Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806242683
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ich wieder die Tribüne bestieg, wurde ich von Pfuirufen begrüßt. Ich kehrte der Versammlung den Rücken, zog die Spenersche Zeitung aus der Rocktasche und las ruhig, bis der Lärm aufhörte.

      „Dann sagte ich trocken: Ich kann allerdings nicht in Abrede stellen, im Jahre 1813 noch nicht gelebt zu haben. Ich habe immer aufrichtig bedauert, daß mir nicht vergönnt gewesen ist, an der damaligen Bewegung teilzunehmen; mein Bedauern ist aber vermindert worden durch die heute erhaltene nicht sehr dankenswerte Belehrung.

      „Als ich die Tribüne verließ, erneutes Toben.

      „Bald nachher äußerte zu mir beim Essen ein älterer Verwandter: ‚Du hattest ja ganz recht; aber so etwas sagt man doch nicht‘. Ich erwiderte: wenn du meiner Meinung warst, hättest du mir beistehen sollen. Nur dein eisernes Kreuz hindert mich, dir einen verletzenden Vorwurf zu machen.

      Bismarck fügte hinzu:

      „Mut auf dem Schlachtfelde ist bei uns Gemeingut; aber Sie werden nicht selten finden, daß es ganz achtbaren Leuten an Civilcourage fehlt.

      „Dieses erste Erlebnis auf parlamentarischem Boden steigerte meine natürliche Kampflust wie meinen Haß gegen die landläufigen hohlen Phrasen.“

      Die vorstehende, nach einer im Sommer 1864 gehörten Erzählung geschriebene Darstellung der Vorgänge vom 17. Mai 1847 stimmt mit dem stenographischen Sitzungsbericht im Wesentlichen überein; die kurze Erwähnung derselben in den fast dreißig Jahre später diktierten „Gedanken und Erinnerungen“ (I, S. 18) lautet etwas abweichend.

      Nach Uebernahme des Ministerpräsidiums war Bismarck inmitten einer überwältigenden Masse täglich herantretender Geschäfte fast ununterbrochen thätig in schöpferischem Erfinden und Gestalten künftiger Bildungen; auf Einzelheiten der Vergangenheit zu ruhen, lag dem immer vorwärtsdrängenden Geiste fern. So erkläre ich mir, daß trotz seines vielfach als ungewöhnlich stark bewährten Gedächtnisses bald nach 1866 in seinen Vorstellungen von vergangenen Dingen mitunter Lücken wahrzunehmen waren, deren er sich nicht bewußt zu werden schien, weil eine rastlose Phantasie ihm jederzeit Bilder zur Verfügung stellte, welche in die Lücken paßten. Einmal, im Herbst 1868, klagte er selbst über Nachlassen seines Gedächtnisses. Er hatte zufällig in Varzin viele an ihn gerichtete Briefe eines Engländers aufgefunden, dessen er sich in keiner Weise erinnern konnte.

      Ueber die Vorgänge des 17. Mai 1847 äußerte sich nach Blanckenburgs Zeugnis dessen Gutsnachbar, der damals als politischer Schriftsteller bekannte Herr von Bülow-Kummerow, in folgenden Worten:

      „Ich habe den Bismarck doch für einen gescheiten Menschen gehalten; ich begreife nicht, wie er sich so blamieren konnte!“ Blanckenburg erwiderte: „Ich finde, daß er recht hatte, und freue mich, daß er Blut geleckt hat. Sie werden nun den Löwen bald noch ganz anders brüllen hören.“

      Wirklich zeigte sich Bismarck schon in den nächsten Wochen als ein bedeutender Redner und als ein ernster Staatsmann, welcher seine der Majorität antipathischen Ueberzeugungen umsichtig vertrat.

      Der Vereinigte Landtag lehnte die ihm zugemutete Genehmigung einer Anleihe für die Ostbahn ab, weil ihm weder Einsicht in die gesamte Finanzlage gewährt noch Periodicität seiner Sitzungen zugesagt worden war. Bismarck führte neben dem Freiherrn Otto Manteuffel die Minorität, welche die Anleihe bewilligen wollte. Er vertrat zwar in keiner Weise die Ansicht vieler Märker und Pommern, daß Reichsstände ein Unglück für das Land sein würden, aber er wollte die Krone nicht drängen. In England, sagte er, sei 1688, in Frankreich 1815 das Volk in der Lage gewesen, die Krone zu verschenken und an dieses Geschenk Bedingungen zu knüpfen; in Preußen aber sei die Machtfülle des Monarchen seit Jahrhunderten unbeschränkt gewesen; und wenn die Krone manche politische Rechte zum Wohle des Landes freiwillig abgetreten habe, so dürfe man vertrauen, daß sie darin auch weiter gehen werde. …

      Ueber die Beschaffenheit unseres Rechtsbodens gingen die Ansichten weit auseinander; man möge aber die Blume des Vertrauens nicht ausreißen und wegwerfen wie ein Unkraut, welches den Rechtsboden verdecke.

      Ich darf erwähnen, daß ich, in ostpreußischen Anschauungen aufgewachsen, die mehrfach verheißene reichsständische Verfassung für eine gesunde Entwickelung unseres politischen Lebens ersehnte und daher Bismarcks Stellungnahme, bei aller Bewunderung seines Talents, tief bedauerte. Sein Anschluß an die Majorität würde – so schien es mir – deren Drängen unwiderstehlich gemacht haben. Diese Hypothese war aber ein Irrtum. Denn, wenn Bismarck es wirklich mit seiner Ueberzeugung hätte vereinigen können, sich der Majorität anzuschließen, so würden Manteuffel und die anderen Mitglieder der Minorität dem Neuling nicht gefolgt sein.

      Heute meine ich, daß die Haltung Bismarcks auf dem Vereinigten Landtage politisch nützlich gewesen ist, weil sie das besondere Vertrauen hervorgerufen hat, womit der König ihn in den folgenden Jahren, zum Heile des Landes, beehrte. Wenn er 1847 mit der Majorität ging, so wäre er wahrscheinlich weder im Herbst 1848 in die Lage gekommen, das Ministerium Brandenburg-Manteuffel zusammenzubringen, noch hätte er 1851 den Frankfurter Posten erhalten, welcher ihn auf die Lösung der Aufgabe Preußens in Deutschland vorbereiten sollte.

      Anfang September 1847 kam er auf seiner Hochzeitsreise nach Venedig, wo der König zufällig verweilte, und wurde sogleich zur Tafel gezogen.

      * * *

      Einige Wochen früher kam ich in die Gegend von Pommern, in welcher Bismarck von 1839 bis Ende 1845 gewohnt hatte und auch nach Uebernahme des altmärkischen Stammgutes Schönhausen bis zur Verpachtung der Güter Kniephof und Jarchelin (Ende 1846) oft gewesen war.

      Der aus Ostpreußen gebürtige Präsident des Oberlandesgerichts in Cöslin hatte mich nämlich eingeladen, nach Ablegung des Richterexamens die vor der letzten juristischen Prüfung notwendigen praktischen Arbeiten unter seiner Leitung zu erledigen, um schneller als in Berlin möglich zum Ziele zu kommen.

      Auf dem Wege nach Cöslin besuchte ich einen Bruder, welcher seit Kurzem bei dem damals in Treptow (jetzt in Thorn) stehenden Ulanenregiment als Rittmeister diente, und blieb einige Wochen bei ihm.

      Wir ritten fast täglich nach dem an der Regamündung gelegenen Seebade Deep, wo ich häufig mit dem Landrat des Kreises, Herrn von Marwitz-Rützenow, zusammenkam. Dieser liebenswürdige und gescheite Mann fand Vergnügen an meinem Klavierspiel und belohnte mich gelegentlich durch ausführliche Mitteilungen über „Otto Bismarck“, der schon als Schüler in Berlin einige Zeit mit ihm zusammen gewesen war und kürzlich mehrere Jahre im benachbarten Naugarder Kreise gewohnt hatte.

      Er erzählte:

      „Wenn ich nach langer Fahrt auf schlechten Wegen bei ihm in Kniephof ankam, wurde ein einfacher Imbiß aufgetragen; er nahm Porter und Sekt aus dem Wandschrank, setzte die Flaschen vor mich hin und sagte: Help yourself. Während ich mich stärkte, sprach er viel und anregend. Er hatte Reisen in Deutschland, England und Frankreich gemacht und las gewaltig viel, meistens Geschichtswerke. Er vertiefte sich auch gern in Spezialkarten, namentlich von Deutschland und in die alte zwanzigbändige „Erdbeschreibung“ von Büsching, welche ausführliche Angaben über die meisten deutschen Landschaften enthält. Von sehr vielen Gütern in Pommern, in der Mark und im Magdeburgischen kannte er die Bodenverhältnisse, die Größen und sogar die zu verschiedenen Zeiten dafür gezahlten Kaufwerte.

      „Auch über Politik sprach er gern; und was er sagte, klang manchmal ziemlich oppositionell, weil ihm die schleppende Geschäftsbehandlung bei den Regierungskollegien in Aachen und Potsdam mißfallen hatte. Aber sein Soldatenherz kam bei jedem Anlaß zum Vorschein.

      „So betonte er im vorigen Jahre gegenüber mehreren älteren Herren, welche mit den aufständischen Polen sympathisierten, daß diese Posener als eidbrüchige Hochverräter hätten bestraft werden sollen.

      „In früher Jugend hatte er Soldat werden wollen, seine Frau Mutter aber wünschte ihn dereinst als wohlbestallten Regierungsrat zu begrüßen. Ihr zuliebe verbrachte er mehrere Jahre im Justiz- und Verwaltungsdienste, fand aber keinen Geschmack daran. Nach ihrem Tode kam er in unsere Gegend und genoß die Freiheit des Landlebens in vollen Zügen.

      „Er