Wie geht Freiheit?. Elke Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Friedrich
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783749721504
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meine Hände aufgelegt und sie haben mir Geschichten erzählt oder Lieder vorgesungen. Ich sah die kleinen Kobolde und ihre Behausungen und wir spielten zusammen. Unter Menschen hatte ich das Gefühl, nicht dazuzugehören. Und da war immer diese Sehnsucht, aber wonach?

      Das hat lange angehalten. Alles war trist und karg. Und im Religionsunterricht kam der nächste Schock hinzu. Die Kantorin zeigte uns Bilder von Jesu, erzählte Geschichten. Plötzlich war ich bei den Geschehnissen dabei und habe mit Christus, seinen Jüngern und den Engeln gesprochen. Oft bin ich der Kantorin ins Wort gefallen und habe zu ihr gesagt: „Du hast gelogen, du hast die Geschichte ganz falsch erzählt“. Das gab natürlich Ärger. Also habe ich mich klein gemacht, zog mich zurück und schwieg. Das einzig Gute in meiner kindlichen Welt war mein Papa, mit dem ich sehr verbunden war. Aber wenn wir gelacht haben, dann ging das für meine Mutter gar nicht. Lachen ging gar nicht, das war ganz schlimm: „Lachen, das ist gefährlich. Wer lacht - Diebe, Gauner und Verbrecher, alles böse Menschen, die dir was wollen!“ So die Meinung meiner Mutter. Keiner durfte ins Haus, keiner durfte mich besuchen. Ich durfte auch keine Freundin mitbringen. Meine Mutter hat mich von der Schule abgeholt, danach musste ich Hausaufgaben machen und saß dann drinnen fest. Papa hatte sein eigenes Leben, der war Lokführer und oft unterwegs. Er war bei der Bahn. Mein Bruder hatte es einfacher mit meiner Mutter, der war drei Jahre jünger als ich und ihr Prinz. Obwohl auch er nicht lachen durfte. Aber wenn irgendwas war, dann war es immer ich. Nicht er. Ich war der Sündenbock für alles. Als kleines Kind hatte ich oft Ohrenschmerzen und Keuchhusten. In den Augen meiner Mutter hatte ich mir die Schmerzen natürlich nur ausgedacht, um sie zu ärgern. Ich wolle ihr nur Arbeit machen und Aufmerksamkeit haben, wie sie mir immer wieder erklärte. Zum Arzt ist sie mit mir nicht gegangen. Wenn ich die Schmerzen gar nicht mehr aushalten konnte, ist mein Papa mit mir zum Arzt gefahren, um mich untersuchen zu lassen. Mein Bruder und ich hatten auch sehr schlechte Zähne und oft Zahnschmerzen. Auch dafür hat sie uns ausgelacht und gemeint, das sei nicht so schlimm, das höre von selbst wieder auf. Grinsend hat sie uns dann erzählt, dass sie selbst als Kind vorm Zahnarzt Angst hatte und sich vor Behandlungen gedrückt hätte. Wir bräuchten das also auch nicht. Die Pubertät war schwierig für mich. In der Bibliothek war ich Dauergast. Bücher über Ufos, Außerirdische und Kornkreise habe ich nicht gelesen, sondern verschlungen. Wieder erlebte ich dieses tiefe Einfühlen: Plötzlich war ich zu „Gast“ auf den Raumschiffen, habe verschiedene Galaxien besucht, bin durch Raum und Zeit gereist und habe mit den Wesen, die mir begegneten, über die Herzebene kommuniziert. Nur mit den Menschen hier auf Mutter Erde konnte ich nicht reden. Ich war immer noch einsam und sehr traurig. Wenn ich mit meinem Freund verabredet war, hat Mutter uns belauscht. Abends, wenn wir im Park waren, hat Mutter mich abgeholt oder sogar nach Hause geschickt und statt meiner dann mit ihm im Park gesessen. So war das. Als wir einmal zur Kirmes sind, von der Schule aus, da kam sie halb neun mit ihrem Fahrrad an und hat mich vor allen Leuten angebrüllt, beschimpft und heimgeschickt. Ich musste nach Hause und sie hat mit ihnen gesprochen und nett getan. Dafür habe ich mich geschämt. Und nicht nur das Verhalten meiner Mutter an sich hat mich tief verletzt. Hinzu kamen dann noch die “coolen“ Sprüche meiner Mitschüler, die mich unschön aufzogen. Mein neuer Klassenlehrer bemerkte mein Talent zum Malen. Dreimal hat er bei meiner Mutter vorgesprochen, sie solle doch Ihr Einverständnis geben und mich auf die Kunstschule gehen lassen. Was hat Frau Mama gemacht? Sie hat den Mann beschimpft: „Ach die doch nicht, die braucht das nicht, die kann das sowieso nicht!“ Ich habe mich klein, hässlich, unverstanden, unerwünscht und ungeliebt gefühlt. Und ich habe mich immer unsichtbarer gemacht. Die ständigen Sticheleien und immerwährenden Schikanen meiner Mutter haben uns allen das Leben schwer gemacht. Bei meinem Papa hat das zu Herzproblemen und -erkrankungen geführt. Er ist dann mehrmals zur Kur gefahren und hat dort eine liebenswerte Frau kennengelernt. Sie kam ihn besuchen und wollte mit ihm ein neues Leben beginnen. Natürlich gab es Diskussionen und Auseinandersetzungen mit meiner Mutter. Ich war natürlich auf der Seite meines Papas und habe ihm gut zugeredet, den Schritt doch zu wagen. Damals war ich schon sechzehn. Meine Mutter ist total ausgerastet, natürlich war ich wieder der Sündenbock. Sie ist mir an die Kehle gesprungen und hat mich gewürgt, so dass ich keine Luft mehr bekam. „DU – du VIEH!“, waren ihre Worte. Mein Papa hat daneben gestanden und geweint. Das war alles. Er konnte sich nicht durchsetzen gegen sie. Still weinte er in sich hinein – und alles war beim Alten. Er blieb bei ihr. Doch ich hatte das Gefühl, dadurch meinen Papa verloren zu haben. Ich konnte seine Entscheidung nicht verstehen. Mein Vater verschaffte mir schließlich eine Ausbildungsstelle bei der Bahn. So bekam ich endlich ein bisschen Luft. Es war das erste Mal, dass ich mich wieder etwas freier fühlte. Endlich war ich ein bisschen weiter weg, und Mutter konnte nicht jeden Tag kommen, um mich zu kontrollieren. Das erste Mal in meinem Leben seit dem Umzug ein bisschen Freiraum! Es fiel mir relativ leicht, Leute kennenzulernen, seit ich das Korsett los war, in das mich meine Mutter gezwängt hatte. Zuhause hatte sie alle abgewimmelt, die mich besuchen wollten. Ich erinnere mich noch daran, wie sie meinem Freund, dessen Moped vor unserem Haus gestanden hatte, den Schlüssel geklaut hatte. Seine Briefe an mich öffnete sie und fuhr uns mit dem Auto hinterher. Die drei Jahre Ausbildung waren also der erste echte Freiraum für mich. Sie konnte nichts mehr unterbinden. Ich war dann auch viel unterwegs und habe die Chance genutzt, Zugführerin zu werden. Das hat mir solchen Spaß gemacht! Ich bin umher gefahren mit dem Zug und habe mich total frei gefühlt. Frei - so frei wie wir im System der DDR halt sein konnten.

      HEIRAT und EIGENE KINDER - ein FREIRAUM, der KEINER ist

      Ich hätte auch nie aufgehört, bei der Bahn zu arbeiten. Aber dann habe ich unterwegs Herrn F. kennengelernt. Nein, mit Liebe hatte das nichts zu tun. Damals wohnte ich ja noch bei meiner Mutter und der Herr F. kam dann einfach mit dazu – für sie war der bestens. Ich hatte ihn mir ausgesucht, weil ich nicht auf dem Dorf hängen bleiben wollte. Ich dachte mir: „Nimmste dir einen aus der großen Stadt. Der hier hat das Potential, der nimmt es mit meiner Mama auf. Der schafft dir den Freiraum, den du gerne haben möchtest. Der macht das, der hat die Courage dazu!“ Aber der Plan ging nach hinten los. Die beiden haben sich gut verstanden, und ich bin vom Regen in die Traufe gekommen. Ziemlich schnell, mit dreiundzwanzig, wurde ich schwanger und wir sind ausgezogen. Herr F. hat uns eine eigene Wohnung in der Kleinstadt besorgt, in der wir bereits wohnten. Ich habe das Kind bekommen – und der Vater war mal da, mal nicht. Meine Mutter kam täglich vorbei, um zu sehen, ob ich mit dem Kind ja auch alles richtig machen würde. Dadurch wurde für mich alles nur noch schlimmer. Die ständige Kontrolle meiner Mutter und die emotionalen Talfahrten in der Beziehung. Das Kind und ich hatten keine ruhige Minute. Zu meinem Schwiegervater hatte ich ein gutes Verhältnis. Er kam, um uns zu unterstützen und sprach auch mit seinem Sohn. Es kam die erste Heirat mit Herrn F. Die hat er sausen lassen. Er ist einfach nicht aufgetaucht. Das muss man sich vorstellen: Eine Kleinstadt, praktisch ein Dorf, alles schon bestellt, ein riesengroßer Polterabend im Weinlokal, hinten im Hof, richtig nett – aber wer kommt nicht? Der Bräutigam! Wir standen da, auch mein Schwiegervater, und waren vor den Kopf gestoßen. Was sollten wir machen? Wir haben gegessen und getrunken, was ging. Und er blieb verschwunden. Ein halbes Jahr lang war er verschollen, kam nicht wieder. Wir haben die Schlösser gewechselt. Ich dachte: „Das ist erledigt.“ Meine Mutter hat ihn ausfindig gemacht. Da ging alles wieder los. Ich habe gesagt: „Ich will das nicht!“ Meine Mutter: „Aber er ist der Vater deines Kindes, das gehört sich so!“ Schwupp, war er wieder in meinem Leben. Alles von vorne. Ein zweites Kind, dasselbe Trallala. Er wollte das zweite Kind nicht: „Wer weiß, ob das von mir ist!“ Ich habe gesagt: „Ich werde noch verrückt. Dieser Schmerz, dieser Druck, diese Wut in mir und meine Ohnmacht im Außen.“ Er ist mit mir zur Klinik gefahren, zur Abtreibung. Als er weg war, eine Stunde später, bin ich wieder heim. Ohne Abtreibung. Er war nicht zu hause. Und ich habe das Kind bekommen. Meine Cousine zeterte: „Allein mit zwei Kindern, das ist ja Wahnsinn! Das macht man nicht. Das gehört sich nicht!“ Meine Mutter sagte das Gleiche. Ich stand da mit meinen beiden kleinen Kindern und netten Ratschlägen von allen Seiten, doch keiner bot mir Hilfe an. „Ist ja alles nicht so schlimm.“, hieß es. Ich habe nur noch funktioniert und meine Seele hat geweint. Das ständige Auf und Ab, das „Immer-wieder-verlassen-werden“. Als die zweite Tochter ein Jahr alt war, hat dann doch die Heirat stattgefunden. Da war er wieder da. Ganz nett. Doch hatte es nichts mit Liebe und Vertrauen zu tun, sondern mit Geld. Wir heirateten wegen des Ehekredites. An dem Tag wusste ich: „Seine letzte Stunde hat geschlagen. Das dauert nicht lange, das geht nicht gut!“ Ich