Sand und Asche. Peter Gerdes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Gerdes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839264669
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      Daddy hatte so geheimnisvoll geguckt, als er ihr den Termin verraten hatte. Vorgestern erst: »Lampenfieber muss kurz und heftig sein.« Jubelnd war sie ihm um den Hals gefallen, hatte einen Freudentanz um ihn herum aufgeführt und weitere Details aus ihm herauszuquetschen versucht. Aber Daddy war diesmal hart geblieben, hatte nur den Kopf geschüttelt und gelächelt: »Musst du alles noch gar nicht wissen. Erfährst du alles noch früh genug.« Und dabei war es geblieben. Alles geschah immer so, wie Daddy es wollte.

      Nur einen Zusatz hatte er noch gemacht: »Sieh zu, dass du deine Kleidergröße bis dahin hältst. Nicht noch dünner werden, hörst du, Engel?«

      Was Daddy nur immer redete! So clever wie er war, von einigen Dingen hatte er absolut keine Ahnung.

      Offenbar auch nicht davon, was eine richtige Modenschau war. Sonst hätte er ihr bestimmt nicht zugemutet, ihr Debüt ausgerechnet in einer Turnhalle zu geben! Sich in einer miefigen Umkleide zu stylen und auf ihren Auftritt vorzubereiten! Was für eine Demütigung. Das würde sie ihm nie vergessen. Natürlich hatte er recht damit, dass es in ihrer kleinen Heimatstadt Leer keine wirklich passende Location gab. Das sogenannte Theater, in Wahrheit nur eine größere Aula mit dem Charme der 60er Jahre, eignete sich nicht. Alle anderen Säle waren zu klein oder falsch geschnitten. Und als Daddy ihr mit der Viehhalle gekommen war – »Den Geruch kriegen wir schon raus, und da gibt es gut zweitausend Sitzplätze!« –, hatte sie sich nur noch die Ohren zugehalten. Fleischbeschau in der Viehhalle! Am Ende gab es dort auch noch Brandzeichen.

      Trotzdem, viel besser war eine Sporthalle auch nicht. Obwohl es die größte weit und breit war. Zudem die einzige mit Hochtribüne.

      »Wird’s bald?«

      Stephanie wirbelte herum, einen saftigen Fluch auf den Lippen. Fast wäre sie dabei umgeknickt. Um ihr Gleichgewicht kämpfend, stieß sie sich ihre linke Hand an einem eisernen Kleiderhaken. Mit Mühe unterdrückte sie einen Schmerzensschrei. Teiggesicht kam mit einem bösen Blick davon.

      »Also dann, los jetzt.«

      Sie stöckelte schlingernd um ein paar Holzbänke herum, zwischen mobilen Kleiderständern hindurch, an improvisierten Schminktischen vorbei. Zugegeben, der Aufwand, der hier getrieben wurde, war ziemlich groß. Die Deko alleine musste Zigtausende gekostet haben. Und den Namen des Modeschöpfers, dessen Kreationen hier präsentiert wurden, hatte sie auch schon einmal gehört. So gesehen, konnte sie Daddy vielleicht doch keinen Vorwurf machen. Mühe gegeben hatte er sich, auch seine Beziehungen spielen lassen. Vom Geld ganz zu schweigen. Daddys Geld war wie ein Universalschlüssel, und er scheute sich nicht, diesen Schlüssel zu benutzen.

      Was aber alles nichts daran änderte, dass dies hier eine Turnhalle war. Wenn auch eine große. Es war doch ein neuer Festsaal in Leer geplant, warum war der denn noch nicht fertig? Stephanie stampfte mit dem Fuß auf. Fast wäre sie dabei lang hingeschlagen, aber zum Glück war ein Türrahmen in Reichweite.

      In dem Gang von den Umkleidekabinen zur Halle herrschte hektisches Getriebe. Andere Mädchen und junge Frauen in teils abenteuerlich anmutenden Roben eilten hierhin und dorthin, einige stöckelnd und stolpernd, andere barfuß, hochhackige Folterinstrumente in der Hand. Rufe übertönten die Musik, die aus der Halle drang. Applaus rauschte herüber, an- und abschwellend wie Brandungswogen. Plötzlich spürte Stephanie ihren Herzschlag bis in die Mundschleimhäute hinein. Turnhalle oder nicht, es war so weit. Ihr erster Auftritt als Model stand unmittelbar bevor.

      Jemand packte sie von hinten am Arm, riss sie halb herum. Die kleine, faltige Frau mit dem Maßband um den Hals und dem Nadelkissen am Handgelenk. »Kind, so kannst du doch nicht hinaus. Los, Füße zusammen! Steh gerade!«

      Stephanie spürte, wie sich die Frau hinten an dem Kleid zu schaffen machte, das sie trug, einer Orgie aus blauer Seide und Flitter, schulterfrei und eng anliegend wie ein Schlauch. Größe 34 natürlich. Sie war hineingeschlüpft, ohne einen Gedanken an die Passform zu verschwenden. Größe 34 passte ihr immer, sofern die Länge stimmte.

      Die Frau zupfte und zerrte, raffte mit geschickten Fingern Stoff zu verdeckten Falten zusammen, steckte Nadeln so präzise, dass Stephanie das kalte Metall fühlte, ohne gestochen zu werden. Die Seide schmiegte sich an wie eine zweite Haut, formte den Schwung von Taille und Hüfte nach.

      »So, jetzt ist es nicht mehr zu weit. Aber bleib gerade!« Die Schneiderin gab ihr einen Klaps auf den Po, als gelte es, ein Zirkuspferd in die Manege zu schicken. »Viel Glück. Los!«

      Zu weit? Größe 34 zu weit?

      Jemand riss eine große Tür auf, und sie trat hindurch, plötzlich ganz sicher auf den Füßen, präzise und doch elegant, wie sie es gelernt hatte. Adrenalin war eben doch ein Teufelszeug.

      Sie durchquerte einen dämmerigen Vorraum, der durch schwarze Tuchbahnen von der übrigen Halle abgetrennt war, erklomm eine kleine Treppe, umrundete die versetzt aufgehängten Hälften eines schweren Vorhangs. Gleißende Helligkeit und tosender Beifall empfingen sie. Ja. Das, genau das war der Moment.

      Sehen konnte sie nicht viel; das Scheinwerferlicht errichtete Mauern aus tiefer Schwärze rund um den grell erleuchteten Catwalk. Nur die ersten Reihen kleiner, runder Tische direkt unterhalb des Laufstegs waren schemenhaft zu erkennen, aber sie spürte, dass die ganze große Halle voller Menschen war. Hinter den Tischchen für die VIPs mussten Stuhlreihen dicht an dicht stehen, das hörte sie an der Intensität des Applauses, der ihr entgegenbrandete. Auch von oben. Richtig, die hoch gelegene Seitentribüne. Hatte sie in dieser Halle nicht früher einmal Handball gespielt? Das musste in einem anderen Leben gewesen sein.

      Haltung. Arme. Schritte. Lächeln. Kopf wenden. Alles kam automatisch. Vergessen alle Unsicherheit, das Schlingern und Straucheln. Dies war der Laufsteg, und sie mitten darauf. Sie hörte ihren Namen aus den Lautsprechern, hörte die Vorstellung des Kleides, das sie trug, ohne auf den Wortlaut zu achten. Sie war ganz Körper, Bewegung, Anmut, Ausstrahlung. Erneut wurde der Beifall stärker. Ringsherum flammten Blitzlichter auf, und sie badete darin, fühlte ihren Körper in diesen Strahlen noch elastischer, noch biegsamer werden. An die Turnhalle dachte sie nicht mehr. Das hier, das war es, was Daddy für sie gewollt hatte. Und was sie selbst wollte. Jetzt war sie sich sicher.

      Und da war Daddy! Er saß ganz weit vorn, an einem der runden Tischchen, die vom Rampenlicht des Laufstegs noch gestreift wurden. Er strahlte und winkte ihr zu. Was sollte das sein, ein Test? Natürlich winkte sie nicht zurück. Sie war doch kein kleines Mädchen auf einer Schulbühne. Sie war jetzt ein professionelles Model.

      Drehung, jetzt verharren, Arme ausschwingend, Beine leicht gespreizt. Lächeln nicht vergessen. Dann weiter, bis zum Ende des Catwalks. Wieder eine Drehung, langsamer diesmal, kurz verharren, Kopf herumschwenken. Das Lächeln kam jetzt schon automatisch. Erneutes Blitzlichtgewitter. Einzelne Rufe durchdrangen den Beifall. Sie klangen begeistert. Es durchrieselt sie heiß. Davon hatte sie geträumt.

      Zurück. Und die dritte Drehung auf halber Strecke nicht vergessen.

      Da war Daddy wieder. Er war aufgestanden, hantierte mit irgendetwas Glänzendem herum. Wollte wohl ein Foto machen. Waren hier denn nicht schon genügend Fotografen an der Arbeit? Aber so war Daddy eben. Wenn du willst, dass etwas ordentlich gemacht wird, dann mach es selbst.

      Jetzt rutschte ihm der Fotoapparat weg. Er bückte sich, erwischte das Ding gerade noch, ehe es aufs Hallenparkett knallte. Von wegen alles selber machen! Manchmal …

      Plötzlich schwankte sie. O Gott, die High Heels, schoss es ihr durch den Kopf. Aber die Schuhe waren es nicht. Hatte jemand sie geschubst? Ihr war, als hätte sie einen Schlag gegen ihren Oberkörper gespürt. Aber hier oben auf dem Laufsteg war doch niemand außer ihr.

      Brennend heiß wurde es jetzt, als hätte ihr jemand glühende Eisenstangen zwischen die Rippen und in den Oberarm gerammt. Dort begann es feucht zu werden.

      Ihr Körper vollendete die eingeleitete Drehung ohne ihr Zutun. Der Rand des Laufstegs näherte sich, passierte ihr Gesichtsfeld, entfernte sich wieder. Eins der runden Tischchen fiel krachend um, und sie begriff nicht, warum sie plötzlich darunter lag. Roter Wein aus berstenden Gläsern und Karaffen durchnässte sie. Köpfe mit runden, stummen Mündern drängten sich vor