhundert später nimmt sich ein weiterer Schriftsteller des Stoffes an – es ist der deutschböhmische Erzähler Louis Fürnberg. Er geht, was das Fiktive seiner »Mozart-Novelle« anlangt, sogar noch einen Schritt weiter und läßt die Titelfigur mit einem zweiten Großen der Kulturgeschichte in Prag zusammentreffen – mit dem dreißig Jahre älteren Casanova.

      Doch zurück auf den Boden der Tatsachen. Am 6. September 1791 – Mozart hat nur noch drei Monate Lebenszeit vor sich – soll mit allem Pomp Leopold II. zum böhmischen König gekrönt werden. Der Prager Hof wünscht sich für diesen Anlaß eine feierliche Opera seria, Impresario Domenico Guardasoni erteilt dem bereits gesundheitlich Angeschlagenen den begehrten Auftrag, reist zu diesem Zweck nach Wien und stellt ein Kompositionshonorar von 200 Dukaten in Aussicht.

      Die Zeit ist verdammt knapp: Nur wenige Wochen stehen dem Meister zur Verfügung, das über fünfzig Jahre alte »Titus«-Libretto des Wiener Hofdichters Pietro Metastasio, das dessen Dresdner Kollegen Caterino Mazzolà zur Kürzung und Umarbeitung übergeben worden ist, zu vertonen. Hinzu kommt, daß Mozart in dieser kritischen Phase noch zwei weitere Werke in Arbeit hat: die »Zauberflöte« und das von Graf Franz von Walsegg bestellte (und bereits bevorschußte) Requiem.

      Mitte August bricht man von Wien auf; Konstanze, die ihren Mann begleitet, hat erst vor wenigen Wochen Sohn Franz Xaver Wolfgang zur Welt gebracht. Noch im Reisewagen – die Fahrt nach Prag dauert vier Tage – macht sich Mozart über die Partitur her; einen Teil der Arbeit nimmt ihm sein Schüler Franz Xaver Süßmayr ab, der ebenfalls mit von der Partie ist.

      Wie schon im Fall des »Don Giovanni« wird auch »La clemenza di Tito« erst im allerletzten Augenblick fertig. Und was den ausgelaugten, schon von der Todeskrankheit Gezeichneten vollends aus der Bahn wirft: Das Werk fällt durch. Seine Majestät rümpft die Nase, und Königin Marie Louise versteigt sich gar zu dem Verdikt »Una porcheria tedesca« (»eine deutsche Schweinerei«). Verbittert treten die Mozarts eine Woche nach der Uraufführung die Heimreise nach Wien an. Seine Seligkeit über das innig geliebte Prag hat einen empfindlichen Dämpfer erlitten – er wird die Stadt, die ihm in all den Jahren so viel Zuneigung entgegengebracht hat, niemals wiedersehen.

      Erst nach seinem Tod setzt der Prager Mozart-Kult aufs neue ein und zwar mit voller Kraft: Zum Requiem in der St. Nikolaus-Kirche, bei der sich die besten Sänger der Stadt zum Chor zusammenschließen, finden sich an die 3000 Trauergäste ein; bei einer »Musikalischen Akademie« im Nationaltheater brilliert Freundin Josepha Duschek mit einer Arie aus der in Prag noch unaufgeführten Oper »Idomeneo«; die Instrumente, auf denen Mozart während seiner Prag-Aufenthalte musiziert hat, ein Cembalo und ein Hammerklavier, werden unter ausdrücklicher Weisung, sie nie und von niemand anderem bespielen zu lassen, in sicheren Gewahrsam genommen; und die Villa Bertramka, Mozarts Lieblingsadresse, mutiert – mögen sich die Besitzverhältnisse auch noch so oft ändern – zu einer Pilgerstätte der Musikfreunde aus aller Welt.

      Schon der Prager Kaufmann Adolf Popelka, der nach dem Ableben des Mozart-Gastgebers Franz Xaver Duschek den Besitz erwirbt, verfügt, daß »die zwei mit ihren Fenstern in die jetzige Plzeňská-Straße gewendeten Zimmer, die Mozart bewohnt hat, zum Andenken an den großen Meister der Töne für immer unbewohnt und unverändert bleiben müssen«, und seine Witwe vermacht sie testamentarisch der Internationalen Stiftung Mozarteum in Salzburg. 1929 kommt es zu einem Rückkauf durch die Prager Mozart-Gemeinde. Unausgeführt bleibt hingegen der Plan der Nationalsozialisten, während der Protektoratszeit 1939-1945 die Bertramka in den Rang einer »Nationalen Gedenkstätte des Großdeutschen Reiches« zu erheben.

      Nach dem Zweiten Weltkrieg wechseln die Besitzer in rascher Folge: Zunächst von den Kommunisten verstaatlicht, geht das Anwesen 1986 neuerlich ins Eigentum der Prager Mozart-Gemeinde über, bis schließlich 1991 die Kommune – in Gestalt des 5. Prager Stadtbezirks – endgültig das Erbe antritt. Die Bertramka, inzwischen auf Hochglanz gebracht, zählt im heutigen Prag unbestritten zu den Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt. Nicht nur die Dauerausstellung in den historischen Räumen, sondern auch die – je nach Jahreszeit im Saal oder auf dem Hof veranstalteten – Konzerte befestigen Prags herausragenden Ruf als Mozartstadt.

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