»Sie brauchen Ruhe und Erholung, Angela«, hatte er eindringlich gesagt. »Körperlich sind S’ wieder ganz hergestellt, aber Ihre Seele, die leidet immer noch. Net unter den Folgen Ihres Unfalls, sondern unter dem, was davor geschehen ist.«
Natürlich hatte sie ihm auch davon erzählt. Und von Alexander...
»Wenn S’ meinen Rat hören wollen – dann fahren S’ irgendwo hin, wo net so ein Trubel herrscht. Jetzt ist Ferienzeit. Suchen S’ sich einen Ort aus, der net von Touristen überlaufen ist. Sankt Johann zum Beispiel. Ich hab’ früher dort immer Urlaub gemacht. Heut’ schaff’s ich leider net mehr so oft. Aber der Ort lohnt wirklich.«
Gleich am nächsten Tag war er mit einem Prospekt zu ihr gekommen, das er in einem Reisebüro besorgt hatte.
»In einer guten Woche werden S’ entlassen, Angela. Da sollten S’ net zu lang’ warten und bald ein Zimmer reservieren. Wenn S’ möchten, übernehm’ ich das gern’ für Sie«, hatte er angeboten.
Sie brauchte nicht lange, um zuzustimmen. Im Grunde war auch er es, der die Entscheidung traf, und Angela war ihm dankbar dafür. Als sie sich dann eine Woche später von einander verabschiedeten, da hielt Roland Ferbach ihre Hand sehr, sehr lange. Es schien, als wolle er sie nicht wieder loslassen.
»Ich wünsch’ Ihnen schöne Tage«, sagte er. »Und ich würd’ mich freu’n, wenn wir uns recht bald wiederseh’n.«
»Vielen Dank, Roland«, hatte sie geantwortet. »Für alles, was Sie für mich getan haben.«
»Das war doch selbstverständlich«, wehrte der junge Arzt ab. »Für eine Frau wie Sie, da muß man doch alles tun!«
Angela Holzer lächelte, als sie sich daran erinnerte.
Und jetzt war sie hier, in St. Johann, und wußte doch immer noch nicht, was sie mit ihrer Freiheit anfangen sollte.
Denn wie ein übermächtiger Schatten stand die Vergangenheit hinter ihr und lähmte sie.
*
Sebastian Trenker arbeitete im Pfarrgarten. Mit einer Heckenschere schnitt er die Büsche am Zaun zum Kirchhof. Eine Arbeit, die er gerne verrichtete, und man sah dem Garten die liebevolle pflegende Hand an jedem Baum, jedem Strauch und Beet an.
Alois Kammeier hatte derweil den Rasen gemäht, während Sophie Tappert sich um das Unkraut kümmerte, das sich immer wieder in den Gemüsebeeten breit machte. Das machte die Haushälterin selbstverständlich von Hand. Unkrautvernichtungsmittel kämen niemals in Frage, da waren sich die Bewohner des Pfarrhauses einig. Natürlich war es ein harter Kampf gegen die zähen Überlebenskünstler, aber bisher hatte Sophie Tappert nie die Geduld verloren.
»Schau’n S’ nur, Hochwürden«, deutete der Mesner auf den tragenden Birnenbaum. »Das gibt wieder eine reiche Ernte, in diesem Jahr.«
»Ja«, freute sich der Geistliche, »und die Äpfel schau’n auch net schlecht aus. Da werden S’ wieder reichlich Most machen können, Frau Tappert.«
In der Terrassentür erschien Max, der jüngere Bruder des
Seelsorgers. Als er die anderen arbeiten sah, zog er sich gleich wieder zurück, aber Sebastian hatte ihn bereits entdeckt.
»Komm ruhig her«, rief er dem Polzisten zu. »Da steht noch eine Harke.«
Max verzog das Gesicht.
»Wär’ ich doch bloß im Büro geblieben«, meinte er mit einem schiefen Grinsen. »Ich wollt’ bloß einen Kaffee mit euch trinken. Eigentlich bin ich ja noch im Dienst.«
Dann nahm er das Gartengerät in die Hand und harkte die Äste zusammen, die sein Bruder abgeschnitten hatte.
Natürlich war es nur ein Scherz zwischen ihnen gewesen, denn Max arbeitete genauso gerne im Garten, schließlich profitierte er davon, wenn Frau Tappert all das herrliche Obst und Gemüse zu köstlichen Speisen verarbeitete. Da gab es dann die leckersten Marmeladen. Fruchtsäfte und Gemüsezubereitungen. Zu jeder Mahlzeit stand mindestens ein Gericht auf dem Tisch, in dem eine Zutat aus dem Pfarrgarten darin war.
Die Haushälterin ging hinein und kümmerte sich um den Nachmittagskaffee, die Männer arbeiteten indes weiter. Nach einer halben Stunde waren Äste und Gräser auf dem Kompost, die Wege sauber geharkt und die Gartengeräte gesäubert und in der kleinen Hütte verstaut, die ganz am Rande des Anwesens stand.
»So«, sagte Sebastian zufrieden, nachdem sie sich auf die
Terrasse gesetzt hatten, »jetzt schmeckt uns der Kaffee noch mal so gut.«
Er sah seinen Bruder fragend an.
»Gibt’s was Neues?«
Der Polizist schüttelte den Kopf.
»Net, daß ich wüßt’. Wenn die Woche’ so ruhig zu End’ geht, wie sie angefangen ist, dann soll’s mir recht sein.«
Sophie Tappert hatte den Kaffeetisch gedeckt. In der Mitte stand eine Platte, mit einem
frischgebackenen Obstboden darauf. Himbeeren und Brombeeren türmten sich über einer Schicht aus Vanillecreme, und der Rand war mit gerösteten Mandeln bestreut.
Ein Konditor hätte die Obsttorte nicht perfekter machen können!
»Apropos – am Wochend beginnt die Kirchweih«, erinnerte der Geistliche seinen Bruder. »Da kann man nur hoffen, daß dein Wunsch in Erfüllung geht.«
»Hör’ bloß auf, davor graut mir schon jetzt«, erwiderte Max. »Zum Glück kommen zwei Kollegen aus der Stadt und unterstützen mich an den zwei Tagen.«
Aus Erfahrung wußte er, daß es bei solchen Veranstaltungen immer hoch herging. Nicht alle Festbesucher konnten mit Schnaps und Bier besonnen umgehen, und immer wieder kam es dann zu Raufereien. Besonders wenn aus den Nachbardörfern die Burschen kamen und den Einheimischen die Madeln ausspannen wollten.
Irgendwie war es auch eine große Gaudi für alle Beteiligten, und kam schon fast einer Tradition gleich, so wie jedes Jahr der Maibaum bewacht werden mußte, damit die anderen ihn nicht heimlich stahlen. Die Geschädigten bekamen ihn dann meist erst nach zähen, langen Verhandlungen von den ›Dieben‹ zurück, und der Preis, den sie zahlen mußten, war mindestens ein Faß Bier.
Schmunzelnd erinnerte sich der Geistliche daran, daß er selber, als junger Bursche, an solchen Späßen teilgenommen hatte. Eine ganze Weile drehte sich das Gespräch um das kommende Ereignis, und Alois Kammeier wußte auch von so manchem derben Scherz aus seiner Jugend zu berichten.
Die Kaffeerunde im Pfarrgarten neigte sich ihrem Ende, als eine weitere Besucherin eintraf.
»Ria, kommen S’ her und setzen S’ sich zu uns«, begrüßte der Bergpfarrer die Pensionswirtin. »Möchten S’ auch noch einen Kaffee mittrinken?«
Ria Stubler setzte sich und nickte dankend. Max hatte auf die Uhr geschaut und verabschiedete sich.
»Es hilft nix«, meinte der Bruder des Geistlichen. »Zwei Stunden geht der Dienst noch. Wir seh’n uns später, beim Abendessen.«
Der Mesner stand ebenfalls auf und ging mit dem Hinweis, die Kirche noch für die Abendmesse vorbereiten zu müssen. Die Haushälterin hatte frischen Kaffee und ein neues Gedeck gebracht.
»Hm, die schaut aber lecker aus, die Torte«, sagte Ria. »Sophie, das Rezept mußt’ mir unbedingt verraten!«
»Ich schreib’s dir nachher gleich auf«, antwortete die Haushälterin. »Laß sie dir einstweilen schmecken.«
Sie verschwand in der Küche, so daß Sebastian Trenker und Ria Stubler sich ungestört unterhalten konnten.
»Was führt dich her?« erkundigte sich der Seelsorger. »Alles in Ordnung, drüben bei dir, oder gibt’s irgendwelche Probleme?«