Stahnke und der Spökenkieker. Peter Gerdes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Gerdes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839268407
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      Stahnke antwortete nicht. Vorsichtig blätterte er um, jede Seite nur mit den Fingerspitzen berührend. Regionalsport, Bundesliga, Lokalsport, darunter ein Block mit Bumsanzeigen. Es folgten zwei weitere Seiten mit Inseraten und ganz hinten die Familienanzeigen. Geboren, geheiratet, gestorben. Tja. Eigentlich konnte man Lebensläufe recht knapp zusammenfassen.

      »Was waren das eigentlich für Handschellen?«, fragte er.

      »Ziemlich professionelle Dinger«, sagte Kramer. »Kein Kinderspielzeug mit Sicherheitsknöpfchen. Leider. Diese haben Polizei-Qualität. Es sind aber ziemlich viele von den Dingern in Umlauf.«

      »Ach. Und wo wird so was verkauft?«

      Ein feines Grinsen spielte um Kramers schmale Lippen: »In Sexshops natürlich.«

      »Natürlich«, bestätigte Stahnke eilig. »Na, dann wollen wir die mal überprüfen.«

      »Schon veranlasst«, sagte Kramer.

      Hin und wieder könnte ich ihn eigentlich loben, dachte Stahnke. Stattdessen aber fragte er: »Deutet denn irgendetwas auf Sexspielchen hin? Ich meine, es sollen sich ja schon Leute selbst erdrosselt haben beim Versuch, sich den Extra-Kick zu geben.«

      Kramer brachte es fertig, gleichzeitig zu nicken und den Kopf zu schütteln, ohne dabei debil auszusehen. »Schon, aber das können wir ausschließen. Das hier übersteigt alle mir bekannten Sado-Maso-Praktiken. Ich meine natürlich, alle, von denen ich bisher gehört habe.«

      »Natürlich«, bestätigte Stahnke. Das Grinsen verkniff er sich. »Also dann, was haben wir?«

      »Dr. med. Hanno Wohlmann, 43 Jahre, verheiratet, keine Kinder. Niedergelassener Kinderarzt, alteingesessene Praxis vom Schwiegervater übernommen, Ehefrau arbeitet als Sprechstundenhilfe mit. Gut situiert, aber nicht übermäßig begütert.«

      »Na, für einen Jaguar reicht es immerhin«, unterbrach Stahnke.

      Kramer hob fragend die Augenbrauen: »Wieso Jaguar? Die Wohlmanns haben einen Passat, dunkelblau. Kein schlechter Wagen, aber kein Jaguar.«

      Stahnke wies mit dem Daumen über seine Schulter; Kramer erhob sich halb und linste durch die Gardine. »Ach der«, sagte er. »Ist mir auch aufgefallen. Der gehört aber nicht Wohlmann, sondern einem seiner Nachbarn. Banker oder so.«

      Stahnke nickte stumm. Dass ihm das immer wieder passieren musste! Ständig tappte er in die Falle seiner eigenen Vorurteile. Was ins Bild passte, wurde geglaubt. Glauben aber hieß nicht wissen. »Und nicht wissen heißt sechs«, pflegte sein alter Mathelehrer stets zu ergänzen. Man musste eben genauer hinsehen. Stahnke, setzen. Nur gut, dass er bereits saß.

      Das Wartezimmer besaß zwei Türen; die eine führte zum Behandlungszimmer, die andere zum Flur mit der Rezeption, den weiteren Ordinations- und Therapiezimmern und dem Durchgang zu den Privaträumen. Vom Flur her war ein zaghaftes Klopfen zu hören.

      »Bitte«, sagte Kramer.

      Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet, und ein kleiner, vierschrötiger Mann schob seinen Kopf hindurch. »Brauchen Sie noch etwas?«, fragte er.

      »Danke«, sagte Kramer. »Aber kommen Sie doch einen Augenblick herein, Herr Przybilski.«

      Ein Bauerngesicht, dachte Stahnke. Rund, pausbäckig, stark geädert, flankiert von zwei leuchtend roten Segelohren. Drei zu eins, dass das der Hausmeister ist.

      »Herr Przybilski ist hier der Hausmeister«, erläuterte Kramer.

      Stahnke erhob sich, schüttelte dem Mann die Hand und lächelte ihm so leutselig zu, dass der gar nicht anders konnte als zurückzulächeln, obwohl ihm offenkundig gar nicht danach zu Mute war.

      »Sie haben uns also angerufen«, stellte Stahnke fest; von irgendwem hatte er das aufgeschnappt. »Haben Sie auch die Leiche gefunden?«

      Przybilski nickte. »Ja. Das Fräulein Weiß, die junge MTA, also die neue Sprechstundenhilfe, hat bei mir geklingelt. Weil sie nicht reinkam in die Praxis, nicht wahr, und weil es so roch. Ich habe dann aufgemacht, und zusammen sind wir rein.«

      »Fräulein Weiß?« Stahnke blickte Kramer an.

      »Schock«, sagte Kramer knapp. »In Behandlung. Noch nicht vernehmungsfähig. Wir werden benachrichtigt.«

      »Und warum konnte die Dame nicht hinein? Hatte sie keinen Schlüssel? Immerhin arbeitet sie doch hier.«

      »Doktor Wohlmann hat seinen Angestellten nie Schlüssel gegeben«, sagte der Hausmeister. »Nur er und seine Frau hatten welche. Einer von beiden kam immer als Erster, der andere ging als Letzter.«

      »Und wer wäre heute dran gewesen mit früh da sein? Wohlmann oder seine Frau?«

      »Der Herr Doktor«, sagte Przybilski. »Er wollte über die Feiertage noch Unterlagen für die Krankenkassen aufarbeiten, hat er mir letzte Woche erzählt. Seine Frau ist verreist. Besucht ihre Eltern in Bremen über die Feiertage. Soll erst übermorgen zurück sein.«

      »Sie ist schon benachrichtigt«, kam Kramer Stahnkes Frage zuvor. »Die Bremer Kollegen haben das übernommen.«

      Stahnke rieb sich das Kinn; seine Bartstoppeln raschelten leise. Er fixierte Kramer und fragte mit gedämpfter Stimme: »Haben Sie dieses Fräulein Weiß gesehen?«

      Kramer nickte.

      »Und?«

      Kramer zuckte die Achseln. »Jung. Hübsch. Niedlich.« Er lehnte sich zurück. »Meinen Sie das?«

      »Klar«, sagte Stahnke. »Und sie war neu hier in der Praxis, nicht wahr?« Ein verlockender Gedanke: Geldsack trifft Jungbrunnen, betrogene Gattin wird zur Bestie. Klischee, sicher. Aber warum war das Klischee? Weil es immer wieder vorkam.

      Vorsichtig, Stahnke, dachte Stahnke. Denk an den Jaguar.

      »Wer tut so was? Wer tut bloß so was?« Przybilskis Stimme klang halb erstickt.

      Überrascht blickte Stahnke auf. Der Hausmeister stand gekrümmt da, das Gesicht in seinen Handflächen verborgen. »Er war doch so ein feiner Mensch, der Herr Doktor. Hat immer nur allen geholfen. Sich um jeden gekümmert, um die Kinder, hat sie gesund gemacht. Ein Wohltäter. Wer tötet denn so jemanden? Wer bringt so einen um? Und dann auch noch so.«

      Stahnke legte ihm beide Hände auf die Schultern; dieses Maß an Vertraulichkeit mochte gerade noch angehen. »Genau das ist die Frage, Herr Przybilski«, sagte er. »Und genau deswegen sind wir ja hier. Um das rauszukriegen. Vertrauen Sie uns, wir werden den Mörder schon finden.« Fast hätte Stahnke über seine eigenen Worte den Kopf geschüttelt. Seit wann machte er denn so große Sprüche? Und so sentimentale obendrein?

      Der Hausmeister rieb sich die Augen, bedankte sich und ging.

      Alles in allem ein ziemlich peinlicher Auftritt, fand der Hauptkommissar.

      »Blödsinn«, sagte Kramer.

      Stahnke spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. »Wie – äh …« Sein Mund blieb stumm und offen.

      »Blödsinn ist das. Von wegen Wohltäter Wohlmann. Der war als Kinderarzt nicht halb so gut, wie dieser Przy­bilski ihn hinstellt.«

      Erleichtert stellte Stahnke fest, dass Kramer nicht ihn gemeint hatte. Dann erst registrierte er die Bedeutung seiner Worte. »Kein guter Arzt? Mangelndes Fachwissen oder menschliche Defizite?«

      »Beides, wenn Sie mich fragen«, sagte Kramer. Der hagere Mann blickte zu Boden. Man konnte durch seinen Mantel hindurch sehen, dass er die Fäuste in den Taschen ballte.

      »Ja«, sagte Stahnke, »das tue ich. Erzählen Sie mal.«

      »Meine Tochter«, sagte Kramer. »Stephanie. Sieben Jahre alt. Sie erinnern sich?«

      Der Hauptkommissar nickte. Kramer hatte den kleinen Blondschopf vor ein paar Wochen einmal mit ins Büro gebracht. »Girls day« – was das wohl zu bedeuten hatte? Allzu viel konnte Stahnke mit Kindern nicht anfangen, aber Steffi hatte ihm gefallen. Sie war unglaublich