Ich hatte keine Mitsprache bei der Auswahl meiner 17 Teammitglieder. Vielmehr stand ich, wie es bei den meisten Jobs die Norm ist, einer bunten Gruppe von Menschen gegenüber, die ich noch nie gesehen hatte. Irgendwie würde ich diese zufällige Ansammlung unterschiedlicher Individuen zu einem leistungsstarken Team formen müssen – denn in der Antarktis würde unser Leben von guter Zusammenarbeit abhängen.
Bei unserem ersten Kennenlern‐Barbecue in Hobart plauderte ich mit zwei Leuten des Teams über kaltes Wetter. Einer der beiden sagte: ”Ich war gerade in Alaska; da war es so kalt, wenn du da in einer Pfütze standst, verwandelte sich das Wasser unter deinen Füßen in Eis. Es müssen mindestens minus 21 Grad gewesen sein.« Der andere entgegnete: ”Na ja, Wasser gefriert bei null Grad, also müssen es mindestens null Grad gewesen sein, nicht mindestens minus 21 Grad.«
Oha! Dieser Austausch war für mich der Ausgangspunkt zu einer bis heute andauernden Reise, auf der ich einen Weg finden wollte, auf dem man ein Team bilden kann, das sich darauf konzentriert, Probleme professionell und respektvoll anzusprechen und anzugehen. Meine beiden größten Sorgen in der Antarktis waren, dass jemand vor Wut explodieren oder aber in Depressionen verfallen könnte, denn ich hatte das Gefühl, dass ich für beide Situationen nicht die Mittel und Wege hätte, damit umzugehen. Daher begab ich mich daran, stattdessen eine Kultur aufzubauen, die uns alle ermuntern sollte, den Mund aufzumachen, uns auszusprechen, Probleme aufzugreifen, mit ihnen umzugehen und sich anschließend wieder anderen Dingen zu widmen.
Nach dieser Expedition begann ich, auf Konferenzen und Veranstaltungen Vorträge darüber zu halten, was ich gelernt und welche Instrumente ich auf der Davis‐Station eingesetzt hatte. Zu Beginn gab es nur hin und wieder eine Veranstaltung, aber dann nahm das Ganze Fahrt auf. Inzwischen trete ich pro Jahr bei über 100 Veranstaltungen auf der ganzen Welt auf. Und obwohl ich den Inhalt infolge veränderter Sichtweisen und aktueller Themen immer weiter verfeinere, bleiben meine grundsätzlichen Instrumente doch dieselben.
In den vergangenen 15 Jahren habe ich zahllose Zuschriften von Menschen erhalten, die mir Geschichten darüber erzählten, wie sie meine Führungs‐ und Teamwork‐Instrumente eingesetzt haben. Ausnahmslos alle haben davon berichtet, wie ihnen diese Instrumente geholfen haben. In manchen Fällen mag es nur das Drehen an der einen oder anderen Stellschraube gewesen sein, in anderen Fällen aber ging es auch um bedeutende Auswirkungen auf die jeweilige Arbeit und mithin auf das Leben an sich.
Ich fand es faszinierend, dass bei allen 1500 Teams, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe – von Unternehmen und öffentlichem Dienst über Non‐Profit‐Organisationen und Schulen bis hin zu ehrenamtlichen Gruppen –, die Herausforderungen immer mehr oder weniger dieselben waren.
Wir sind uns alle einig, dass Diversität etwas Gutes ist, und es gibt eindeutige Belege dafür, dass sie positiven Einfluss auf die Ergebnisse hat. Im öffentlichen Dienst und in Freiwilligen‐Organisationen ist entscheidend, dass die Mitarbeiter die Gemeinschaft repräsentieren, der sie dienen. Aber wenn die Diversität in unseren Teams immer weiter zunimmt, sind wir auch nicht mehr immer einer Meinung. Wie können wir also eine Kultur hervorbringen, in der das okay ist? Wie können wir zu konstruktiver Debatte und gesunder Diskussion ermuntern? Wie können wir Probleme direkt und professionell ansprechen?
Jedes Team braucht drei Dinge – Leistung, Respekt und Harmonie. Jedes Unternehmen strebt natürlich in erster Linie nach Ergebnissen, aber das steht nicht im Fokus dieses Buches. Hier geht es vielmehr um die richtige Balance zwischen Respekt und Harmonie, die große Ergebnisse möglich macht.
Zur Recherche für dieses Buch haben wir fast 200 Teams befragt, die diese Instrumente bereits eingesetzt hatten, und Anschluss‐Interviews mit 30 Personen geführt, um noch weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Ich wollte wissen, was bei ihnen funktioniert hat und was nicht. Und was sich infolge des Einsatzes der Instrumente verändert hat.
Ich bezeichne die drei Instrumente, die den Kern der von mir empfohlenen Führungspraxis ausmachen, wie folgt:
Keine Dreiecke: ein Instrument, das Klatsch und Tratsch ein Ende bereiten soll, das die Verantwortlichkeiten und die Qualität von Feedback verbessert und Innovationen vorantreibt.
Der Frühstückskrieg: ein Schutzschalter, der dysfunktionales Verhalten behutsam unterbrechen und zur Sprache bringen soll.
Führen ohne Titel: ein Verfahren, das persönliches Führungsverhalten in Ihrem Team entwickeln soll, damit Verantwortung und Initiative geteilt werden.
Diese Instrumente sind die drei Säulen, auf denen die Kultur und Botschaft dieses Buchs ruht.
Im Laufe der 15 Jahre des Zusammentragens der Recherchen, der Fallstudien und des Feedbacks, die diesem Buch zugrunde liegen, habe ich beschlossen, den Rahmen über den rein wirtschaftlichen Bereich hinaus zu erweitern, weil ich glaube, dass dieselben Prinzipien auch für Sportvereine, Freiwilligengruppen und sogar Familien gelten. Betrachten Sie sich also als völlig frei, diese Ideen auf jedes Team anzuwenden, das für Sie relevant ist.
Was meine ich, wenn ich von Harmonie rede?
Eine schnelle Internet‐Suche wird Ihnen alles zeigen, was Sie über die Bedeutung von Harmonie auf dem Weg zu einem leistungsstarken Team wissen müssen. Bei der Recherche für dieses Buch habe ich etliche Tage damit zugebracht, mich durch die ersten zehn Seiten einer Google‐Suche unter dem Stichwort ”harmonische Teams« zu kämpfen. Mit einer einzigen Ausnahme (und dieser Eintrag nahm Bezug auf mich) betonten alle die entscheidende Wichtigkeit von Teamharmonie. Ob es nun bei der Arbeit ist oder in einem Freiwilligen‐ oder Sport‐Team, es erscheint offensichtlich, welchen Wert es hat, dass wir die Leute um uns herum mögen und mit ihnen auskommen.
Letzten Endes geht es bei jeder Teamleistung um die Ergebnisse. Haben wir dieses Projekt pünktlich und im Rahmen des Budgets abgeschlossen und dies in einer Art Weise, die unsere Kunden begeistert hat? Hat unser Sportteam dieses Jahr einen oder zwei Plätze besser abgeschnitten als letztes Jahr? Ergebnisse sind das, was zählt, insbesondere wenn Geld und Ruf auf dem Spiel stehen – und manchmal, wenn ausreichend Mittel im Spiel sind, kann ein sorgfältig zusammengestelltes Team leistungsstarker Individuen diese Ergebnisse perfekt machen. Die meisten von uns dürfen sich ihr Team allerdings nicht aussuchen. Wir bekommen, was uns zur Verfügung gestellt wird, und sollen trotzdem die geforderten Ergebnisse liefern.
Zusammenhalt ist für jedes Team ein wichtiges Element, aber erreicht man diesen einfach dadurch, dass sich alle mögen? Oder ergibt er sich durch eine Kombination aus dem Streben nach einem gemeinsamen Ziel, Respekt für das, was jedes Teammitglied einbringt, und einer Konzentration auf die Ergebnisse? Ich denke, eindeutig Letzteres. Dies ist auch die zentrale Idee dieses Buches.
Ich werde dafür argumentieren, dass es zwar völlig okay ist, wenn wir einander nicht mögen, dass es zum Erzielen von Ergebnissen aber unerlässlich ist, dass wir einander respektieren. Das ist die Hauptidee, die wir im Laufe des Buches herausarbeiten werden. Wir werden natürlich, wie Sie es ja wahrscheinlich auch erwarten, auch ein paar Storys präsentieren und ein paar Theorien und Modelle, noch wichtiger ist aber, dass wir einige praktische Verfahren untersuchen werden, wie sich verbreitete Probleme erkennen und lösen lassen, die in Teams bei der Arbeit, in sozialen Gruppen und in Familien auftreten.
Niemand kann ernsthaft erwarten, dass in einem Team von Individuen, die einzig aufgrund ihrer speziellen Talente und Fähigkeiten ausgewählt wurden, sich alle füreinander begeistern und sich alle über alles einig sind. Wir wollen zwar alle gern zur Arbeit gehen, denn einen Job zu machen, der überhaupt keinen Spaß macht, das ist wirklich heftig. Aber es wäre unrealistisch anzunehmen, dass die Leute, mit denen wir zusammenarbeiten, auch immer unsere besten Freunde sein werden. Es werden immer auch Leute in der jeweiligen Gemeinschaft sein, und womöglich selbst in unserer Familie, die uns so richtig auf die Nerven gehen. Wir müssen also nicht immer miteinander auskommen, aber wir müssen uns immer mit