Peter Gerdes
Sand und Asche
Langeoogkrimi
Zum Autor
Peter Gerdes, geb. 1955, lebt in Leer (Ostfriesland). Studierte Germanistik und Anglistik, arbeitete als Journalist und Lehrer. Schreibt seit 1995 Krimis und betätigt sich als Herausgeber. Seit 1999 Leiter des Festivals »Ostfriesische Krimitage«. Die Krimis »Der Etappenmörder«, »Fürchte die Dunkelheit« und »Der siebte Schlüssel« wurden für den Literaturpreis »Das neue Buch« nominiert. Gerdes betreibt mit seiner Frau Heike das »Tatort Taraxacum« (Krimi-Buchhandlung, Veranstaltungen, Café und Weinstube) in Leer.
Impressum
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2020 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2020
(Originalausgabe erschienen 2010 im Leda-Verlag)
Herstellung: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: Katrin Lahmer
unter Verwendung eines Fotos von: © chrisaram2 / pixabay.com
ISBN 978-3-8392-6466-9
Widmung
Für J. K.
1.
Sie spürte es brennen. Sie spürte sich brennen. Endlich.
Feuer. Verzehrendes Feuer, reinigendes Feuer. Sie seufzte erwartungsvoll bei dem Gedanken, dass dieses Feuer alles verbrennen würde, was nicht wirklich zu ihr gehörte. All das, was nur an ihr hing wie kiloschwere Kletten, das an ihrem Selbstbewusstsein saugte wie eklige Egel, das um sie herumwallte wie Fett gewordene Häme. Das gute, das herrliche Feuer würde ihr wahres Ich aus diesem widerlichen Kokon herausschälen. Herausbrennen. Herrlich. Endlich.
O loderndes Feuer. O göttliche Macht.
Wo kam das jetzt auf einmal her? Sie grinste. Kaiser Nero in Quo vadis, diesem schwülstigen Hollywoodschinken, den sie sich in der Schule hatte anschauen müssen. Peter Ustinov als fette Witzfigur. Nero, der Rom verbrennen ließ, der das verkommene Alte beseitigte, um Platz für das herrliche Neue zu schaffen. Die Römer hatten ihn erst vergöttert, dann gefürchtet, schließlich hatten sie ihn für verrückt erklärt.
Was wussten denn die!
Sie betrachtete sich im Spiegel. Ihr ganzes Zimmer hing voller Spiegel, zwei davon reichten bis zum Boden. Keiner davon war fest montiert, denn die anderen durften sie nicht sehen. Wenn sie richtig stand, konnte sie ihren Körper von allen Seiten zugleich betrachten. Nackt, ungeschönt, schonungslos. Aufgelöst in Facetten, in Fragmente zersplittert, in Stücke gebrochen. In Teile, die so viel mehr waren als das Ganze.
Ihren Körper so zu betrachten, war eine furchtbare Qual, der sie sich trotzdem immer wieder aussetzte. Weil das nötig war. Weil sie es einfach tun musste. Weil sie sich immer wieder darin bestärken wollte, unbarmherzig zu sein gegenüber ihrer eigenen Unvollkommenheit. Das Unerträgliche musste immer aufs Neue ertragen werden, damit man es nicht ewig ertragen musste.
Natürlich kannte sie ihre Schwachstellen gut. Die schwabbeligen Hüften, den fetten Po, diese viel zu dicken Oberschenkel, diese monströsen Titten. Niemandem sonst war dieser Anblick zuzumuten. Deshalb trug sie auch immer Kleidung, die diese Katastrophe kaschierte, so gut es eben ging. Weite, fließende, locker fallende Klamotten, die nichts zeigten, nichts betonten oder hervorhoben, sondern alles verhüllten, was zu verhüllen war.
Sie wusste selbstverständlich genau, dass das nicht wirklich funktionierte. Dass alle anderen Menschen sie trotzdem als das wahrnahmen, was sie war: ein fetter, klopsiger Trampel, ein Monstrum, das es eigentlich nicht verdient hatte, in der Gegenwart anderer, wirklicher Menschen geduldet zu werden. Jeder sah das, jeder wusste das. Aber man schien ihren Versuch, die Belästigung der Umgebung durch ihre widerwärtige Erscheinung so gut es ging zu mindern, doch anzuerkennen. Jedenfalls insoweit, als niemand mit dem Finger auf sie zeigte, dass sie nicht öffentlich verlacht, geschmäht und davongejagt wurde. Man benahm sich ihr gegenüber rücksichtsvoll. Aber die vielen versteckten Blicke, die sie registrierte, ohne dass jemand das bemerkte, zeigten ihr doch immer wieder, was Sache war. Rücksicht war eben nur eine milde Form der Verachtung.
Und sie selbst hatte für sich, für ihren Körper, nicht einmal Rücksicht übrig.
Sie stöhnte. Das Feuer in ihr brannte heiß, so heiß, dass sie keuchen musste, um ihm genügend Atemluft zuzuführen. Sauerstoff, den es brauchte, um sein gnädiges Zerstörungswerk gründlich zu verrichten.
Heiß brannte es, aber nicht heiß genug. Sie kannte die Vorschriften, aber diejenigen, die diese Vorschriften verfasst hatten, kannten ganz bestimmt nicht sie. Konnten nicht wissen, welch herkulische Aufgabe es hier zu verrichten und zu vollenden galt. Also weg mit den Vorschriften. Das Feuer musste heißer brennen, musste immer wieder aufs Neue angefacht und genährt werden. Nachschub an Brandbeschleunigern sollte ja ohnehin heute noch kommen. Wozu also sparen?
O loderndes Feuer. O göttliche Macht.
Sie griff nach den Tabletten.
2.
»Mehr Drama, Baby!«
Der Kerl grinste so breit, dass es Stephanie die Sprache verschlug. Was bildete sich dieser Provinzkasper denn bloß ein? Hielt er sich etwa für eine bleichgesichtige Ausgabe von Model-Coach Bruce Darnell? Von wegen. Eine Lachnummer! Eine Billigkopie! Bestimmt war er noch nicht einmal schwul.
Sie drehte ihm den Rücken zu.
Aber eigentlich passte dieser affektierte Stenz ganz gut zu dieser ganzen Veranstaltung, dachte Stephanie, während sie krampfhaft versuchte, in den schmalen, etwas zu groß ausgefallenen High-Heels, aus denen ihre Füße bei jeder unbedachten Bewegung herauszuschlüpfen drohten, einen vernünftigen Performance-Schritt hinzubekommen. Scharf hingestochen und doch elegant, selbstbewusst und doch fraulich. So hatte sie es gelernt. Die Kurse waren teuer genug gewesen. Daddy sollte sein Geld nicht umsonst ausgegeben haben.
Selbstbewusst und doch fraulich. Als ob das ein Gegensatz wäre!
»Steffi, bist du endlich so weit? Du musst da raus!«
Wieder dieser teiggesichtige Conférencier, dieser Mode-Maestro von eigenen Gnaden. Dabei hing doch auch er an Daddys Kohle-Tropf. Verdammt, wenn sie das alles vorher gewusst hätte! Aber jetzt war es zu spät, jetzt musste sie da durch. Und das hieß erst einmal: