Die Farbe kehrte in seine Wangen zurück, und ein Lächeln spielte um seine Lippen. Die Gefahr war vorüber; für diesmal war er gerettet Aber er konnte sich nicht enthalten, unendliches Mitleid mit dem Maler zu empfinden, der ihm eben dieses seltsame Bekenntnis abgelegt hatte, und er sann darüber nach, ob er selber je von der Persönlichkeit eines Freundes so beherrscht werden könnte. Lord Henry hatte den Reiz, sehr gefährlich zu sein. Aber das war alles. Er war zu gescheit und zu zynisch, um wirklich geliebt zu werden. Würde es je einen Menschen geben, den er so seltsam abgöttisch verehrte? War das eins von den Dingen, die das Leben für ihn in Bereitschaft hielt?
»Es ist mir überaus erstaunlich, Dorian«, sagte Hallward, »dass du das dem Bild angesehn haben sollst. Sahst du es wirklich?«
»Ich sah etwas an ihm«, antwortete er, »etwas, das mir sehr seltsam vorkam.«
»Und nun hast du doch nichts mehr dagegen, dass ich das Bild ansehe?«
Dorian schüttelte den Kopf. »Du musst es nicht von mir verlangen, Basil. Es wäre mir nicht möglich, dich vor dem Bilde stehn zu sehen.«
»Aber doch ein andermal?«
»Niemals.«
»Nun, vielleicht hast du recht. Und nun leb wohl, Dorian. Du bist die einzige Person in meinem Leben gewesen, die wirklichen Einfluss auf meine Kunst hatte. Alles Gute, was ich vollbracht habe, danke ich dir. Ah! du weißt nicht, was es mich gekostet hat, dir all das zu sagen, was ich gesagt habe.«
»Mein lieber Basil«, sagte Dorian, »was hast du mir gesagt? Nichts weiter, als dass du fühlst, du bewunderst mich zu sehr. Das ist nicht eben sehr schmeichelhaft.«
»Es sollte keine Schmeichelei sein – es war ein Bekenntnis. Jetzt, da ich es abgelegt habe, ist es mir, als hätte ich etwas verloren. Vielleicht sollte man nie seiner Anbetung in Worten Ausdruck geben.«
»Es war ein Bekenntnis und eine Enttäuschung.«
»Ja, aber was erwartetest du, Dorian? Du sahst doch nichts anderes an dem Bilde, oder? Es war nichts anderes an ihm zu sehn?«
»Nein; es war nichts anderes zu sehen. Warum fragst du? Aber du solltest nicht von Anbetung sprechen. Das ist Torheit. Du und ich sind Freunde, Basil, und wir wollen es immer bleiben.«
»Du hast Harry zum Freund«, sagte der Maler traurig.
»Oh, Harry«, sagte der junge Mann und lachte hell auf. »Harry verbringt seine Tage damit, Dinge zu sagen, die unglaublich sind, und seine Nächte, Dinge zu tun, die unwahrscheinlich sind. Gerade die Art Leben, wie ich es führen möchte. Aber doch, glaube ich, würde ich nicht zu Harry gehn, wenn mich etwas bekümmerte. Ich ginge eher zu dir, Basil.«
»Du wirst mir wieder sitzen?«
»Unmöglich! «
»Du vernichtest mein Dasein als Künstler mit deiner Weigerung, Dorian. Niemand ist je zwei Idealen im Leben begegnet. Wenige haben eines getroffen.«
»Ich kann es dir nicht erklären, Basil, aber ich darf dir nie wieder sitzen. Es ist etwas Verhängnisvolles um das Bildnis eines Menschen. Es hat sein eigenes Leben in sich. Ich werde zu dir kommen und Tee mit dir trinken – das wird ebenso schön sein.«
»Für dich schöner, fürchte ich«, sagte der Maler in schmerzlichem Ton. »Und nun leb wohl. Ich bin traurig, dass du mich das Bild nicht noch einmal sehn lassen willst. Aber ich kann’s nicht ändern. Ich verstehe völlig, was für eine Empfindung du dabei hast.«
Als er das Zimmer verlassen hatte, lächelte Dorian Gray. Armer Basil! wie wenig er den wahren Grund ahnte! Und wie seltsam es war, dass es ihm fast wie durch Zufall gelungen war, anstatt sein eigenes Geheimnis zu verraten, dem Freunde das seine zu entreißen! Wie viel erklärte ihm dieses seltsame Bekenntnis! Die absurden Eifersuchtsanwandlungen des Malers, seine wilde Hingebung, seine ausschweifenden Bewunderungshymnen, die Stimmungen seltsamer Schweigsamkeit – das alles verstand er jetzt, und er wurde traurig. Es schien ihm etwas Tragisches um eine Freundschaft zu sein, die so von der Romantik gefärbt war. Er seufzte und klingelte. Das Bild musste unter allen Umständen versteckt werden. Er konnte sich nicht noch einmal einer solchen Gefahr der Entdeckung aussetzen. Es war Wahnsinn von ihm gewesen, das Bild auch nur eine Stunde lang in einem Zimmer zu lassen, in das jeder seiner Freunde kommen konnte.
Zehntes Kapitel
Als sein Bedienter eintrat, blickte er ihm fest ins Auge und überlegte sich, ob es ihm wohl eingefallen sei, hinter den Schirm zu blicken. Der Mann stand da, ohne sich zu rühren, und wartete auf seine Befehle. Dorian zündete sich eine Zigarette an, schlenderte durchs Zimmer zum Spiegel und blickte hinein. Er konnte Viktors Gesicht völlig deutlich darin sehn. Es war wie eine ruhige Maske der Unterwürfigkeit. Da war nichts zu befürchten, da nicht. Aber er hielt es für das Beste, auf der Hut zu sein.
In sehr leisem Ton sagte er ihm, er solle die Wirtschafterin hereinrufen