Im Westen ist Amerika. Dirk Möller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dirk Möller
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347056084
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eben für ihn mit.«

      Das schwarzbläulich schimmernde Insekt hielt auf eine schlecht verfugte Ecke zu.

      »Die im Dorf sind zwar Idioten, aber in einem Punkt liegen sie ausnahmsweise richtig. Alle hassen euch.«

      Es verschwand in einem Spalt.

      Menne war noch nicht fertig. »Jeder, hörst du? Sieh dir euren Bengel an. Mit dem stimmt was nicht. Hatte er jemals einen Freund?«

      Conrad zog es weiter vor zu schweigen. Was er auch sagte, es würde weitere Attacken nach sich ziehen.

      Menne ließ nicht locker. »Nun?«

      Schweigen war also keine Option. »Ich weiß nicht.«

      »Hatte er nicht.«

      »Wenn Ihr es sagt.«

      »Ich sage, der Bengel ist nicht normal. Welches Kind hat keine Freunde?«

      Eines, das seiner Eltern wegen ausgestoßen wird, dachte Conrad bitter. Weil die nicht fromm sind. Das das Wolfsrudel als Opfer auserkoren hat und mit Füßen tritt. Weil es immer ein Opfer geben muss, immer einen zum Treten. »Wenn Ihr gestattet, gehe ich wieder an die Arbeit«, sagte er in der Hoffnung, einigermaßen unbeschadet den Rückzug antreten zu können.

      So billig soll er nicht davonkommen, dachte Menne. Sollen sie, die ganze Scheißbargfeldsippe, nicht davonkommen. Aber was konnte er ihnen noch aufbürden? Mehr als beinahe rund um die Uhr arbeiten ging nicht.

      Es klopfte an der Tür. »Was ist?«

      Heiner, der Pferdeknecht, betrat die Stube. »Der Freiherr möchte Euch sprechen, Herr Aufseher.«

      »Ich bin beschäftigt. Und schlage gefälligst die Stiefel ab, bevor du reinkommst. Sieh dir die verdammte Scheiße an!«, bellte Menne.

      »Oh, Verzeihung!«, sagte Heiner angesichts der Pferdeäpfel, die er im Raum verteilt hatte. Bevor es wieder einen Anschiss hagelte, lüftete er seinen Hut und verbeugte sich.

      Menne verzog das Gesicht, als bereitete ihm der Anblick der wirren Haarpracht des Knechts körperliches Unbehagen. »Was will v. Weystedt?«, fragte er, bevor sich Heiner entfernen konnte.

      »Es geht wohl um den Wilderer.«

      Conrad, der auf Entlassung wartete, wurde hellhörig.

      Nicht schon wieder, dachte Menne. Das war das Problem des Oberforstmeisters, doch nicht seins. »Und was haben wir damit zu tun?«

      »Der Freiherr meint, wir müssten irgendwie helfen, ihn zu schnappen.«

      Menne stöhnte auf. Das würde doch auch wieder an ihm hängen bleiben. »Hat der Freiherr möglicherweise auch verlauten lassen, was ihm konkret vorschwebt?«

      »Ich glaube nicht«, sagte Heiner. »Vielleicht meint er, Ihr solltet das entscheiden.«

      Garantiert meint er das, dachte Menne.

      Conrad hatte genug gehört. »Ich gehe dann wieder an die Arbeit.«

      »Verpiss dich endlich«, herrschte ihn Menne an. »Das hier geht dich überhaupt nichts an.«

      Und ob mich das was angeht, dachte Conrad grimmig.

      Er hatte Angst. Um Johannes.

      Denn da war der Tag im Juni. Vor zwei Jahren.

       Kapitel 5

      Der zweite Juni 1790 versprach, ein schöner Frühsommertag zu werden. An einem wolkenlosen Himmel zeigten sich die Vorboten einer Morgenröte, die schon bald die Felder von Gut Weystedt in ein betörendes Blau tauchen würde – der Flachs stand in voller Blüte. Dazu wehte ein lauer Südwestwind, der das gute Wetter nach Paderborn trug. Als könnte er nicht abwarten, dass die Sonne endlich ihr Tageswerk aufnahm, schmetterte der Hahn ein leidenschaftliches ›Kiie-ker-iie-kiie‹. Auf sein Kommando begannen die Vögel, ihre Parts zu intonieren. Ein schläfriges Schnattern hier, ein zaghaftes Piepen da, dann schwangen sie sich zu einem vielstimmigen Crescendo empor.

      Johannes liebte das Gezwitscher. Wie die milde Luft, die nach Rosenblüten und Lilien duftete. Nach Sommer. Er wischte seine Hände am taufeuchten Gras ab und zog die Hose hoch. Auf dem Weg zurück ins Bett bemerkte er eine Gestalt, die sich dem Haus näherte. Sie kam vom Wald und war vor dessen dunkler Kulisse noch nur ein Schattenriss.

      Er duckte sich hinter den Rosenbusch.

      Ein Dieb? – Er musste Vater wecken!

      Da hörte er es: ein Hüsteln. Und zog nicht die Person das linke Bein ein wenig nach? Johannes fiel ein Stein vom Herzen: Das war sein Vater. Aber was hatte er nachts im Wald zu suchen? Und wieso trug er einen Sack?

      Conrad stapfte über die Wiese mit den Obstbäumen. An den Sonnenblumen und Johannas Kräuterbeet vorbei ging er zum Schuppen. Er legte den Sack ab und nestelte an dem Schloss herum. Die Tür quietschte, und er sah sich verstohlen um.

      Johannes zog den Kopf ein. Aber die Neugier siegte. Er trat hinter dem Busch hervor. »Gehst du schon aufs Feld, Vater?«

      Conrad fuhr herum. »Johannes! Was hast du hier mitten in der Nacht zu suchen?«

      »Ich musste mal.«

      »Verschwinde, sonst …« Conrad hob die Hand – das tat er sonst nie.

      Johannes war fast fünfzehn. Er hatte Respekt vor seinem Vater, aber keine Angst. »Was ist in dem Sack?«

      Conrad ließ die Hand sinken. Er rang um Worte. Sein Gesicht nahm einen resignierten Ausdruck an. Er drehte seinem Sohn den Rücken zu und ging in den Schuppen.

      Johannes ließ sich nicht lange bitten.

      »Mach die Tür zu.«

      Conrad entfachte eine von einem trüben Schirm eingefasste Lampe. Zu dem Geruch brennenden Öls tauchte sie den Raum in ein gelbes Schummerlicht. Johannes sah sich um. Ein Pflug, ein Dreschflegel. Die Schubkarre, der das Rad fehlte – sie gab es noch? An der Wand hing eine Sense. Noch mehr Werkzeug, für das im Haus kein Platz war.

      Sein Vater griff in den Sack und holte zwei Hasen heraus. Es waren gewöhnliche Feldhasen, wie man sie auf Wiesen und Waldlichtungen und zu mancher Leute Verdruss auch in Gemüse- und Kräuterbeeten fand. Ohne ein Wort der Erklärung hängte er einen Kadaver an eine Hakenkette. Er zog sein Messer an einem Lederriemen ab und entfernte Kopf und Läufe. Ein Schnitt quer über den Rücken, ein Griff ins Fell, und die Decke ging ganz leicht vom Fleisch. Conrad brach den Kadaver auf und pulte die Eingeweide heraus, die mit einem schmatzenden Geräusch auf die Arbeitsfläche plumpsten. Zuletzt zerlegte er die Stücke und verstaute sie in einem Beutel.

      Er wollte schon an den zweiten Hasen gehen, hielt dann aber inne und stemmte die Hände auf die Werkbank. Mit einem tiefen Seufzer entwich die Luft aus seinen Lungen, gefolgt von einem leisen Hüsteln. »Niemand darf davon erfahren, hörst du, Junge?«

      »Ja, Vater.«

      »Es ist strengstens verboten. Man kommt in den Kerker oder an den Schandpfahl.« Conrad drehte sich zu seinem Sohn um, und der Lampenschein zuckte über die Ringe unter seinen Augen. »Was ist, wenn ich es nicht tue? Was sollen wir essen? Das Schwein ist noch nicht fett genug. Vor Martini können wir es nicht schlachten. Das verstehst du doch?« Es klang bittend, beinahe flehentlich.

      »Ja, Vater. Weiß es Mutter?«

      »Sie hasst es.«

      Eine Weile herrschte Schweigen. Aber dann, wie aus heiterem Himmel, donnerte Conrads Faust auf die Werkbank – so heftig, dass etwas von dem Jagdabfall herunterfiel.

      Johannes zuckte zusammen.

      »Die hohen Herren schießen die Tiere zum Zeitvertreib, lassen sie im Wald verderben, während wir für sie schuften und hungern. Was sind das für Menschen? Sie treten uns mit Füßen, sehen auf uns herab von ihren goldenen Thronen. Das war schon immer so, und nichts wird sich daran ändern.« Conrad Bargfelds Stimme bebte. »Wenn wir uns nicht selbst helfen, verhungern wir. Aber nicht mit mir! Ich werde tun, was ich