Folgen einer Landpartie. Bernhard Spring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Spring
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783954621996
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      In allen frischen Büschen und Bäumen

      Flüstert’s wie Träumen

      Die ganze Nacht.

      Plötzlich konnten sie frei auf das Dörfchen blicken. Gerade noch hatte es versteckt hinter einer niedrigen Hügelkuppe gelegen, bis Eichendorff eine Biegung des Weges, die letzte große, hinter sich gebracht hatte und nun den Flecken vor sich sah. Das also war Geusau.

      Der Ort befand sich mehr als vier Stunden zu Pferd von Halle entfernt, und wenn er nicht eine Rast in Merseburg genutzt hätte, um Kraft zu sammeln, wäre er wohl sehr zerschlagen auf dem Gut angekommen. Zum Glück hatte Eichendorff Jakob bei sich, der ihm auf seine ganz spezielle Art während dieser Reise die Zeit vertrieb. Sie debattierten Fragen, die trotz ihrer großen Bedeutung doch nie den Horizont des Dieners bezwangen, der über einen erstaunlichen Verstand verfügte. Eichendorff konnte, obwohl er wesentlich gebildeter war, selten anders, als Jakob, der ihm seit der gemeinsam verlebten Kindheit der beste Freund war, zuzustimmen, und wenn er doch hin und wieder Bedenken einräumte, so gelang es Jakob spielend und mit teils amüsanter Logik, diese im Rahmen seines überschaubaren Weltbildes zu zerstreuen.

      So waren sie auf den Papst Pius VII. zu sprechen gekommen, den Antichristen, der einen gewöhnlichen Korsen ohne Herkunft namens Napoleon Bonaparte zum Kaiser der Christenheit gesalbt hatte. Dabei war der Kaisertitel doch nur einer wahrhaft würdigen Majestät vorbehalten und diese stammte seit Generationen aus dem deutschen Hause Habsburg. Doch Franz II. setzte bereits zum Gegenschlag an. Eichendorff und Jakob waren sich einig darin, dass es Österreich mithilfe des Zaren Alexander ganz sicher gelingen musste, diesen impertinenten Franzosen zurechtzuweisen und die alte Ordnung wiederherzustellen. Mit derartigem Geplauder hatten sie den eintönigen Weg hinter sich gebracht, waren durch Weiler und an gewellten Feldern vorübergeritten, bis sie den kleinen Ort nun also sahen.

      Die nicht mehr als dreißig Höfe Geusaus lagen halb verdeckt zwischen dunklen Bäumen, die aus dem Sumpfland emporwuchsen. Nur hier und da hob sich der Boden genug aus dem Wasser heraus, um von den Bauern bewirtschaftet werden zu können. Das erste grüne Getreide wucherte über die Grasnarben, Wildenten und Reiher schrien aus den umliegenden Weilern und nur wenige Menschen zeigten sich auf dem Weg, dem Eichendorff und sein Diener folgten. Vielleicht hatte ein Markttag den Großteil der Bewohner in eine der umliegenden Ortschaften gelockt, vielleicht befanden sie sich auch auf möglicherweise ertragreicheren Äckern weiter außerhalb, hinter den welligen Hügeln am Horizont, die doch kaum hoch genug aus dem feuchten Boden herausragten, um als Hügel bezeichnet zu werden.

      Wenn die einfachen Leute die beiden Reiter erblickten, blieben sie am Wegrand stehen und neigten ihre Köpfe zum Gruß. Eichendorff erwiderte mit einem leichten Nicken diese Aufmerksamkeit, fühlte sich aber zunehmend unwohl unter den neugierigen Blicken, die er im Nacken spürte. Offensichtlich verirrten sich selten Besucher in diese Gegend. Nur ein junger Gänsehirte schien ihn nicht zu bemerken. Der kleine Fratz trieb die schnappenden Tiere mit einer Gerte aus dem Schilf, um dort ungestört Kolben abreißen zu können. Wahrscheinlich würde er versuchen, sie anzuzünden, dachte Eichendorff und musste lächeln. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit hatte auch er Rohrbomben geraucht und sich mit dem scharfen Qualm mörderisch den Hals verbrannt.

      Das Gut derer von Botfeld konnte nicht verfehlt werden, denn der Weg, den die beiden Reiter in Merseburg eingeschlagen hatten, war der einzige im Ort. Kleineren Abzweigungen war deutlich anzusehen, dass sie sich entweder zwischen den einzelnen Höfen verliefen, abrupt vor größeren Toren endeten oder gemächlich in Feldwege übergingen. Je näher Eichendorff und Jakob der über den Baumkronen sichtbaren Kirchturmspitze kamen, umso dichter standen die Häuser am Wegrand. Da befand sich auch schon das Gut, südlich des Weges gelegen, der eine Biegung vollzog und so zwischen dem im Westen gelegenen Zugang zum Gut und der Kirche verlief, um irgendwo weiter im Süden aus dem Dorf zu führen.

      Hier wuchsen Linden von beachtlicher Höhe und gaben dem verwitternden Mauerwerk ein malerisches Aussehen, als die Sonnenstrahlen ein heiteres Gemisch aus Licht und Schatten auf den kleinen Vorplatz zauberten. Jakob stieg von seinem Pferd, führte es an den Zügeln zu dem Tor und klopfte, um seinen Herrn zu melden. Kurz darauf wurde das schwere Holztor geöffnet und Eichendorff ritt in einen Wirtschaftshof ein, der ihn sehr an das elterliche Gut erinnerte: im Süden die Ställe mit dem Viehtor, im Norden die niedrigen Gesindestuben und im Osten, dem Tor gegenüber, das von Kanalarmen umgebene Herrenhaus.

      Auf dem Hof herrschte das bedächtige Treiben weniger Personen, die ihren alltäglichen Arbeiten nachgingen. Mägde trugen vor sich hin schatzend Wäschekörbe, Gemüsestiegen und Gerätschaften über den unebenen Hof, drei Knechte machten sich an einem Gatter zu schaffen, dessen Sprossen sie erneuerten. Bevor Eichendorff intensiver das Werken des Gesindes beobachten konnte, hörte er seinen Namen rufen und erblickte Botfeld, der mit schnellen Schritten vom Herrenhaus auf ihn zukam. Dieser empfing ihn ganz offensichtlich in bester Stimmung.

      »Mein lieber Freund!«, rief er aus und hielt die Zügel des Pferdes, während Eichendorff abstieg. »Haben Sie sie gefunden, unsere kleine Zurückgezogenheit?«

      Die beiden jungen Männer gaben sich die Hand und bekundeten sich gegenseitig ihre Freude über das Wiedersehen.

      »Die Entenjagd habe ich für den späten Nachmittag angesetzt«, erklärte Botfeld. »Ich nehme an, dass Sie sich erst einmal ein wenig erfrischen wollen, und hier kommen die Enten so zahlreich vor, dass die Tageszeit wirklich keine Rolle spielt. Vielleicht wollen Sie auch eine kleine Erfrischung zu sich nehmen, bevor wir uns auf die Pirsch begeben?«

      Eichendorff lehnte höflich ab. Obwohl er sich nie besonders für die Jagd interessiert hatte und auch möglichst schnell erfahren wollte, ob Undine derzeit auf Geusau weilte, zog es ihn doch in die melancholische Auenlandschaft, die den Ort umgab.

      »Aber zumindest die Kleider würde ich gern wechseln, da sie mir doch zu staubig geworden sind und außerdem für die Jagd weniger taugen.«

      Botfeld klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Ich werde Ihnen sofort Ihr Zimmer zeigen, wo Sie sich in aller Ruhe herrichten können. In der Zwischenzeit werden wohl auch die Hundeführer aufbruchbereit sein. Aber zuvor dürfen Sie es mir nicht verübeln, wenn ich Ihnen diesen alten Landsitz näherzubringen versuchen werde. Ein Kleinod, wie es vielleicht kein zweites in der Gegend geben wird: das Rittergut derer von Botfeld zu Geusau, das die Ehre hat, Ihnen ein vortreffliches Quartier zu sein.«

      Damit war Botfeld, wie Eichendorff lächelnd feststellte, wieder seiner Leidenschaft für das Historische verfallen und begann ohne Verzug seine Führung durch das Herrenhaus des Gutes. Eichendorff ließ sich gern durch das Gebäude führen, auch wenn ihm sehr schnell klar wurde, dass es sich keineswegs um einen so einmaligen Bau handelte, wie Botfeld ihm versichert hatte. Es war vielmehr ein üblicher, konservativ gestalteter Landsitz, wie ihn der Kleinadel in allen Teilen des Reiches aufgrund von finanziellen Beschränkungen zuweilen bevorzugte.

      Der quadratische, an der Südseite offene, in einen Garten auslaufende Bau war außen an drei Seiten von Kanälen umgeben, an der vierten, östlichen jedoch von einem breiteren Teich, dessen Ufer flach und verschilft war. Die im Norden gelegene Brücke, gerade einmal breit genug für einen Einspanner, verband das Herrenhaus mit dem Wirtschaftshof und stellte die einzige Überführung über den Wassergraben dar. Das Gebäude selbst umschloss einen Innenhof, von dem aus über niedrige Treppen ein Korridor erreicht werden konnte, der sich über alle drei Fronten des Innenhofs zog und über den sämtliche Räume zugänglich wurden.

      Das Herrenhaus war in seiner Nutzung sehr einfach strukturiert: Im Westflügel, dem aufgrund des hohen Grundwasserspiegels einzig unterkellerten, befanden sich der Küchentrakt, die Speisekammern und unterirdische, etwa zwei Meter breite Speicher für Bier und Wein, wie Botfeld erklärte. Im Norden nahm der Empfangssaal gegenüber der Brücke den meisten Platz ein; umgeben war dieser auf beiden Seiten von je einer Kammer, die beheizbar waren und größtenteils von Botfeld selbst genutzt wurden. An den Raum westlich des Saals schloss sich ein Kabinett an, das durch eine Zwischenwand abgetrennt worden war und in dem Botfeld oder sein Vater den Verwaltungsaufgaben und den üblichen Schreibereien nachkamen, so sie sich auf dem