Das Geheimnis der Letzten. Fritz Binde. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fritz Binde
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783958932715
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und uns um das wahre Gedeihen und den Frieden unserer Seele betrügen. Man redet von sich steigerndem Wohlstand, und immer weniger Menschen fühlen sich recht wohl. Welch ein Unsinn ist das doch!“

      Der reiche Mann antwortete nicht gleich. „Sie mögen in manchem recht haben“, begann er nach einer Weile. „Man müsste also mehr Zeit gewinnen, den inneren Menschen zu pflegen. Das ist ja eigentlich ganz meine Ansicht.“

      „Ja, und bei wem dieser ,innere Mensch’ wirklich Christus heißt, der hat mehr als Zeit und kulturelle Randverzierung, der hat ewiges Leben gewonnen und hat damit aufgehört, das Verlangen nach äußerem Reichtum zu pflegen.“

      „Nun, und ich sage Ihnen“, schrie jetzt Winkels, „Armut ist noch lange keine Tugend!“

      „Nein, die äußere Armut ist so wenig eine Tugend wie die innere. Es gibt nur einen Reichtum: Gott in Christus! Wer den hat, kann äußerlich arm oder reich sein; aber letzteres wird er schwer werden, wenn er von jedem Überfluss den Mangel anderer stillt.“

      „Nun“, versuchte Winkels, „Sie können heute auf Erden anfangen, was Sie wollen, es wird zum Geschäft! Und selbst wenn Jesus heute auf die Erde käme … sehen Sie, wenn er Einfluss gewinnen, sich durchsetzen wollte, müsste er Besitz haben.“

      „Und ich sage Ihnen, er könnte niemals mehr Einfluss ausüben, als er bereits im Einssein mit dem Vater ausgeübt hat, und niemals mehr siegen, als er bereits durch seinen Geist gesiegt hat, und niemals mehr besitzen, als er bereits seit Ewigkeit besitzt. Und er ist immer auf Erden! Und wer in ihm lebt, ist immer im Himmel! Wer aber in ihm frei und reich werden will, der muss sich selbst und diese Welt erst einmal um Christi willen verlieren, um diese Welt und sich selbst in Christus furchtlos unverlierbar zu besitzen. Jedes andere Leben und jeder andere Besitz ist Wahn und Angst und Schein. Man kann nicht Gott dienen und dem Mammon!“

      Der reiche Mann stand auf und wanderte lautlos über den Teppich. Das letzte Leuchten des Tages ging hinter ihm her und malte eben noch erkennbar seine gebeugte Gestalt. Müde blieb er stehen, und es schien, sein Haupt sinke immer noch tiefer. Aber auch Franz beugte sich allmählich in ein tiefes Schämen, als hätte er mit jedem Wort, das er gesprochen, gesündigt. Es wurde ganz still.

      „Ich bin nun so viel älter als sie und kenne doch das Leben“, begann der reiche Mann endlich wieder, aber seine Worte hoben sich jetzt so seltsam aus der Stille, so rein und unverhüllt, als entstiegen sie einem Bade – „und alles, was Sie da gesagt haben, habe ich einmal gewollt, glauben Sie es mir! Und ich wünsche es noch heute: mehr Himmel und mehr Liebe! – Aber das Leben hat mir die Hoffnung genommen. Ich habe keinen Glauben mehr, weder an solchen Himmel noch an diese Liebe! Sehen sie, ich hatte damals mein Geschäft begonnen mit dem Grundsatz, nicht mehr erwerben zu wollen, als mir für ein einfaches Leben für mich und die Meinen – denn damals hoffte ich noch auf Kinder – nötig schien. Aber man will sich auch nicht von der Brutalität der Welt besiegen und als ein Schwächling im Erwerbskampf vom Tische stoßen lassen. Man möchte doch nicht zurückbleiben und zu den Letzten gehören. Denn man weiß doch, die Träume von Licht und Reinheit bringen nichts ein. Also stellen Sie sich, wie Sie wollen: Sie müssen planen und erwerben! Es bleibt Ihnen einfach nichts anderes übrig! Aber nachher packt Sie die Freude am Erwerb. Sie greifen zu. Mit dem Erwerb steigern sich die Bedürfnisse, das ist wahr, und mit den Bedürfnissen die Sorgen um den Erwerb, das ist auch wahr. Und damit die Verpflichtungen zu weiterem, immer rücksichtsloserem Kampfe. Sie werden nüchtern, ganz nüchtern.

      Das heißt: Sie werden skrupellos und innerlich hart und rüde. Aber Ihr Ansehen in der Welt steigt, denn Sie haben es bereits zu etwas gebracht. Und Sie wollen sich doch nun auch weiter in der Welt sehen lassen. Also müssen Sie den errungenen Platz behaupten. Und Sie betrachten nun das ganze Leben vom Standpunkt eines tüchtigen Geschäftsmannes aus. – Zudem: Wir bekamen keine Kinder. Mir fehlte die Erwärmung durch die Liebe. Da wurde mir das Geschäft alles. Die Furcht vor Verarmung durch Verluste, vor Not im Alter nahm mir die letzte Sorglosigkeit, die letzte Freude. Da packt Sie der Kampf, nimmt Sie und trägt Sie fort in ein Dickicht, das keinen Ausweg hat. Da sitzt Ihre Seele drin, und es schlägt über ihr zusammen. Und dann sind Sie reich! Das heißt: Sie haben Geld, Häuser, Land, Luxus, Wohlleben, Ansehen. Und bezahlten dafür pünktlich mit der Gesundheit Ihres Leibes und Ihrer Seele. Und das Schlimmste ist, wenn sie dann einer vergangenen Sehnsucht Raum geben. Sie quälen sich mit der Unschuld der reinen, schlichten Himmelsdinge. Aber das ist alles! Die Fähigkeit, die Kraft zu einem reinen, schlichten Leben ist mittlerweile dahin. Sie wünschen ihn wieder, den Glauben an Reinheit und sch1ichtes Himmelsglück, aber Ihre ‚Nüchternheit‘ umbellt sie wie ein gemeiner Gassenhund: Es ist vergebens! – Ich muss hinaus! Ich muss planen, erwerben, gewinnen! Ich bin schon zu einsam, sehen Sie! Ich kann nicht mehr anders! Ich bin ein armer Mann! Das alles hier ringsumher, das lässt mich kalt! Das ist mir nichts! Das widert mich an! Ich bin einer von den armen Reichen! Ich kann wohl sagen: Je reicher ich geworden bin, desto ärmer bin ich geworden! Sehen Sie – das ist mein Leben!“

      Mit beiden Händen am Kopf wandte er sich dem nun völlig lichtlosen Fenster zu. Unheimlich lag die Dunkelheit im Zimmer wie ein schwarzes Tier. Als bewache sie lauernd und sprungbereit das Leben des reichen Mannes, den armen Schatten mit den verzweifelten Händen vor dem lichtlosen Fenster.

      Plötzlich wandte sich der reiche Winkels um und sagte: „Entschuldigen Sie, dass Sie mich so sahen! Das ist noch keinem zuteil geworden. Ich möchte jedoch nicht, dass die Leute davon erführen. Und nun machen Sie mir die Freude und bleiben Sie bei uns zum Abendessen! Es muss ja schrecklich spät geworden sein. Ich werde sofort Licht machen. Also Sie bleiben?“ Es war wieder ganz die alte, glatte, vorsichtig verbindliche Stimme.

      „Ich kann nicht!“ stieß Franz gegen den Schatten und vertrat ihm den Weg zum Licht. „Bitte, kein Licht! Ich sehe sehr gut! Ich muss gehen! Sofort! Aber ich komme wieder! Ich verspreche es Ihnen! Recht bald! Sobald ich kann!“

      Schaudernd entrang er sich einer heißen Hand, war aus dem Zimmer, griff nach seinem Hut, nach der Türklinke, stürzte hinaus nach dem Rade, suchte die Lampe zu entflammen; sein erregter Atem verlöschte das Streichholz, ein zweites brach unter der Hast seiner Hand, ein drittes brannte.

      Eine zeitlose Sekunde starrte er in die wachsende goldene Flamme der kleinen Öllampe wie in eine nun ganz beruhigende, himmelslichte Offenbarung.

      Plötzlich, schnell wie ein Fliehender, wie ein Geretteter löste er das Rad vom Zaune, öffnete hastig und doch leise, als könnte doch noch ein Ruf, ein Laut vom Hause her ihn bannen, das Tor und eilte hinaus auf die dunkle Landstraße. Genugsam zeigte das Licht den Weg; dem goldigen Strahlenspiel folgend, enteilte er dem leise geschlossenen Tor.

      Das Rad sauste, die kleine Laterne wippte, klirrte. Der Staub des Weges kam ins Licht und warf sich gegen die schützende Scheibe. Aber das Flämmchen brannte, leuchtete über alle Gefahren hinaus, ein sicheres Licht auf dem Wege. Und der Weg kam und legte sich dem goldenen Licht zu Füßen, wurde hell und nun selbst golden, Stück um Stück, inmitten der Finsternis. Und das Rad begann im klingenden Lauf zu singen, leise erst, bebend und verstohlen, dann immer vernehmbarer, deutlicher, bestimmter, entschlossener, endlich, als stürmte ein Siegesgesang; und als der verklungen war, blieb ein mildes, inniges Singen, als klänge ein Loblied, als sänge eine alte Weise. Und Franz sah den Weg und sah das Licht und verstand das Klingen und vernahm die Rede und wiederholte sie mit seinem Munde, leise erst und dann immer gewisser und unter Tränen immer jubelnder: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“

      Durch einen weiten Himmel fuhr er heim. –

      Hanna lag im Fenster und sah ihn kommen.

      Er nahm die Laterne vom Rade und stieg hinter ihrem goldigen Strahlenspiegel die Treppe hinauf. Denn obgleich die Treppe erleuchtet war, gab er doch das kleine Licht nicht preis.

      „Du hast alles!“ jubelte die Frau, als sie ihn so auf halber Treppe mit dem brennenden Lämpchen zu sich emporsteigen sah. „Es ist dir geglückt! Ich sehe es an deinem Gesicht, an deinen Augen! Du hast alles!“

      „Still!“ beruhigte er lächelnd seine Frau. „Ja, ich habe alles!“

      Glückselig eilte sie voraus und hinauf wie ein unbändiges