Die Giftmischerin. Bettina Szrama. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bettina Szrama
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические детективы
Год издания: 0
isbn: 9783839230183
Скачать книгу
für immer verlassen.«

      Versteckte Schadenfreude umspielte Gesches Mundwinkel. »Dann wäre ja der Weg für mich frei! Wie sehr wird es einen Witwer wohl entzücken, nach Jahren der Hölle nun in den Himmel aufzusteigen?«, antwortete sie belustigt.

      Die ungewohnte Wandlungsfähigkeit ihres Wesens, eben noch todtraurig und nun wieder heiter und fröhlich, bestätigten Christophs Vermutungen: Unter der schönen Oberfläche war Gesche klug und listig.

      »Bist du denn dem Herrn Gerhard Miltenberg schon einmal begegnet?« Aufmerksam versuchte er, die Antwort auf diese Frage mit ein wenig geschwisterlicher Eifersucht in ihren Augen zu lesen. Doch Gesche antwortete verschämt: »Was denkst du denn von mir, Bruderherz? Würde ein so reicher Mann wohl ausgerechnet mich, die unbedeutende Tochter eines einfachen Schneiders, je beachten, wo er doch jederzeit eine deutlich bessere Partie bekommen kann?«

      »Vielleicht hilft ja der Herrgott in dieser Sache ein wenig nach. Mir ist nämlich zu Ohren gekommen, dass der junge Herr Miltenberg beim Vater ein prachtvolles Damenkleid in Auftrag gegeben hat. Ein aufwendiges Seidenkleid mit einem tiefen Ausschnitt, edler Spitze und mit reichem Zierrat. Man munkelt, er habe dich auf dem Korporalsball heimlich be-obachtet.«

      »Du glaubst doch nicht etwa …?« Angesichts seiner Worte merkte Gesche, wie sie mit einem Mal feuerrot im Gesicht wurde.

      »… dass du den Miltenberg mit deinem Liebreiz tief beeindruckt hast. Jawohl, genau das glaube ich, mein Schwesterherz.«

      »Er hat sich mir noch gar nicht vorgestellt. Ist er denn ein hübscher Mann?«

      Gesche hörte ihr Herz bis zum Hals schlagen. Sehnsüchtig dachte sie zurück an die einzige rauschende Festlichkeit ihres Lebens, zu der sie den Vater erstmals begleiten durfte. Das Gelage hatte in einem öffentlichen Wirtshaus stattgefunden und ganze drei Tage gedauert.

      »Gesche! Vor allem ist er zunächst einmal der reichste Witwer unserer Straße. Und dass er sich dir nicht persönlich vorgestellt hat, lag an der strengen Aufsicht von Mutter und Vater. Außerdem hast du ja selbst alle Tänzer abgewiesen und nur mit der Marie getanzt.«

      Gesche nickte und dachte an ihren unbescholtenen Ruf, den sie unbedingt mit in eine für sie lohnenswerte Ehe nehmen wollte. Gleichzeitig aber träumte sie wachen Auges von rauschenden Empfängen, schönen Kleidern und wohlhabenden Freiern. Mitten in ihre Gedanken hinein fuhr plötzlich die jähe Erinnerung an einen schmerzlichen Verlust: eine schwärmerische Mädchenliebe, die seinerzeit ihren Anfang in ›Marks Plantage‹, einem Vergnügungshort der Vorstadt, nahm. Unter den vielen Herren, die ihr hier beim Lustwandeln bewundernde Blicke schenkten, war ihr damals ziemlich rasch ein besonders fescher Offizier aufgefallen. Viktor mit Namen. Marie, die treue Seele, holte rasch Erkundigungen über den Korporal ein, was ihn wiederum veranlasste, sich Gesche bald da-

      rauf mit einer artigen Unterhaltung zu nähern.

      Viktor hatte ihr ungemein gut gefallen. Groß, schneidig, mit zigeunerhaft dunklem Haar und von einer charmanten Beredtheit, die ihr bei jeder Begegnung das Blut in die Wangen trieb. Schnell begannen sich ihre Wege immer dann zu kreuzen, wenn sie sich auf dem Heimweg von der Freundin befand. Der schneidige Offizier war kein Freund großer Worte. Schon beim zweiten Zusammentreffen hakte er sich keck bei ihr unter und überschüttete sie geradezu mit Liebesbezeugungen. So war es nur allzu verständlich, dass die Sehnsucht, sich den Verführungskünsten des jungen Verehrers gänzlich hinzugeben, umso stärker in ihr wuchs, je öfter er von einer ehelichen Verbindung zu ihr sprach. Ihre keusche Seele flog ihm entgegen, und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass ihr Viktor neben seiner Schönheit und Galanterie auch über ein nennenswertes Vermögen verfüge, damit ihr Vater vielleicht doch noch die Verbindung mit einem Offizier zulasse. Als sie Marie davon erzählte und sie in ihrer Not um Rat bat, hätte sie sich deshalb um ein Haar mit der Freundin zerstritten. Denn Marie, die hinter Viktors eifrigem Werben nichts Gutes argwöhnte, begann heimlich, nähere Informationen über ihn einzuholen. Dabei förderte sie die Erkenntnis zutage, dass der leichtsinnige Herr Offizier so gut wie jedem hübschen Mädchen der Stadt nachstellte. Daraufhin musste Gesche der Freundin versprechen, Viktor niemals wiederzusehen. Doch das Gefühl, dem Geliebten mit einem neuen Mädchen im Arm in der Stadt zu begegnen, schmerzte noch lange Zeit danach.

      Christoph schloss leise das Fenster und überließ Gesche ihren Erinnerungen. Sein feiner Instinkt verriet ihm, dass nun der Augenblick gekommen war, die Schwester für immer zu verlassen. Sanft, mit Wehmut im Herzen, küsste er sie ein letztes Mal auf den Nacken. Dann zog er geräuschlos die Tür hinter sich zu.

      Etwa zur gleichen Stunde saß Stadtsyndikus Wolfgang von Post an seinem Schreibtisch und blätterte in den Akten, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und ein Sattlergeselle der Miltenbergs mit verschwitztem Gesicht und zerzausten Haaren im Rahmen stand. Ohne einen Gruß auf den Lippen rief er aufgeregt: »Herr von Post! Eilen Sie bitte. Sie müssen das Schlimmste verhindern. Der alte Herr Miltenberg will seinen Sohn töten!«

      Da Wolfgang von Post solche täglichen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Miltenbergs kannte und es seit dem Tod der Ehefrau des jüngeren sowieso recht turbulent im Haus des Freundes zuging, ordnete er zunächst Schreibkiel und Akten, bevor er in die graue Robe schlüpfte, den Zylinder auf das gepuderte Haar stülpte, um dann mit einem schwarzen Lederkoffer in der Hand dem Gesellen zu folgen.

      Angelangt im Miltenberg’schen Hause, nahm er mit drei Sätzen die Stufen zur Freitreppe, als ihn von oben ohrenbetäubendes Geschrei empfing. Rasch riss er die Tür zum Wohnzimmer auf und erfasste mit einem einzigen Blick die Situation vor sich. In dem prunkvoll ausgestatteten Herrenzimmer, auf dem Perserteppich, der mit seinem dichten Flor jedes Geräusch schluckte, standen sich die zwei Kampfhähne mit hochroten Gesichtern gegenüber. Der Jüngere, in einem dunkelblauen, zweireihig geknöpften Anzug, zerschlissenem Ärmel und einer blutbespritzten Hose, hielt sich den Älteren mit dem Degen vom Leib, wobei er aufgebracht schrie: »Ich werde dich töten, Vater. Jetzt, auf der Stelle. Dann hat das Leid endlich ein Ende!«

      Der alte Miltenberg, eingeschnürt in eine auffällig gelbgrün gestreifte Weste, in langer heller Hose und Schuhen, dessen Gamaschen Blutstropfen zierten, wehrte sich mit einem eisernen Feuerhaken. Um seine Füße wickelte sich ein verschmutzter ärmelloser Mantel.

      Von Post sah, dass er stolperte und unweigerlich in die Degenspitze fallen musste. Mit den Worten: »Aber meine Herren, das kann man doch anders regeln«, warf er sich flugs zwischen die Streitenden. Während er den jungen Miltenberg an den Schultern zurückhielt, überschrie der Alte den Sohn: »Versuche nur weiter, die Hand gegen deinen Vater zu erheben! Ich habe längst beschlossen, Haus und Habe zu verkaufen und dir nicht mehr als fünf Taler zu vermachen. Du Hurenbock!«

      Der Stadtsyndikus gab dem Gesellen ein Zeichen, der da-raufhin am alten Miltenberg Hand anlegte, bis dessen Jähzorn etwas verraucht war. Von Post vermutete, dass die beiden Miltenbergs vor Kurzem noch außer Haus gewesen waren. Der Sohn, sicher gerade aus irgendeinem dieser anrüchigen Frauenhäuser gekommen, war wahrscheinlich in dem Moment auf den Vater getroffen, als der wieder versucht hatte, den drohenden Vermögensverfall zu retten. Danach war der alte Miltenberg auf den Sohn nie gut zu sprechen.

      »Meine Herren, ich beschwöre Sie, es gibt nichts auf der Welt, was ein Verbrechen wie dieses rechtfertigen würde. Denken Sie nur an die Bibel, an Kain und Abel. Oder wollen Sie Ihr Leben für alle Ewigkeiten im Zuchthaus verbringen?«

      Heinrich Miltenberg keuchte noch einen Moment und schleuderte dann seinem Sohn einen wütenden Blick zu. Dann hob er den verschmutzten Mantel vom Boden auf und begab sich steifbeinig zu seinem Sekretär, einem Glanzstück von Rieseners französischer Schreinerarbeit. Noch immer sichtlich erregt, entnahm er mit zitternden Fingern einer der Schubladen mehrere verschiedene Schuldscheine und warf sie mit einer wütenden Handbewegung auf den Tisch.

      »Hier, mein Sohn, alles neue Schuldverschreibungen«, sagte er mit seltsam ruhiger Stimme. »Das Kasino, die Komödie, falsche Spekulationen. Ganz zu schweigen von deinen sinnlichen Begierden. Hierfür hast du kürzlich sogar einen unserer vier Höfe verwettet. Und was uns in den Ruin treibt, Herr von Post«, wandte er sich an den Advokaten, »dieses vermaledeite alte Weib erdreistet sich und verlangt für die missratene …«, hier bekreuzigte