Delmas hingegen läuft weiter in der Sonne, in den letzten Reihen der Führungsgruppe mit Guerlaches Verwandten, Kollegen, Freunden, Nachbarn. Abseits des Totengeläuts und unter dem Einfluss der Hitze kommt die Unterhaltung in Gang. Ein gutaussehender Dreißiger erwähnt, dass er sich am Samstag im Moment des Mordes im 72er befand. Erfolg garantiert. Er lässt sich ein wenig bitten, dann erzählt er.
»Ein Algerier stieg ein, er wechselte ein paar Worte mit dem Fahrer, ich saß nicht weit weg, ich konnte es gut hören, nichts Ernstes, irgendwas wegen eines nicht entwerteten Fahrscheins. Und dann ist er hinter ihn getreten und hat ihm mit einer einzigen Bewegung die Kehle durchgeschnitten. Einfach so. Das Blut spritzt, Guerlache bricht zusammen, alle sind fassungslos, der Bus fährt von allein weiter, können Sie sich das vorstellen?« Die Zuhörer erschauern. »Der Algerier stürzt zu den Fahrgästen, er rempelt mich um, als würde er mich gar nicht sehen, er fuchtelt mit dem bluttriefenden Messer herum, und ich stoße gegen die Leiche von Guerlache, rutsche in der Blutlache aus und falle hin, ich glaube, der Algerier hat Fahrgäste verletzt, ich schaffe es nicht, wieder aufzustehen, der Bus prallt gegen den Mittelstreifen, ein ordentlicher Schlag, die Türen gehen einen Spalt auf, der Bus bekommt Schlagseite, die Leute fallen übereinander. Alle schreien und drängeln, um als Erste nach draußen zu kommen, aber die Türen klemmen, überall ist Blut, die Leute waten darin. Ein ehemaliger Boxer, der an der Unfallstelle vorbeikam …« Er unterbricht sich, betrachtet sein Publikum, selbstzufrieden. »Gratien Lamperti, vielleicht kennen Sie ihn?«
Keine Antwort. Delmas denkt: Er betet auswendig die Zeitungsartikel nach, und es funktioniert.
Der Redner fährt fort. »Er brüllte: ›Lassen Sie mich durch!‹ Er kam irgendwie in den Bus rein, er hatte eine Handkurbel dabei, damit hat er den Algerier bewusstlos geschlagen. Danach, muss ich zugeben, haben wir uns ein bisschen an ihm abreagiert. Und ich war nicht der Letzte, der ihm ein paar Fußtritte verpasst hat. Dann kam die Polizei und hat ihm das Leben gerettet.«
»Schade!«, schreit eine Frau, die sich unter die Männer verirrt hat.
»Es wäre einfacher gewesen, ihn an Ort und Stelle zu erledigen«, ergänzt ein Mann.
»Er hat aber doch einiges abgekriegt. Er liegt immer noch im Koma im Krankenhaus.«
Ende des Berichts. Nach fünf bis zehn Minuten schweigenden Marschierens erklärt jemand im ruhigen Ton einer Tatsachenfeststellung: »Heutzutage gibt es in Frankreich mehr Algerier, als es in Algerien jemals Franzosen gegeben hat. Ich finde, es sind zu viele, die Toleranzgrenze ist überschritten.«
Nachdem das Offensichtliche ausgesprochen ist, fühlt sich jeder berufen, seine Meinung zu äußern. »Die haben uns aus Algerien rausgeschmissen, also müssen jetzt wir sie rausschmeißen. Ist doch normal.« – »Ja, aber man wird ein bisschen nachhelfen müssen, von selber gehen die nicht.« Manche meinen, eine Lösung zu haben: »Wenn man ein paar von ihnen umbringt, kriegen die anderen Angst und hauen ab.« – »Die haben nicht gezögert, es drüben so zu machen. Und es hat geklappt, wir sind gegangen. Warum sollen wir es hier nicht genauso machen.« – »Das ist unsere Art, unser Land gegen die Invasion zu verteidigen, wenn ihr mich fragt, ist das ganz einfach Patriotismus.« Ein Mann in den Fünfzigern knüpft an: »Patriotismus … Erinnert ihr euch an diesen einen Morgen, dieses Plakat überall in den Straßen von Algier? An allen Mauern. Eine riesige blau-weiß-rote Flagge, zwei bewaffnete Pieds-Noirs, mit Gewehren, wenn ich mich recht erinnere, schön wie junge Götter, und ein Slogan: ›Zu den Waffen, Bürger!‹« Unter den Zuhörern haben einige Tränen in den Augen. Der Nachbar des Fünfzigers hält dies für einen günstigen Moment, er holt einen Stapel Flugblätter aus seiner Tasche: »Lest das.« Die Flugblätter machen die Runde. Delmas, der sein Möglichstes tut, um mit der Landschaft zu verschmelzen, nimmt sich eins. In der Überschrift: »Genug!« Darunter ein einziger Satz in Großbuchstaben: »Marseille hat Angst, Marseille nimmt den von der nordafrikanischen Unterwelt aufgezwungenen Terror nicht länger hin.« Gezeichnet: »Verteidigungskomitee der Bürger von Marseille«. Kurz, schlicht, im aktuellen Kontext ganz schön wirkmächtig – und beunruhigend. Daraufhin ergreift wieder der gutaussehende Dreißiger das Wort und sagt lachend: »Also, wer ist mit von der Partie, wenn wir sie ins Meer werfen?« Stille, dann wenden sich die Gespräche belanglosen Dingen zu. Delmas spürt Angst und Erschöpfung in sich aufsteigen.
Grimbert hat etwas abseits eine kleine Anhöhe gefunden, die ihm einen guten Blick auf den Friedhofseingang gewährt. Er muss nicht lange warten. Ein paar Verkehrsbeschäftigte sind schon da, sie lassen das Tor öffnen und stellen sich auf, um den Zugang zu kontrollieren. Der Trauerzug trifft wohlgeordnet ein. Der Leichenwagen und die Limousinen passieren das Tor, zu Fuß gefolgt von den Kollegen, den Nachbarn, den Freunden. Diskret zieht sich Delmas aus der Spitzengruppe zurück, ebenso wie die Mehrheit der Funktionäre und Behördenvertreter, deren Wagen mit Fahrer ein paar Dutzend Meter entfernt auf sie warten. Das Tor schließt sich, und die eintreffende Menge zerstreut sich langsam, wie widerstrebend.
Grimbert sieht Delmas, der sich da und dort herumtreibt. Gewissenhaft, dieser Bursche, oder vielleicht auch ein wenig verloren … Er hält Ausschau nach der Gruppe mit Beamten der Police Urbaine. Was ist am Ende der Wegstrecke aus ihnen geworden? Der Dicke Marcel, etwas abseits, ernste Miene, spricht in trauter Zweisamkeit mit Pereira. Sieh an … Der Rest ist mit den Reihen des Verteidigungskomitees verschmolzen, dieser kleinen Auffanggesellschaft für mittlere Führungskräfte und Sympathisanten der OAS, nicht sehr klug, werte Kollegen … Alle unterhalten sich angeregt. Grimbert hört sogar Gelächter, schnell unterdrückt. Haben sie unterwegs einen gehoben? Dann lösen sich etwa zwanzig besonders gesprächige Männer aus der Gruppe. In ihrer Mitte Brigadier Picon und mehrere Polizisten vom Kommissariat des 15. Arrondissements, deren Personalbögen und Fotos er im Laufe seiner Recherchen hat vorüberziehen sehen. Sie streben zu einem abseits gelegenen Parkplatz. Grimbert folgt ihnen vorsichtig, beobachtet, wie sie sich abstimmen, Rippenpüffe und Rückenklopfer, dann zwängen sie sich in mehrere Wagen, die durchstarten, dass der Kies spritzt. Zu weit weg, um die Kennzeichen zu notieren. Fahren sie sich besaufen? Vielleicht. Der Klassiker nach einer Beerdigung. Grund zur Besorgnis?
Vor dem Friedhof hat sich der Trauerzug inzwischen ohne weitere Vorkommnisse vollständig aufgelöst.
Delmas und Grimbert treffen am Friedhofseingang wieder zusammen.
»Na, war dein Spaziergang erfolgreich?«
»Schwer verdaulich. Keine Lust, hier und jetzt darüber zu reden. Gib mir etwas Zeit.«
»Keine öffentlichen Verkehrsmittel, Vierundzwanzig-Stunden-Streik zu Ehren von Guerlache. Komm mit.«
Die beiden Bullen kapern Plätze in einem der Busse, die die Marseiller Verkehrsbetriebe bereitgestellt haben, um ihre Angestellten ins Zentrum zurückzubringen, und sitzen eine Stunde später an einem Tisch auf der Terrasse der Bar-Tabac gleich beim Évêché, seinem inoffiziellen Anbau. Delmas erholt sich bei einem kühlen Bier, Grimbert hält die Apéro-Stunde für gekommen, gesteht sich das Recht auf einen Gelben zu und wartet geduldig, dass Delmas sich zu reden entschließt, was er tut, als er sein Bier ausgetrunken hat.
»Gut, mein Auftrag bestand darin, die Gruppe um den kleinen Dicken zu belauschen.«
»Pereira, ja.«
Delmas gibt kurz die Gesprächsfetzen wieder, die er aufschnappen konnte, nachdem der Trauerzug sich in Bewegung gesetzt hat. Und bittet um die eine oder andere Aufklärung.
»Der Chefredakteur vom Méridional, Domenech, wo muss ich den in etwa einordnen?«
»In unmittelbarer Nähe der Veteranen der OAS, also direkt bei Pereira.«
»Und