"Wird da noch was auf mich zukommen?", fragte ich Knilch, als ich mit ihm zusammen ins Freie ging.
Seine müden Augen sahen mich an, dann zuckte er mit den Schultern. "Eine Rechnung von mir!"
"Und sonst?"
"Das hängt davon ab, was noch auf den Tisch des Hauses kommt", meinte er gedehnt. "Dieser Polizist mag Sie nicht, was?"
"Na, wenn Sie das auch schon gemerkt haben, dann weiß ich zumindest, dass ich nicht unter Halluzinationen leide und meine Sinne noch einigermaßen klar beisammen habe!"
Der Knilch hatte keinen Sinn für Humor. Er war eine staubtrockene Advokatenseele.
Nicht einmal ein Zucken konnte ich im Bereich seiner Mundwinkel erkennen.
Naja, so schlimm war es auch nicht. Wenigstens ich hatte mich amüsiert. Und angesichts der Tatsache, dass ich jetzt keine kahlen Zellenwände, sondern die Straße vor mir sah, konnte mir nichts und niemand die Laune verderben. Nein, heute nicht.
Bevor ich nach Hause ging, frühstückte ich noch in einem Café der Mittelklasse.
Die Brötchen waren nur halb so groß wie normal, dafür gab es so viel Aufschnitt, dass man jede Hälfte dreifach belegen konnte. Nur machte das niemand, und so konnten sie dieselbe Wurstscheibe mehrmals auslegen.
Der, der den Kaffee gekocht hatte, meinte es gut mit der Geschäftskasse und schlecht mit meinem müden Kopf. Das Gebräu war nämlich so dünn, dass man den Tassengrund sehen konnte.
Ich dachte über Jake McCord nach und wie er mit den Finsterlingen fertig werden würde, die ihm im Wege standen. Und über die schöne Annette, die jetzt tot war, und die ich umgebracht haben sollte, wenn man nach Rehfelds abstruser Phantasie ging.
"Kann ich bitte bezahlen?", fragte ich die mürrische Bedienung, weil ich wusste, dass sie die nächste halbe Stunde nicht mehr in die Nähe meines Tisches kommen würde.
"Ein bisschen Geduld bitte, ja? Wo sind wir denn hier? Auf Arbeit oder auf der Flucht?"
"Whiskey!", knirschte McCord zwischen den Zähnen hindurch, während ihm der Barkeeper das Glas vollschüttete. Und dabei hatte er das Bild der grünäugigen Schönen vor Augen, die Morton auf dem Gewissen hatte. Aber dafür würde er bezahlen, der Hund! Das hatte sich Jake McCord geschworen!
Ich musste der Sache schon aus eigenem Interesse auf den Grund gehen. Und leider hatte ich niemanden, der dabei auf meiner Seite war.
Zumindest konnte ich davon ausgehen, niemals wirklich allein zu sein, denn wenn ich richtig rechnete, dann ließ mich Rehfeld beschatten. Jedenfalls hätte ich das an seiner Stelle getan, wenn ich derart felsenfest davon überzeugt gewesen wäre, einen Mörder vor mir zu haben.
Als ich nach Hause kam, klingelte das Telefon.
Es war mein Redakteur, der die Western redigierte und zumindest ein paar von den Fehlern ausmerzte, die ich machte.
"Ja, hallo, Herr Hellmer, wie geht es Ihnen denn?", fragte er gedehnt und mit rheinischem Akzent.
So fing er immer an. Bis er auf den Punkt kam, dauerte es meistens ein bisschen.
"Es geht so", murmelte ich, während mein Blick immer noch über das Chaos ging, das nach wie vor in meiner Wohnung herrschte. Bei meinem Ordnungstalent würde es Wochen dauern, bis es hier wieder wie in einer menschlichen Behausung aussah.
Auf der anderen Seite der Leitung hörte ich ein Räuspern. "Also, die Sache ist die", kam es umständlich zu mir herüber. "Ich habe hier Ihren Roman Die Höllenhunde vom Sacramento-River vorliegen. Der Titel ist schon mal sehr gut, und der Roman wird ja sicher auch prima sein. Ich bin noch nicht dazu gekommen, ihn zu lesen."
"Hm", machte ich, um die entstehende Pause zu überbrücken.
"Es geht darum, Herr Hellmer: Ich muss heute schon die Titelbilder einplanen."
"Ach so."
"Können Sie mir mal kurz sagen, was in dem Roman so vorkommt?"
Da brachte er mich in Verlegenheit.
Ich musste mich sehr konzentrieren, damit es mir wieder einfiel, denn bei mir gibt es so eine Art Vergess-Automatik, sobald ich eine Geschichte abgeschickt habe. ›Delete Memory‹ sozusagen.
Nach einigen Schrecksekunden begann ich dann ziemlich schleppend: "Also, es geht um einen Marshal, der eine Bande von Desperados verfolgt ..."
Während ich redete, merkte ich, dass er mir nicht zuhörte. Schließlich fragte er: "Kommt eine Eisenbahn in dem Roman vor? Ich habe hier nämlich ein schönes Titelbild mit einer Eisenbahn."
"Nein."
"Keine Eisenbahn?"
"Keine Eisenbahn."
"Schade." Er seufzte. Ich hörte, wie er mit ein paar Blättern hantierte. "Und wie steht's mit Indianern?"
"Auch keine Indianer", musste ich ihn abermals enttäuschen.
"Tja", machte er. "Und wie steht's mit einem Mexikaner?"
"Meinetwegen", meinte ich. "Ein Mexikaner kommt vor."
"Na, prima. Dann hätten wir das ja auch noch geschafft! Das wär's. Alles Gute noch!"
"Wiederhören." Ich legte auf und überlegte einen Moment. Dann griff ich erneut zum Hörer. Mit der Linken fingerte ich die Visitenkarte aus der Hosentasche, die Oswald alias Flash Gordon mir gegeben hatte, und wählte die Nummer, die darauf angegeben war.
"Hier ist die Raimund Schmidt GmbH, Private Ermittlungen, Objekt- und Personenschutz, guten Tag", säuselte eine helle Frauenstimme mit einer solchen Schnelligkeit, dass es schon einigermaßen erstaunlich war, wie sie ihren Text so fehlerfrei herunterleierte und nicht irgendwo auf halber Strecke hängenblieb.
"Ist bei Ihnen jemand namens Oswald beschäftigt?", fragte ich.
"Herr Oswald ist im Moment nicht im Hause. Kann ich etwas ausrichten?", säuselte die Stimme.
"Nein, können Sie nicht."
"Wie war noch mal Ihr Name? Dann könnte ich eine Notiz hinterlassen?"
Ich hatte meinen Namen gar nicht genannt, aber meine Gesprächspartnerin schien ihn unbedingt wissen zu wollen. Auf dieselbe Tour versuchen es die Sachbearbeiter der Sozialversicherungen immer, wenn man anruft, um einfach mal unverbindlich eine Auskunft zu bekommen.
"Kann ich Herrn Schmidt sprechen?", fragte ich.
Die Antwort war so reserviert, wie ich befürchtet hatte. "Was wollen Sie denn von Herrn Schmidt?"
"Das muss ich ihm schon selbst sagen."
"Hören Sie, guter Mann: Herr Schmidt ist sehr beschäftigt und ..."
"Ist ja schon gut!", meinte ich und legte einfach auf. Die Geschichte von dem stiernackigen Blondschopf schien zu stimmen. Er war wohl wirklich Angestellter einer Privatdetektei. Nur hätte ich zu gern gewusst, in wessen Auftrag er hinter mir her gewesen war.
Ich nahm mir vor, dem Laden mal einen Besuch abzustatten. Vielleicht gelang es mir ja sogar, Mister Raimund Schmidt himself zu erwischen, wobei ich nur hoffen konnte, dass er umgänglicher war als seine Handlanger.
Und noch ein anderer Besuch stand auf meiner Liste. Ich wollte mich mit der Freundin unterhalten, bei der Annette zuletzt gewohnt hatte. Vielleicht hatte die das Telefonat zwischen Annette und mir mitgekriegt, doch daran glaubte ich schon deswegen nicht, weil Annette mich nie Mike genannt hatte.
Aber es gab ja schließlich Leute, die wirklich Mike hießen und sich nicht nur so nannten, wie ich.
Die Story, die Rehfeld mir unter die Nase gerieben hatte, war gar nicht so dumm, wurde mir bei weiterem Nachdenken klar. Er machte nur den schwerwiegenden Fehler, mir darin die falsche Rolle zuzuweisen. Aber zumindest etwas konnte dran sein.
Einen kurzen Gedanken