Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806242683
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nicht wieder gewählt, sondern die Wahl der Stadtverordneten fiel auf den Regierungsrat Hobrecht, welchen Graf Schwerin 1860 als Hilfsarbeiter in das Ministerium des Innern berufen hatte und welcher sich auch 1863 noch in dieser Stellung befand. Ende April beschloß die Breslauer Regierung mit nur einer Stimme Majorität, die Bestätigung des Gewählten zu befürworten. Ich befürchtete Beanstandung dieses Antrages im Staatsministerium und schrieb daher an Frau von Bismarck, mit der Bitte um Mitteilung an ihren Gemahl, einige Bemerkungen zu Gunsten Hobrechts, den ich als einen vertrauten Jugendfreund genau kannte.

      Sie erwiderte: „Hobrecht ist vorgelesen, aber man liebt ihn gar nicht, wie es scheint, also weiß ich nicht, was geschieht.“

      Da mir Gefahr im Verzuge möglich schien, telegraphierte ich sofort zurück die Worte: „Bürge für den Mann mit Ehre und Vermögen“; worauf ich natürlich keine Antwort erwartete.

      Am 26. Mai war ich in Berlin bei Bismarcks zu Tische und saß neben dem Minister. In einer Pause des allgemeinen Gesprächs fragte er mich: „Sie halten den Mann also für tugendhaft?“ Ich erwiderte: „Mehr als ausreichend für den Bürgermeisterposten. Es ist ein Glücksfall, daß die überwiegend demokratischen Stadtverordneten diesen zuverlässigen Altliberalen gewählt haben, der manche Eigenschaften besitzt, um bald Einfluß auf die Leute zu gewinnen. Würde er nicht bestätigt, so wäre die Wahl eines roten Demokraten zu erwarten. Dann müßte ein Regierungskommissar mit Leitung der Stadtverwaltung beauftragt werden, der noch weniger Einfluß haben würde als der frühere Bürgermeister.“

      „So“, sagte der Minister leise für sich und begann dann wieder ein allgemeines Gespräch.

      Gegen Abend fuhr er nach dem Potsdamer Bahnhof und lud mich ein, mitzufahren. Er sprach von der durch den General von Alvensleben im Februar abgeschlossenen preußisch-russischen Konvention. „Dieselbe hat bewirkt,“ sagte er, „daß die Polenfreunde in Petersburg nicht zur Geltung kamen und daß der Kaiser Alexander uns im Gegensatz zu Oesterreich und den Westmächten als Freunde erkannte. Die Konvention wird vom Publikum falsch beurteilt, weil man die Erdschichten nicht kennt, in welchen die Wurzeln dieses Gewächses lagen.“ Plötzlich fragte er, ob ich kommen wolle, wenn er mich riefe, auch ohne sichere Aussicht auf eine Ratsstelle. „Gewiß“, sagte ich. „Daß keine Ratsstelle frei ist, beruhigt mich einigermaßen. Eine längere Probezeit scheint mir gerade in diesem Falle unerläßlich.“ Er meinte dann, die amtliche Einberufung würde erst im Herbst erfolgen, nach Rückkehr des Königs von den Sommerreisen.

      Anfang Juli schrieb mir Frau von Bismarck in seinem Auftrage, daß er nur auf Grund meiner Bürgschaft die Bestätigung Hobrechts im Staatsministerium durchgesetzt habe.

      Bei diesem Beschluß hatte er vielleicht auch eine persönliche Mißempfindung zu unterdrücken. Einige Monate vorher war im Staatsministerium über den Entwurf der Kreisordnung, welchen Graf Schwerin hatte ausarbeiten lassen, beraten worden. Als dabei der Ministerpräsident sich über das ganze Projekt in wegwerfendem Tone äußerte, begann Hobrecht als Referent seine Erwiderung mit den Worten: „Ich weiß nicht, ob Sie den Entwurf gelesen haben.“ Nur Hobrecht selbst hat mir dies später erzählt.

      Nach Jahren hat Bismarck mir zweimal für meine Empfehlung Hobrechts gedankt.

      Als im Frühjahr 1866, beim Herannahen des Krieges, aus Ostpreußen, Pommern und vom Rhein viele kleinmütige Adressen um Erhaltung des Friedens an den König gerichtet wurden, kam von den Breslauer Stadtbehörden eine kriegerisch begeisterte Bitte um gründliche Lösung der deutschen Frage; das Verdienst dieser Kundgebung wurde natürlich dem Oberbürgermeister zugeschrieben.

      Einige Jahre später äußerte Bismarck: „Von den Bürgermeistern gilt dasselbe, was man von den Frauen sagt: die, von denen gar nicht gesprochen wird, sind die besten. Von Breslau höre ich nie etwas, folglich muß Hobrecht seine Sache sehr gut machen.“

      * * *

      Ende September 1863 wurde in Breslau bekannt, daß meine Berufung zum Hilfsarbeiter im Staatsministerium bevorstand. Außer den Offizieren bedauerten fast alle meine Bekannten, liberale wie konservative, daß ich mein Geschick an das eines maßlos verwegenen Mannes und an eine hoffnungslose Sache ketten wollte. Oft genug mußte ich versuchen, den Leuten ihren Irrtum klarzumachen.

      In der auswärtigen Politik war doch bis dahin offenbar alles geglückt, was der Ministerpräsident unternommen hatte.

      Im November 1862 wurde der halsstarrige Kurfürst von Hessen dadurch zum Nachgeben bewogen, daß Bismarck in einem an den Minister Dehn gerichteten Briefe auf das mögliche Eingreifen der kurfürstlichen Agnaten hindeutete.

      Angesichts der im Anfang des Jahres in Polen ausgebrochenen Unruhen befestigte Bismarck durch Aufrechterhaltung der Ordnung in den preußischen Grenzprovinzen und durch eine bezügliche Verständigung mit Rußland dessen Freundschaft, während die Westmächte und Oesterreich auf ihre wiederholt nach Petersburg gerichteten polenfreundlichen Ratschläge anfangs höfliche, zuletzt schroffe Abweisungen erfahren hatten.

      Der übereilte Versuch Oesterreichs, die Bundesverfassung in seinem und der Mittelstaaten Interesse durch Beschlüsse der in Frankfurt versammelten souveränen Bundesfürsten so weit umzugestalten, daß unserm König sogar die Entscheidung über Krieg und Frieden entzogen würde, dieser Versuch endete mit einem vollständigen Mißerfolg, nachdem der König auf Bismarcks Rat der Fürstenversammlung ferngeblieben war.

      In den preußischen Gegenvorschlägen wurde zum ersten Male amtlich auf die Ersprießlichkeit einer Volksvertretung am Bunde hingewiesen.

      Gegen Dänemark endlich wurde von Preußen und Oesterreich gemeinschaftlich trotz der Opposition der Mittelstaaten ein Beschluß des Deutschen Bundes erreicht, das Exekutionsverfahren durch militärische Besetzung Holsteins eintreten zu lassen (1. Oktober).

      Alle diese Thatsachen ließen doch in der Leitung unserer auswärtigen Angelegenheiten einen zielbewußten Kopf und eine glückliche Hand erkennen.

      Aber selbst gegen diese Auffassung wurde manches eingewendet.

      Ein mir von der Schule her befreundeter Gelehrter, der Privatdozent (später Professor) der Geschichte, Dr. Neumann11, kam zu mir, um mich eindringlich zu warnen.

      Er hatte einige Jahre unter Schleinitz und Bernstorff, zuletzt auch einige Monate unter Bismarck im Auswärtigen Amte für die Presse gearbeitet. „Bismarck“, sagte er, „leidet an einer schweren Nervenkrankheit und ist mir mitunter wie nicht ganz zurechnungsfähig erschienen. Wenn er z. B. Instruktionen für die Presse gab, kam er zuweilen bald in einen gewissen ‚Galopp des Denkens‘, dem man kaum folgen konnte, und verlangte mitunter ganz unausführbare Dinge. Unter den Berliner Diplomaten ist die Meinung vorherrschend, daß er nervenkrank sei und nicht mehr lange leben werde, da er sich in keiner Beziehung schont. Als ein Symptom seiner Krankheit wurde auch das Gespräch aufgefaßt, welches er im letzten Dezember bekanntlich mit dem Grafen Karolyi gehabt hat; denn wie kann ein ganz gesunder Mensch dem Vertreter Oesterreichs sagen: ‚Ihr thätet gut, euren Schwerpunkt nach Ofen zu verlegen‘. Gesellschaftlich mag Bismarck sehr angenehm sein; aber wenn du in sein Ministerium eintreten willst, so wirst du ein morsches Schiff besteigen.“

      Graf Limburg-Stirum, der Vater des jetzigen Führers der Konservativen im Abgeordnetenhause, sagte mir: „Es muß schön sein, der Fahne eines Mannes wie Bismarck zu folgen, wenn sie auch in den Tod führen mag.“

      Das stimmte mit meiner Auffassung, jedoch mit dem Unterschiede, daß ich keinerlei Gefahr zu ahnen vermochte.

      In Bezug auf die Minister schien im Falle eines Thronwechsels die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß sie wegen der budgetlosen Verwaltung mit Regreßansprüchen an ihr Privatvermögen bedroht werden könnten. Das Abgeordnetenhaus hatte am 17. Februar 1863 mit allen gegen 45 Stimmen beschlossen, bis nach Prüfung der Jahresrechnungen von 1862 die Entscheidung darüber vorzubehalten, für welche der verausgabten Summen die Minister mit ihrer Person und ihrem Vermögen haftbar wären12. Man riet damals dem Ministerpräsidenten, seinen Grundbesitz an einen Verwandten abzutreten; er lehnte das entschieden ab, um den Schein einer Besorgnis für sein Vermögen zu vermeiden. Ein Nachbar von Schönhausen aber, Herr von Katte-Roskow, hat – wie er mir 1864 erzählte