Doof sagte erst einmal gar nichts und dackelte mit eingezogenen Schultern hinter seinem Herrn und Meister her. Er hätte auch größte Schwierigkeiten gehabt, etwas über die Lippen zu bringen, denn er kaute auf irgendetwas herum. Erdnüsse, schätzte ich, denn nach einem schwachen Händedruck hatte ich Öl und Salz an den Fingern.
Dann hielt er mir wortlos seinen Ausweis unter die Nase.
Und dort konnte ich es dann schwarz auf weiß lesen: Doof hieß Lehmann.
Lehmann trug ein preiswertes Polyester-Longjackett, in dessen rechter Tasche er genug Platz für seinen Erdnuss-Vorrat hatte. Im Ganzen wirkte er wie ein ausgehungerter Schimanski-Verschnitt. Er war dürr und schlaksig, wenn auch zwei Köpfe länger als ich.
Seine Körperhaltung gab ihm die Gestalt eines Fragezeichens. Nur nicht zu tief Luft holen!, dachte ich. Sonst bläst es ihn um!
Bei dem dicken Rehfeld bestand da keinerlei Gefahr. Er war kugelrund und trug einen Mantel, bei dem er nur hoffen konnte, dass Regen und Wind immer von hinten kamen, denn es war einfach undenkbar, dass es ihm jemals gelingen konnte, die Knopfreihe zu schließen.
Rehfeld ging ins Bad, nachdem ihn die beiden Frauen darüber aufgeklärt hatten, dass dort die eigentliche Musik spielte.
Lehmann musterte uns einen nach dem anderen mit seinen verschlafenen Augen.
Dann nahm er noch eine weitere Handvoll Erdnüsse aus der Jackentasche heraus und stopfte sie ziemlich ungeschickt in den Mund, so dass ihm ein halbes Dutzend davon auf den Boden fiel.
Er grunzte ärgerlich und mit vollem Mund, wobei ihm um ein Haar noch etwas herausgefallen wäre. Dann dackelte er erneut hinter seinem dicken Herrn und Meister her, diesmal ins Bad. Ich folgte den beiden. Die Frauen schienen ihrerseits genug von Lammers Anblick zu haben. Sie hatten ihn ja schließlich auch lange genug angestiert.
"Schlimm, schlimm", murmelte der dicke Rehfeld vor sich hin und schnaufte. Aber er fand es nicht wirklich schlimm.
Es berührte ihn überhaupt nicht, davon war ich felsenfest überzeugt. Ich sah, wie er kurz in der Nase bohrte. Aber als er mich bemerkte, hörte er sofort damit auf. Es war ihm peinlich.
Er wollte eine nicht vorhandene Pietät raushängen lassen. Schließlich wusste er ja nicht, dass er das bei mir nicht brauchte. Ich war nämlich keineswegs unangenehm berührt durch sein Verhalten. Irgendwie verstand ich ihn sogar ganz gut.
Wenn man den ganzen Tag nichts anderes tut, als Leichen zu besichtigen und herauszufinden, wie sie zu Tode gekommen sind, muss man abgebrüht werden, wenn man nicht den Verstand verlieren will. Das ist ganz natürlich.
Jedenfalls sehe ich das so.
"Wer sind Sie eigentlich?", fragte Rehfeld.
"Ich heiße Michael Hellmer und wohne eine Etage tiefer."
"Und in welcher Beziehung standen Sie zu ..." er räusperte sich und hustete dann geräuschvoll in das riesenhafte Taschentuch, das er blitzschnell aus der Manteltasche gezogen hatte, "... zu dem Toten?"
"In gar keiner."
"Wie?"
"Ich hatte keine ›Beziehung‹ zu ihm. Ich mochte ihn nicht − und vor allem nicht seinen Föhn."
Er deutete in die Wanne. "Meinen Sie den da?"
"Ja. Den da!"
"Verstehe ich nicht."
"Ist auch nicht so wichtig!"
Oh, da war ich ihm aber auf seine überbreite Krawatte mit dem geschmackvollen grellen Blumenmuster und dem überdicken Windsorknoten getreten.
"Was hier wichtig ist, bestimme ich!", stellte er barsch und genau in der Art und Weise, die zum Klischeebild eines hässlichen, herrschsüchtigen, deutschen Beamten passte, fest.
"Okay, okay!", meinte ich. "Was wichtig ist, bestimmen Sie! Wer denn auch sonst!"
"Nicht frech werden!"
"Würde mir nie einfallen!"
Er blitzte mich böse an. Tja, dachte ich, jetzt weißt du nicht mehr, was du sagen sollst!
Er machte das einzig Vernünftige. Er schnaufte erst einmal ausgiebig. Und bevor er danach etwas sagen konnte, fing ich an, ihm von der Schönen mit den graugrünen Augen zu erzählen, die an mir vorbeigerannt war und allem Anschein nach geradewegs aus Lammers Wohnung gekommen war!
"Hm", brummte Rehfeld, jetzt schon etwas versöhnlicher. "Haben Sie eine Ahnung, wer die Frau war?"
"Nein."
"Hatte der Ermordete eine Freundin?"
"Kann ich mir nicht vorstellen. Er war ein Ekelsack! Aber ausschließen will ich das nicht. Es gibt schließlich auch Frauen mit schlechtem Geschmack."
"Er lebte allein in dieser Wohnung?"
"Soweit ich das sagen kann, ja. Jedenfalls ist mir nie etwas Gegenteiliges aufgefallen. Aber um ehrlich zu sein, ich habe mich auch nie besonders um das Liebesleben dieses Mannes gekümmert."
"Was machte er beruflich?"
"Keine Ahnung."
"Was wissen Sie überhaupt über ihn?"
"Zum Beispiel, dass er bestimmt keine Haustiere hatte, denn Haustiere sind hier verboten. Aber ansonsten weiß ich fast nichts."
"Sie lebten unter einem Dach, Herr Hellmer!"
"Ja, traurig, nicht? Das ist die Anonymität der Großstadt."
Er nickte, und dabei bildete sich ein imposantes Doppelkinn. Es war so groß, dass es fast den gesamten MEGAdicken Windsorknoten verdeckte.
"Das wird es wohl sein ..." murmelte er griesgrämig.
Und dann einigten wir uns darauf, dass er später noch einmal bei mir vorbeischauen werde, wenn er noch Fragen habe.
Mir war das recht.
Ich fürchtete nur, dass sich an dem Grundproblem zwischen uns bis dahin nicht viel geändert haben würde. Er hatte jede Menge Fragen, auf die weder ich noch irgendjemand sonst eine Antwort hatte.
4
Mir fiel ein, dass ich noch irgendetwas Essbares fürs Abendbrot brauchte. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich mich beeilen musste, wenn ich die Bäckerei auf der anderen Straßenseite noch vor Geschäftsschluss erreichen wollte.
Also ging ich gar nicht erst in meine Wohnung, sondern die Treppe hinunter und nach draußen.
Der Hauseingang wurde durch zwei uniformierte Schutzpolizisten gesichert, deren Dienstwagen mit Blaulicht am Straßenrand stand und bereits einen kleinen Pulk von Schaulustigen herbeigelockt hatte. Dieses blaue Licht wirkte auf sie wie weißes Licht auf Motten. Es war einfach unwiderstehlich, verhieß es doch nicht weniger als die Aussicht auf irgendeine Sensation.
Vielleicht sogar eine grässliche Sensation, bei der man dann sagen konnte: "Oh, wie grauenvoll! Hol mal den Willi, der hat sowas Schlimmes auch noch nicht gesehen!"
Der eine der beiden Polizisten war in meinem Alter und hatte einen dünnen Oberlippenbart in Errol-Flynn-Manier. Aber statt auf ein feines Rapier vertraute er anscheinend eher der weitaus weniger sportlichen Dienstwaffe an seiner Seite.
Sein Partner war mindestens fünfzehn Jahre älter und wirkte wie ein Landpolizist, der aus irgendeinem Grund ganz unten an der Karriereleiter kleben geblieben war. Über die Art des Klebstoffs konnte man nur spekulieren. Seiner roten Nase und dem strammen Bauch nach zu urteilen war er ein ziemlich gutmütiger, ziemlich oft ziemlich viel Bier trinkender Kneipengänger, was ihn wohl leider nur für eine Karriere im Schützenverein prädestinierte.
"Wer sind Sie?", fragte mich Errol Flynn. Seinem