Buchreihe:Respekt - Wirtschaft -. Joe Martin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joe Martin
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783947921027
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Kapitalismus mit Herz geschieht, soll durch den Respektfilter beurteilt werden und dann erst als Gesetz verabschiedet werden. Dann klappt’s auch mit dem Kapitalismus.

      Der Kapitalismus ist die beste Wirtschaftsform, die wir kennen. Sozialismus und Kommunismus sind Rohrkrepierer und führen zu Ungleichheit, Verarmung und Diktatur, trotz der intuitiv guten Idee.

      Aber der von uns gelebte Raubtierkapitalismus führt zu dem gleichen Ergebnis und deshalb brauchen wir einen anderen Kapitalismus. Einen Kapitalismus mit Herz.

       Kurt arbeitet bei einer Zeitarbeitsfirma. Diese verleiht ihn –also seine Arbeitsleistung – an eine Firma, die logistische Arbeiten erledigt. Natürlich gegen eine entsprechende Gebühr. Deren Auftraggeber ist eine IT-Firma. Diese Firma betreut unter anderen einen ganz großen Kunden: die Bundeswehr.

       Der leider kürzlich verstorbene David Graeber lässt in seinem Buch „Bullshit Jobs“ Kurt zu Wort kommen: „Die Bundeswehr vergibt Aufträge an private Firmen, die die EDV betreuen sollen. Einer dieser Auftragnehmer, beauftragt dazu eine weitere Firma, diese Aufträge zu erledigen. Diese Firma, also der Unter-unter-Auftragnehmer, beauftragt seinerseits wieder eine Zeitarbeitsfirma, bei der ich beschäftigt bin.“21

       Jetzt weißt du, wie es dazu kommt, dass Kurt sich um die EDV bei der Bundeswehr kümmert.

       Im Lichte dessen kannst du gerne einmal darüber nachdenken, wie es kommen kann, dass der Spiegel folgende Überschrift wählte: „Verteidigungsministerium vergab rechtswidrig millionenschwere Verträge mit Beratern.“22 Der Spiegel Text beginnt so: „Auf Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kommt eine unangenehme Affäre um die von ihr für viele Millionen Euro engagierten externen Unternehmensberater zu: Nach SPIEGEL-Informationen hat der Bundesrechnungshof (BRH) in einem Einzelfall aufgedeckt, dass das Verteidigungsministerium Aufträge für externe Unternehmensberater für das neu eingerichtete Cyber-Kommando regelwidrig vergeben hat. Konkret geht es zunächst um acht Millionen Euro.“

      Es hätte schlimmer kommen können

      Nun, das ist unangenehm, aber so what. Es passiert ja nichts. Frau von der Leyen konnte ja später als Präsidentin der Europäischen Kommission vereidigt werden und wen interessieren da noch die Beraterverträge, die ihr Ministerium abgeschlossen hat? Immerhin müssen die beauftragten Firmen ja Gewinne machen und die, die sie beauftragen auch und die Unterfirmen, die diese dann wieder beauftragen, auch wieder. Alle wollen ja von irgendwas leben. Auch Kurt. Denn der erledigt ja die Arbeit.

       Gut, wir wissen nicht genau, was Kurt verdient, aber wir wissen, dass die Aufträge zumindest für den ersten Auftragnehmer innerhalb dieses Skandals, den der Bundesrechnungshof beanstandete, bei 900 - 1.700 Euro lagen. Pro Tag!

       Wenn Kurt also 5 Tage die Woche arbeitet, wovon wir ausgehen müssen, denn auch die An- und Abreise gilt als Arbeitszeit, dann sind das im Monat 20 Tage multipliziert mit, sagen wir nur 1.250 Euro, doch ganz ordentliche 25.000 Euro im Monat brutto. Nicht schlecht Herr Specht.

       Dafür würdest du sicher auch sofort anfangen, oder nicht? Aber was genau müsstest du dafür machen?

      Eine erfüllende Tätigkeit

       Kurt beschreibt es in Graebers Buch ungefähr so: „Sagen wir mal, ein Soldat soll in ein anderes Büro, zwei Zimmer weiter, umziehen. Natürlich kann er nicht einfach den Computer ausstöpseln, in das neue Büro gehen und ihn dort wieder einstöpseln. Er muss erst einmal einen Antrag stellen.

       Dieser geht dann an den IT-Dienstleister, wo Sachbearbeiter ihn lesen und bearbeiten. Dann wird der Antrag vom IT-Dienstleister genehmigt an deren Unter-Auftragnehmer geleitet. Dort wird er wieder bearbeitet, genehmigt und dann an die Zeitarbeitsfirma weiter geleitet.“

       Die gibt den Auftrag dann an Kurt weiter. Kurt erhält den Auftrag per E-Mail, die anzeigt, wann er wo sein muss, um den PC-Umzug zu organisieren. Kurt ist natürlich nicht zwangsläufig vor Ort, immerhin betreut er Kasernen im Umkreis von bis zu 400 Kilometer. Nachdem also ein solcher Auftrag bei ihm angekommen ist, nimmt er sich einen Mietwagen und fährt zur betreffenden Kaserne.

       Dort beginnt jetzt seine wichtige Aufgabe, die er wie folgt beschreibt: „Ich melde mich bei der Firma und sage, dass ich da bin. Dazu fülle ich ein entsprechendes Formular aus. Nun kann ich den Computer aus stöpseln, in einer Kiste stecken und diese Kiste versiegeln. Dann nimmt ein Kollege, der für die Logistik zuständig ist, die versiegelte Kiste. Er transportiert – also trägt – sie in das neue Büro, welches zwei Zimmer weiter ist. Dort übernehme ich die Kiste, fülle ein Formular aus und schließe den Computer wieder an. Nachdem ich ein paar Unterschriften bekommen habe, melde ich mich bei meiner Firma und bestätige die Erledigung des Auftrages. Dann fahre ich wieder nach Hause und sende alle Unterlagen zur Firma.“

       Kurt beschreibt zusammenfassend: „Anstelle, dass der Soldat selbst den Computer fünf Meter weiter getragen hat, sind wir mit zwei Mann zusammen sechs bis zehn Stunden gefahren, haben ca. 15 Seiten Formulare ausgefüllt und das alles kostete den Steuerzahler rund 400 Euro.“

      Was sind Bullshit-Jobs

       Graeber hatte für sein Buch Umfragen durchgeführt, um sogenannte Bullshit Jobs zu identifizieren. Kurt war einer von vielen, die sich gemeldet hatten. Warum hat er das getan? Wer beschwert sich denn, wenn er 25.000 Euro im Monat verdient?

       Nun, das Problem ist natürlich, dass Kurt keine 25.000 Euro im Monat erhält, denn die verschiedenen Firmen, der Auftragnehmer und die Unterauftragnehmer, wollen ja auch einen Anteil und der ist sicher nicht zu knapp bemessen. Vielleicht bleiben Kurt 4.000 – 6.000 Euro brutto im Monat. Das ist zwar nicht schlecht, aber doch so unbefriedigend, dass er sich unwohl fühlte. Unwohl wegen des Jobs an sich, der eine Farce ist und vermutlich unwohl, dass der Staat unnötig und sinnlos Geld ausgeben muss.

       Kurt ist am Ende der Nahrungskette. Die ersten Auftragnehmer verdienen kräftig. Viele Hundert Millionen hat das Bundesverteidigungsministerium den Damen und Herren Beratern zukommen lassen. Gleich so viel und so offensichtlich, dass eben der Bundesrechnungshof eingeschritten ist. Passiert ist den Verantwortlichen scheinbar nichts, denn wie gesagt, die Verteidigungsministerin ist nur die Chefin der EU.

      Damit sich der Kapitalismus besser entfalten kann

       Das ist natürlich nur ein Beispiel, wie unsere soziale Marktwirtschaft funktioniert. Tatsächlich ist es aber eine kapitalistische Marktwirtschaft, die immer noch zu stark reguliert ist, sagen die Freien Demokraten (FDP) und bis zu einem gewissen Maße auch die Christdemokraten (CDU & CSU). Selbst die ursprüngliche Arbeiterpartei, die Sozialdemokraten (SPD), sind immer wieder dafür die Zügel zu lockern, damit der Kapitalismus sich besser entfalten kann.

       Sie alle fallen leicht den Turbokapitalisten zum Opfer und diese halten sich den Bauch vor Lachen, denn leichter kann man doch gar kein Geld verdienen. Man nehme bis zu 1.700 Euro pro Tag für Kurt und gibt diesem vielleicht 200 – 400 Euro davon ab. Oder auch mal 650 Euro. Man will vielleicht gar nicht so sein. Es bleibt genug übrig. Das ist die sogenannte Marge, der Gewinn. Der ist üppig, und zwar nur, weil die Politik es so organisiert hat. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

      Soziale Marktwirtschaft

       In diesem Kapitel geht es jedoch nicht um Kurt oder die ehemalige Bundesverteidigungsministerin, sondern um die Wirtschaftsordnung, in der wir leben. Eine Wirtschaftsordnung, die wir als soziale Marktwirtschaft kennen und die, trotz der Vorsilbe ,sozial‘, zu massiver Ungleichheit führt. Bullshit-Jobs belasten nicht nur die Seele derjenigen, die sie leisten müssen, sondern fördern auch eine wachsende Unzufriedenheit bei den Betroffenen. Immerhin müssen sie solche Jobs erledigen, damit sie ein Einkommen erhalten, von dem sie leben müssen.

       Das ist kein erfüllendes Leben, aber nur ein kleiner Teil des Problems. Der andere Teil des generellen Problems ist der Wert des Menschen selbst, der irgendwie